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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band.

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Und -- fragte Preußen weiter -- unter welchen Bedingungen erwerben die
diesseitigen Landeskinder dos Heimathsrecht in Mecklenburg? -- Wenn 'sie fünf¬
zehn Jahr ununterbrochen an einem und demselben Orte sich aufgehalten hätten,
hieß es.

Dies war denn doch ein zu großes Mißverhältniß; die preußische Negie¬
rung drang auf gegenseitige Gleichheit in diesen Verhältnissen, und um ihrer
Forderung mehr Nachdruck zu geben, drohete sie widrigenfalls alle über die
Grenze gegangenen und nicht naturalisirten Mecklenburger, eventualiter mit
Frau und Kind ausweisen und in ihr Geburtsland zurücksenden zu wollen.
Es wurden auch in Wirklichkeit an der ganzen Grenze herum Recherchen nacb
den nicht naturalisirten Mecklenburgern angestellt, welche ein Ergebniß von drei¬
ßig- bis vierzigtausend Personen geliefert haben sollen, die alle nach mecklen¬
burgischen Gesetzen in ihrem frühern Wohnort das Heimathsrecht verloren und
in Preußen kein neues erworben hatten, die also, falls man sie über die Grenze
geschickt hätte, als Heimathlose dem mecklenburgischen Landarbeitshause ver¬
fallen gewesen wären.

Eine so große Menschenmenge konnten denn doch die allerdings großen
Räume des alten Wallenstein-Schlosses zu Güstrow, welches zum Landarbeits¬
haus umgestaltet ist, nicbt fassen. Mecklenburg mußte sich Preußen gegenüber
zu einer liberaleren Heimathsgesctzgebung verstehen, wie sie in der Gothaer
Convention ausgesprochen ist. In seinen eigenen Eingeweiden aber dauert die
alte hartnäckige Verstopfung fort, und von einem lebendigen und erfreulichen
Stoffwechsel zwischen Domanium, Ritterschaft und Landschaft ist keine Rede.

Und Krischan Schule? -- Nun dessen Schicksale sind nach Obigem leicht
zu ermessen. Mecklenburg mußte sich dazu verstehen, Krischan Schulter zurück¬
zunehmen,, remonstrirte aber mit Hand und Fuß gegen die Aufnahme von
Weib und Kindern, als gebornen Preußen. Die Familie wurde einstweilen
zerrissen. Frau und Kinder blieben in Preußen und Krischan Schule wurde
über die ..mecklenburgische Grenze gejagt -- endlich mit Erfolg. Das Gut
Basepohi weigerte sich, ihn anzunehmen, wozu es auch durchaus nicht verpflichtet
war; in dem Domanium und den Städten fand er natürlich erst .recht keine
Aufnahme, und so war er denn vor dem Gesetz ein heimathloser Vagabund,
der ins Landarbeitshaus gehörte, dessen friedliche Räume ihn denn auch
aufnahmen.

Ob er später ein anderweitiges Unterkommen gesunden hat, ob er wieder
mit seiner Familie vereinigt worden ist, wissen wir nicht. Wir haben diese
Geschichte nur so erzählt, wie das allgemeine Interesse, welches begreiflicher Weise
dieser eclatante Fall, namentlich bei den Ausgewanderten hervorrufen mußte,
sie zu jener Zeit täglich besprach.

Man bat nachträglich behauptet. Krischan Schule sei ein Taugenichts


Grenzboten IV. 1862. 64

Und — fragte Preußen weiter — unter welchen Bedingungen erwerben die
diesseitigen Landeskinder dos Heimathsrecht in Mecklenburg? — Wenn 'sie fünf¬
zehn Jahr ununterbrochen an einem und demselben Orte sich aufgehalten hätten,
hieß es.

Dies war denn doch ein zu großes Mißverhältniß; die preußische Negie¬
rung drang auf gegenseitige Gleichheit in diesen Verhältnissen, und um ihrer
Forderung mehr Nachdruck zu geben, drohete sie widrigenfalls alle über die
Grenze gegangenen und nicht naturalisirten Mecklenburger, eventualiter mit
Frau und Kind ausweisen und in ihr Geburtsland zurücksenden zu wollen.
Es wurden auch in Wirklichkeit an der ganzen Grenze herum Recherchen nacb
den nicht naturalisirten Mecklenburgern angestellt, welche ein Ergebniß von drei¬
ßig- bis vierzigtausend Personen geliefert haben sollen, die alle nach mecklen¬
burgischen Gesetzen in ihrem frühern Wohnort das Heimathsrecht verloren und
in Preußen kein neues erworben hatten, die also, falls man sie über die Grenze
geschickt hätte, als Heimathlose dem mecklenburgischen Landarbeitshause ver¬
fallen gewesen wären.

Eine so große Menschenmenge konnten denn doch die allerdings großen
Räume des alten Wallenstein-Schlosses zu Güstrow, welches zum Landarbeits¬
haus umgestaltet ist, nicbt fassen. Mecklenburg mußte sich Preußen gegenüber
zu einer liberaleren Heimathsgesctzgebung verstehen, wie sie in der Gothaer
Convention ausgesprochen ist. In seinen eigenen Eingeweiden aber dauert die
alte hartnäckige Verstopfung fort, und von einem lebendigen und erfreulichen
Stoffwechsel zwischen Domanium, Ritterschaft und Landschaft ist keine Rede.

Und Krischan Schule? — Nun dessen Schicksale sind nach Obigem leicht
zu ermessen. Mecklenburg mußte sich dazu verstehen, Krischan Schulter zurück¬
zunehmen,, remonstrirte aber mit Hand und Fuß gegen die Aufnahme von
Weib und Kindern, als gebornen Preußen. Die Familie wurde einstweilen
zerrissen. Frau und Kinder blieben in Preußen und Krischan Schule wurde
über die ..mecklenburgische Grenze gejagt — endlich mit Erfolg. Das Gut
Basepohi weigerte sich, ihn anzunehmen, wozu es auch durchaus nicht verpflichtet
war; in dem Domanium und den Städten fand er natürlich erst .recht keine
Aufnahme, und so war er denn vor dem Gesetz ein heimathloser Vagabund,
der ins Landarbeitshaus gehörte, dessen friedliche Räume ihn denn auch
aufnahmen.

Ob er später ein anderweitiges Unterkommen gesunden hat, ob er wieder
mit seiner Familie vereinigt worden ist, wissen wir nicht. Wir haben diese
Geschichte nur so erzählt, wie das allgemeine Interesse, welches begreiflicher Weise
dieser eclatante Fall, namentlich bei den Ausgewanderten hervorrufen mußte,
sie zu jener Zeit täglich besprach.

Man bat nachträglich behauptet. Krischan Schule sei ein Taugenichts


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[0517] Und — fragte Preußen weiter — unter welchen Bedingungen erwerben die diesseitigen Landeskinder dos Heimathsrecht in Mecklenburg? — Wenn 'sie fünf¬ zehn Jahr ununterbrochen an einem und demselben Orte sich aufgehalten hätten, hieß es. Dies war denn doch ein zu großes Mißverhältniß; die preußische Negie¬ rung drang auf gegenseitige Gleichheit in diesen Verhältnissen, und um ihrer Forderung mehr Nachdruck zu geben, drohete sie widrigenfalls alle über die Grenze gegangenen und nicht naturalisirten Mecklenburger, eventualiter mit Frau und Kind ausweisen und in ihr Geburtsland zurücksenden zu wollen. Es wurden auch in Wirklichkeit an der ganzen Grenze herum Recherchen nacb den nicht naturalisirten Mecklenburgern angestellt, welche ein Ergebniß von drei¬ ßig- bis vierzigtausend Personen geliefert haben sollen, die alle nach mecklen¬ burgischen Gesetzen in ihrem frühern Wohnort das Heimathsrecht verloren und in Preußen kein neues erworben hatten, die also, falls man sie über die Grenze geschickt hätte, als Heimathlose dem mecklenburgischen Landarbeitshause ver¬ fallen gewesen wären. Eine so große Menschenmenge konnten denn doch die allerdings großen Räume des alten Wallenstein-Schlosses zu Güstrow, welches zum Landarbeits¬ haus umgestaltet ist, nicbt fassen. Mecklenburg mußte sich Preußen gegenüber zu einer liberaleren Heimathsgesctzgebung verstehen, wie sie in der Gothaer Convention ausgesprochen ist. In seinen eigenen Eingeweiden aber dauert die alte hartnäckige Verstopfung fort, und von einem lebendigen und erfreulichen Stoffwechsel zwischen Domanium, Ritterschaft und Landschaft ist keine Rede. Und Krischan Schule? — Nun dessen Schicksale sind nach Obigem leicht zu ermessen. Mecklenburg mußte sich dazu verstehen, Krischan Schulter zurück¬ zunehmen,, remonstrirte aber mit Hand und Fuß gegen die Aufnahme von Weib und Kindern, als gebornen Preußen. Die Familie wurde einstweilen zerrissen. Frau und Kinder blieben in Preußen und Krischan Schule wurde über die ..mecklenburgische Grenze gejagt — endlich mit Erfolg. Das Gut Basepohi weigerte sich, ihn anzunehmen, wozu es auch durchaus nicht verpflichtet war; in dem Domanium und den Städten fand er natürlich erst .recht keine Aufnahme, und so war er denn vor dem Gesetz ein heimathloser Vagabund, der ins Landarbeitshaus gehörte, dessen friedliche Räume ihn denn auch aufnahmen. Ob er später ein anderweitiges Unterkommen gesunden hat, ob er wieder mit seiner Familie vereinigt worden ist, wissen wir nicht. Wir haben diese Geschichte nur so erzählt, wie das allgemeine Interesse, welches begreiflicher Weise dieser eclatante Fall, namentlich bei den Ausgewanderten hervorrufen mußte, sie zu jener Zeit täglich besprach. Man bat nachträglich behauptet. Krischan Schule sei ein Taugenichts Grenzboten IV. 1862. 64

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114855/517>, abgerufen am 19.10.2024.