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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band.

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hat, sind die nach dem Wahlgesetz von 1849 gewählten Stände zur Vornahme
von landständischen Befugnissen nicht berechtigt. Die einzige Aufgabe der
jetzigen Stände besteht darin, ein neues Wahlgesetz zu Stande zu bringen.
Bis dahin wird ohne Stände fortregiert." Die Logik des Herrn Vilmar
wäre ganz scharfsinnig, wenn sie nicht einige Löcher hätte. Wenn die der-
maligen nach dem Wahlgesetz von 1849 gewählten Stände überhaupt nicht
-zuständig sind zur Vornahme landständischer Geschäfte, dann sind sie auch nicht
zuständig, ein neues Wahlgesetz zu berathen und zu beschließen, welches die
Rechte der Standesherrn ze. berücksichtigt. Daraus wäre dann zu folgern, daß
die Standesherrn :c. auch schon bei dem Zustandekommen des neuen Wahl¬
gesetzes mitwirken müssen. Und in der That dürfte ein auf interimistische Zu¬
ziehung der Standesherrn gerichteter Antrag der Stände geeignet sein, eines-
theils dem Bundesbeschluß zu genügen, und anderntheils der Theorie des Herrn
Vilmar. soweit sie Seitens des Ministeriums praktisch bethätigt werden will,
auch den Schein eines Grundes zu entziehen.

Man kann aber auch noch weiter gehen. Die Standesherrn haben nach
der Bundesgesetzgebung das Recht, aber nicht die Pflicht. Antheil an der Landes-
vertretung zu nehmen. Die Standes'serm müssen daher, nachdem sie sich
früher in die Beseitigung ihres Rechtes ohne Widerspruch gefügt haben, jetzt
dieses Recht, auf Grund des Bundesbeschlusses. von Neuem in Anspruch nehmen.
Bevor sie diesen Anspruch erheben, und bis jetzt haben sie dieses nicht gethan,
kann von einer Verweigerung bundesrechtlich zugesicherter Landstandschast über¬
haupt nicht die Rede sein.

ES steht nicht gut mit einer Verfassung, bei welcher solche sophistische
Fragen in den Vordergrund gestellt werden, um die verfassungsmäßige Wirk¬
samkeit der Stände zu hemmen. Anstatt daß die Regierung bemüht sein sollte,
die ohnehin schon verfahrenen Wege zu ebenen, werden neue Schwierigkeiten
hervorgeholt. So hat denn auch die "Kasseler Zeitung", das Organ der Re¬
gierung, ausgeklügelt, und Vilmar in der "Hessenzeitung" fecundirt weidlich:
"Die Wiederherstellung der Verfassung ist lediglich eine rvstitutio ex nunc,
daS heißt eine solche, welche alle Regierungsacte während der Suspension der
Verfassung zu rechtsbeständiger macht." Dieser dem Privatrecht entnommene
Grundsatz der restiwtiv ox nunc soll alles Unrecht der Zwischenzeit in Recht
verkehren und nebenbei über diejenigen, weiche bei dem Verfassungsumsturz
geholfen haben, einen schützenden Fittig ausbreiten.

Inzwischen scheint der Schwerpunkt unserer Lage auf eine andere Seite
verlegt zu.sein. Ganz unerwartet sprach sich, die Kasseler Zeitung vom 17. Oc-
tober in einem Artikel "von der Fulda" dahin aus: "Nur darum kann es
sich handeln, ob der gegenwärtige Landtag ausschließlich oder vorzugsweise die
Ausgabe habe, ein neues Wahlgesetz zu vereinbaren. Sowohl der Bundes-


hat, sind die nach dem Wahlgesetz von 1849 gewählten Stände zur Vornahme
von landständischen Befugnissen nicht berechtigt. Die einzige Aufgabe der
jetzigen Stände besteht darin, ein neues Wahlgesetz zu Stande zu bringen.
Bis dahin wird ohne Stände fortregiert." Die Logik des Herrn Vilmar
wäre ganz scharfsinnig, wenn sie nicht einige Löcher hätte. Wenn die der-
maligen nach dem Wahlgesetz von 1849 gewählten Stände überhaupt nicht
-zuständig sind zur Vornahme landständischer Geschäfte, dann sind sie auch nicht
zuständig, ein neues Wahlgesetz zu berathen und zu beschließen, welches die
Rechte der Standesherrn ze. berücksichtigt. Daraus wäre dann zu folgern, daß
die Standesherrn :c. auch schon bei dem Zustandekommen des neuen Wahl¬
gesetzes mitwirken müssen. Und in der That dürfte ein auf interimistische Zu¬
ziehung der Standesherrn gerichteter Antrag der Stände geeignet sein, eines-
theils dem Bundesbeschluß zu genügen, und anderntheils der Theorie des Herrn
Vilmar. soweit sie Seitens des Ministeriums praktisch bethätigt werden will,
auch den Schein eines Grundes zu entziehen.

Man kann aber auch noch weiter gehen. Die Standesherrn haben nach
der Bundesgesetzgebung das Recht, aber nicht die Pflicht. Antheil an der Landes-
vertretung zu nehmen. Die Standes'serm müssen daher, nachdem sie sich
früher in die Beseitigung ihres Rechtes ohne Widerspruch gefügt haben, jetzt
dieses Recht, auf Grund des Bundesbeschlusses. von Neuem in Anspruch nehmen.
Bevor sie diesen Anspruch erheben, und bis jetzt haben sie dieses nicht gethan,
kann von einer Verweigerung bundesrechtlich zugesicherter Landstandschast über¬
haupt nicht die Rede sein.

ES steht nicht gut mit einer Verfassung, bei welcher solche sophistische
Fragen in den Vordergrund gestellt werden, um die verfassungsmäßige Wirk¬
samkeit der Stände zu hemmen. Anstatt daß die Regierung bemüht sein sollte,
die ohnehin schon verfahrenen Wege zu ebenen, werden neue Schwierigkeiten
hervorgeholt. So hat denn auch die „Kasseler Zeitung", das Organ der Re¬
gierung, ausgeklügelt, und Vilmar in der „Hessenzeitung" fecundirt weidlich:
„Die Wiederherstellung der Verfassung ist lediglich eine rvstitutio ex nunc,
daS heißt eine solche, welche alle Regierungsacte während der Suspension der
Verfassung zu rechtsbeständiger macht." Dieser dem Privatrecht entnommene
Grundsatz der restiwtiv ox nunc soll alles Unrecht der Zwischenzeit in Recht
verkehren und nebenbei über diejenigen, weiche bei dem Verfassungsumsturz
geholfen haben, einen schützenden Fittig ausbreiten.

Inzwischen scheint der Schwerpunkt unserer Lage auf eine andere Seite
verlegt zu.sein. Ganz unerwartet sprach sich, die Kasseler Zeitung vom 17. Oc-
tober in einem Artikel „von der Fulda" dahin aus: „Nur darum kann es
sich handeln, ob der gegenwärtige Landtag ausschließlich oder vorzugsweise die
Ausgabe habe, ein neues Wahlgesetz zu vereinbaren. Sowohl der Bundes-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114855/380>, abgerufen am 20.10.2024.