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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band.

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welche die Auflösung des Zollvereins als Folge der Weigerung, den Vertrag
anzunehmen, in Aussicht stellten, die Sorge um Erhaltung dieses Bandes alles
Andere als nebensächlich in den Hintergrund zu drängen begonnen. Mehr und
mehr konnte man Stimmen hören, die etwa dahin sich aussprachen: Der
Vertrag ist ein zweifelhafter Gewinn, aber die Erhaltung des Zollvereins das
erste Interesse, dem auch die Wünsche in jener Beziehung zum Opfer zu bringen
sind, die Regierung aber hat durch ihr einseitiges Vorgehen gerade aus die
Zerreißung des Zollvereins hingesteuert.

Es soll nicht behauptet werden, daß eine Umstimmung der öffentlichen
Meinung zu Gunsten des Vertrags stattgefunden hat. Wohl aber machte sich
allmälig eine nüchterne, besonnene Auffassung geltend. Hatten die Anstrengungen
welche erst in der letzten Zeit für den Handelsvertrag hervorgetreten sind, sich
schon im Anfang vorgewagt, so wäre zwar schwerlich das Land in seiner Mehr¬
heit für denselben gewonnen worden, aber es wäre eine sehr respectable
Minderheit gleich Anfangs zum Wort gekommen, die auch auf die Entschließungen
der Regierung nicht ganz ohne Einfluß hätte sein können. Zu dieser Ver¬
muthung ist man um so eher berechtigt, wenn es sich bestätigen sollte, daß Herr
von Linden gegen die definitive Ablehnung war und wenigstens noch ein längeres
Temporisiren empfahl, daß der Finanzminister, der von Anfang an geschwankt ha¬
ben soll, schließlich gar nicht mehr gefragt wurde, und nur die Herren v. Hügel
und v. Neurath -- also der östreichische Einfluß-- die Entscheidung durchsetzten.

Inmitten solcher Schwankungen, welche den Wunsch nach einer Aussöh¬
nung der bestehenden Gegensätze nahe legen mußten, erfolgten die Wahlen zum
Münchner Handelstag. Württemberg hatte vermöge seiner Organisation in
Handelskammern nur über wenige Stimmen zu verfügen, und unter seinen
Abgeordneten befanden sich keine hervorragenden Capacitäten. Im Allgemeinen
gehörten sie einer Richtung an, welche am liebsten vermittelt hätte und im Inder
esse des Zollvereins schon zu einigen Opfern bereit gewesen wäre. Allein
in München war kein Ort für Compromisse. Bei dem principiellen Charakter,
den die Verhandlungen mit Recht annahmen, sahen sie sich den Boden unter
den Füßen entzogen und gingen haltlos auseinander. Nur bei der ersten Ab¬
stimmung über den weitestgehenden Antrag, auf unbedingte Durchführung des
Handelsvertrags lautend, stimmten alle Würtenberger mit der Minderheit. Bei
den Resolutionen über das Verhältniß zu Oestreich und über die Reorganisation
des Zollvereins fiel ein Theil von der östreichischen Fahne ab. Wie schwankend
und im Grunde zufällig das Votum der Würtenberger war, zeigt sich am sprechend¬
sten daran, daß der'Vertreter der Stuttgarter Handelskammer jedes Mal mit der
Minderheit, der Vertreter des Stuttgarter Handelsvereins mit der Mehrheit stimmte,
zwei Abgeordnete, die doch gewiß identische Interessen zu vertreten hatten.

Wichtiger ist das Ergebniß, welches der mit so großer Spannung erwar-


welche die Auflösung des Zollvereins als Folge der Weigerung, den Vertrag
anzunehmen, in Aussicht stellten, die Sorge um Erhaltung dieses Bandes alles
Andere als nebensächlich in den Hintergrund zu drängen begonnen. Mehr und
mehr konnte man Stimmen hören, die etwa dahin sich aussprachen: Der
Vertrag ist ein zweifelhafter Gewinn, aber die Erhaltung des Zollvereins das
erste Interesse, dem auch die Wünsche in jener Beziehung zum Opfer zu bringen
sind, die Regierung aber hat durch ihr einseitiges Vorgehen gerade aus die
Zerreißung des Zollvereins hingesteuert.

Es soll nicht behauptet werden, daß eine Umstimmung der öffentlichen
Meinung zu Gunsten des Vertrags stattgefunden hat. Wohl aber machte sich
allmälig eine nüchterne, besonnene Auffassung geltend. Hatten die Anstrengungen
welche erst in der letzten Zeit für den Handelsvertrag hervorgetreten sind, sich
schon im Anfang vorgewagt, so wäre zwar schwerlich das Land in seiner Mehr¬
heit für denselben gewonnen worden, aber es wäre eine sehr respectable
Minderheit gleich Anfangs zum Wort gekommen, die auch auf die Entschließungen
der Regierung nicht ganz ohne Einfluß hätte sein können. Zu dieser Ver¬
muthung ist man um so eher berechtigt, wenn es sich bestätigen sollte, daß Herr
von Linden gegen die definitive Ablehnung war und wenigstens noch ein längeres
Temporisiren empfahl, daß der Finanzminister, der von Anfang an geschwankt ha¬
ben soll, schließlich gar nicht mehr gefragt wurde, und nur die Herren v. Hügel
und v. Neurath — also der östreichische Einfluß— die Entscheidung durchsetzten.

Inmitten solcher Schwankungen, welche den Wunsch nach einer Aussöh¬
nung der bestehenden Gegensätze nahe legen mußten, erfolgten die Wahlen zum
Münchner Handelstag. Württemberg hatte vermöge seiner Organisation in
Handelskammern nur über wenige Stimmen zu verfügen, und unter seinen
Abgeordneten befanden sich keine hervorragenden Capacitäten. Im Allgemeinen
gehörten sie einer Richtung an, welche am liebsten vermittelt hätte und im Inder
esse des Zollvereins schon zu einigen Opfern bereit gewesen wäre. Allein
in München war kein Ort für Compromisse. Bei dem principiellen Charakter,
den die Verhandlungen mit Recht annahmen, sahen sie sich den Boden unter
den Füßen entzogen und gingen haltlos auseinander. Nur bei der ersten Ab¬
stimmung über den weitestgehenden Antrag, auf unbedingte Durchführung des
Handelsvertrags lautend, stimmten alle Würtenberger mit der Minderheit. Bei
den Resolutionen über das Verhältniß zu Oestreich und über die Reorganisation
des Zollvereins fiel ein Theil von der östreichischen Fahne ab. Wie schwankend
und im Grunde zufällig das Votum der Würtenberger war, zeigt sich am sprechend¬
sten daran, daß der'Vertreter der Stuttgarter Handelskammer jedes Mal mit der
Minderheit, der Vertreter des Stuttgarter Handelsvereins mit der Mehrheit stimmte,
zwei Abgeordnete, die doch gewiß identische Interessen zu vertreten hatten.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114855/215>, abgerufen am 20.10.2024.