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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band.

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freiwillig den Sieg, wenn es auch bis Pausanias nur einmal vorgekommen ist.
daß ein Kämpfer, bei sich angemeldet hatte und auch gekommen war, aus
Furcht heimlich verschwand! Den Griechen selbst ist diese Ausartung der Ago-
nistik und die Nutzlosigkeit der künstlichen Athletik keineswegs entgangen.
Weder Alkibiades noch Epaminondas, noch Alexander der Große, noch Phi-
lopömcn hielten etwas von der Athletik, Sokrates tadelt im xcnophon-
tischcn Gastmahl an derselben, daß sie zum Kriege untüchtig mache, weil
bei den Läufern die Beine auf Kosten der Schultern, bei den Faustkämpfern
die Schultern auf Kosten der Beine ausgebildet und gekräftigt würden. Am
meisten spottete man über die Wohlbeleibtheit der Faustkämpfer und Pankra-
tiasten, die durch eine, besondere Diät oder geradezu Mästung hervorgebracht
zu werden Pflegte, um dem Leibe mehr Wucht zu verschaffen. Früher
bildeten die Hauptspeiscn der Athleten frischer Käse, getrocknete Feigen und
Weizen; aber später waren es große Massen von Fleisch, besonders von
Schweinen, Rinder" und Ziegen und schweres Brod (das man vom Fleische
getrennt zu sich nahm). Nach dem Essen überließ man sich einem langen
Schlaf. Bon der Gefräßigkeit mancher olympischen Sieger erzählte man sich
Unglaubliches. Der schon genannte Theagenes soll einen ganzen Ochsen zu
Mittag verspeist haben; der Krotoniate Mikon aß für gewöhnlich zwanzig Pfund
Fleisch und ebensoviel Brod, in Olympia aber einst ein vierjähriges ,Rind, das
er vorher ans seinen Schultern herumgetragen hatte. Der Milesier Astydama",
der dreimal hinter einander im Pankration siegte, verzehrte beim Perser Ano-
barzanes Alles, was für neun Männer gekocht worden war. Darum läßt auch
Lukian in den Todtengesprächen Hermes zu einem Athleten sagen, der von
Charon über den Styx gefahren sein will, wobei man ohne alle beschwerende
Kleidung sein sollte: "Du bist ja nicht nackt, mein Lieber, da du so viel Fleisch
um deine Knochen hast!" Am stärksten spricht sich aber Euripides in einem
Fragmente aus, wo es heißt: "Von tausend Uebeln, die es in Hellas gibt,
ist keines schlimmer, als der Athleten Geschlecht, welche richtig zu leben weder
verstehen noch vermögen. Denn wie wird ein Mann, der seiner Kinnbacken
Sklave, seines Bauches Knecht ist. mehr Glückseligkeit erringen als sein Vater?
Auch nicht in Armuth zu leben und sich in Schicksalsschläge zu schicke" sind
sie im Stande; denn an schöne Sitten nicht gewöhnt, söhnen sie sich schwer
aus mit dem Ungemach. Glanzvoll und als Götterbilder der Stadt gehen sie
in der Jugend einher; wenn aber das bittere Alter sie befällt, gleichen sie
fadenscheinigen Mänteln. -- Was hat wohl je ein guter Ringer oder ein Schnell¬
füßiger Mann, oder der den Diskos schleuderte, oder die Zähne wohl ein¬
zuschlagen verstand, seiner Vaterstadt genutzt dadurch, daß er den Kranz ge¬
wann? Kämpfe man mit den Feinden den Diskos in der Hand, und schlägt
man mit dem Schilde die Feinde aus dem Land?" Wenn daher Dion Chry-


freiwillig den Sieg, wenn es auch bis Pausanias nur einmal vorgekommen ist.
daß ein Kämpfer, bei sich angemeldet hatte und auch gekommen war, aus
Furcht heimlich verschwand! Den Griechen selbst ist diese Ausartung der Ago-
nistik und die Nutzlosigkeit der künstlichen Athletik keineswegs entgangen.
Weder Alkibiades noch Epaminondas, noch Alexander der Große, noch Phi-
lopömcn hielten etwas von der Athletik, Sokrates tadelt im xcnophon-
tischcn Gastmahl an derselben, daß sie zum Kriege untüchtig mache, weil
bei den Läufern die Beine auf Kosten der Schultern, bei den Faustkämpfern
die Schultern auf Kosten der Beine ausgebildet und gekräftigt würden. Am
meisten spottete man über die Wohlbeleibtheit der Faustkämpfer und Pankra-
tiasten, die durch eine, besondere Diät oder geradezu Mästung hervorgebracht
zu werden Pflegte, um dem Leibe mehr Wucht zu verschaffen. Früher
bildeten die Hauptspeiscn der Athleten frischer Käse, getrocknete Feigen und
Weizen; aber später waren es große Massen von Fleisch, besonders von
Schweinen, Rinder» und Ziegen und schweres Brod (das man vom Fleische
getrennt zu sich nahm). Nach dem Essen überließ man sich einem langen
Schlaf. Bon der Gefräßigkeit mancher olympischen Sieger erzählte man sich
Unglaubliches. Der schon genannte Theagenes soll einen ganzen Ochsen zu
Mittag verspeist haben; der Krotoniate Mikon aß für gewöhnlich zwanzig Pfund
Fleisch und ebensoviel Brod, in Olympia aber einst ein vierjähriges ,Rind, das
er vorher ans seinen Schultern herumgetragen hatte. Der Milesier Astydama«,
der dreimal hinter einander im Pankration siegte, verzehrte beim Perser Ano-
barzanes Alles, was für neun Männer gekocht worden war. Darum läßt auch
Lukian in den Todtengesprächen Hermes zu einem Athleten sagen, der von
Charon über den Styx gefahren sein will, wobei man ohne alle beschwerende
Kleidung sein sollte: „Du bist ja nicht nackt, mein Lieber, da du so viel Fleisch
um deine Knochen hast!" Am stärksten spricht sich aber Euripides in einem
Fragmente aus, wo es heißt: „Von tausend Uebeln, die es in Hellas gibt,
ist keines schlimmer, als der Athleten Geschlecht, welche richtig zu leben weder
verstehen noch vermögen. Denn wie wird ein Mann, der seiner Kinnbacken
Sklave, seines Bauches Knecht ist. mehr Glückseligkeit erringen als sein Vater?
Auch nicht in Armuth zu leben und sich in Schicksalsschläge zu schicke» sind
sie im Stande; denn an schöne Sitten nicht gewöhnt, söhnen sie sich schwer
aus mit dem Ungemach. Glanzvoll und als Götterbilder der Stadt gehen sie
in der Jugend einher; wenn aber das bittere Alter sie befällt, gleichen sie
fadenscheinigen Mänteln. — Was hat wohl je ein guter Ringer oder ein Schnell¬
füßiger Mann, oder der den Diskos schleuderte, oder die Zähne wohl ein¬
zuschlagen verstand, seiner Vaterstadt genutzt dadurch, daß er den Kranz ge¬
wann? Kämpfe man mit den Feinden den Diskos in der Hand, und schlägt
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[0103] freiwillig den Sieg, wenn es auch bis Pausanias nur einmal vorgekommen ist. daß ein Kämpfer, bei sich angemeldet hatte und auch gekommen war, aus Furcht heimlich verschwand! Den Griechen selbst ist diese Ausartung der Ago- nistik und die Nutzlosigkeit der künstlichen Athletik keineswegs entgangen. Weder Alkibiades noch Epaminondas, noch Alexander der Große, noch Phi- lopömcn hielten etwas von der Athletik, Sokrates tadelt im xcnophon- tischcn Gastmahl an derselben, daß sie zum Kriege untüchtig mache, weil bei den Läufern die Beine auf Kosten der Schultern, bei den Faustkämpfern die Schultern auf Kosten der Beine ausgebildet und gekräftigt würden. Am meisten spottete man über die Wohlbeleibtheit der Faustkämpfer und Pankra- tiasten, die durch eine, besondere Diät oder geradezu Mästung hervorgebracht zu werden Pflegte, um dem Leibe mehr Wucht zu verschaffen. Früher bildeten die Hauptspeiscn der Athleten frischer Käse, getrocknete Feigen und Weizen; aber später waren es große Massen von Fleisch, besonders von Schweinen, Rinder» und Ziegen und schweres Brod (das man vom Fleische getrennt zu sich nahm). Nach dem Essen überließ man sich einem langen Schlaf. Bon der Gefräßigkeit mancher olympischen Sieger erzählte man sich Unglaubliches. Der schon genannte Theagenes soll einen ganzen Ochsen zu Mittag verspeist haben; der Krotoniate Mikon aß für gewöhnlich zwanzig Pfund Fleisch und ebensoviel Brod, in Olympia aber einst ein vierjähriges ,Rind, das er vorher ans seinen Schultern herumgetragen hatte. Der Milesier Astydama«, der dreimal hinter einander im Pankration siegte, verzehrte beim Perser Ano- barzanes Alles, was für neun Männer gekocht worden war. Darum läßt auch Lukian in den Todtengesprächen Hermes zu einem Athleten sagen, der von Charon über den Styx gefahren sein will, wobei man ohne alle beschwerende Kleidung sein sollte: „Du bist ja nicht nackt, mein Lieber, da du so viel Fleisch um deine Knochen hast!" Am stärksten spricht sich aber Euripides in einem Fragmente aus, wo es heißt: „Von tausend Uebeln, die es in Hellas gibt, ist keines schlimmer, als der Athleten Geschlecht, welche richtig zu leben weder verstehen noch vermögen. Denn wie wird ein Mann, der seiner Kinnbacken Sklave, seines Bauches Knecht ist. mehr Glückseligkeit erringen als sein Vater? Auch nicht in Armuth zu leben und sich in Schicksalsschläge zu schicke» sind sie im Stande; denn an schöne Sitten nicht gewöhnt, söhnen sie sich schwer aus mit dem Ungemach. Glanzvoll und als Götterbilder der Stadt gehen sie in der Jugend einher; wenn aber das bittere Alter sie befällt, gleichen sie fadenscheinigen Mänteln. — Was hat wohl je ein guter Ringer oder ein Schnell¬ füßiger Mann, oder der den Diskos schleuderte, oder die Zähne wohl ein¬ zuschlagen verstand, seiner Vaterstadt genutzt dadurch, daß er den Kranz ge¬ wann? Kämpfe man mit den Feinden den Diskos in der Hand, und schlägt man mit dem Schilde die Feinde aus dem Land?" Wenn daher Dion Chry-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115393/103>, abgerufen am 22.12.2024.