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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band.

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Anstand diese zu steigern, indem man die Rücksichtslosigkeit Preußens gegen
seine Verbündeten, sein eigenmächtiges Verfahren, seine Mediatisirungsgelüste in
das grellste Licht stellte. Der Art. 31 des Vertrags gab noch zu besonderen
Verdächtigungen Anlaß, und wenn man es nicht geradezu aussprach, so waren
doch die Andeutungen verständlich genug, um eine urtheilslose, ohnedies gegen
Preußen mißtrauische Bevölkerung zu dem Argwohn aufzustacheln, es handle
sich einfach um ein politisches Abkommen zwischen Frankreich und Preußen auf
Kosten Oestreichs und des übrigen Deutschlands.

So mannigfaltig und widerspruchsvoll die Elemente dieser Polemik waren,
so wirkte sie doch gerade durch die künstliche Vermengung dieser Gesichtspunkte.
Wer an die politischen Gespenster nicht glaubte, der wollte doch nicht unen>
pfänglich sein für die Gefahren, welchen die deutsche Industrie entgegenging,
und wer in dieser Beziehung freier sah, wollte wenigstens kein schlechter Patriot
sein. Wer aber diese ganze theils offen schutzzöllnerische. theils in das Gewand eines
tugendhaften Patriotismus gekleidete Agitation durchschaute. -- der schwieg.
Denn so mit einem Schlage hatten jene Stimmen von der öffentlichen Meinung
Beschlag genommen, daß in der anfänglichen Verblüffung Niemand zu wider¬
sprechen wagte. Als die einstimmige Meinung Süddeutschlands kündigten sie
sich mit Emphase an, und die Erfahrung gab ihnen nur allzulange recht.
Nachdem sie schon damals, als die Verhandlungen wegen des Vertrags noch
geheim geführt wurden, denselben verdächtigt hatten, warteten sie nur dessen
Veröffentlichung ab, um die längst bereite Ladung ihrer Geschütze abzufeuern.
So ward es ihnen leicht, die öffentliche Meinung zu betäuben, bevor sich ein
ruhiges Urtheil bilden konnte. Zunächst bemächtigte man sich der Preßorgane.
Von der übrigen süddeutschen Presse zu schweigen, ließ sich unerklärlicher Weise
auch der Schwäbische Merkur, das einflußreichste Blatt in Schwaben, sofort
gegen den Vertrag engagiren. was um so größeren Eindruck machte, als es
ein liberales und zugleich in inneren Fragen äußerst behutsam vorgehendes
Blatt ist. Ein Gleiches war mit dem Beobachter, dem Organ der Demokratie,
der Fall, welches namentlich den Haß gegen Preußen ausnutzte. Unter dem
frischen Eindruck dieser Agitation wurden dann die Requüten vorgenommen.
In weiteren Kreisen ist namentlich das Gutachten der Stuttgarter Handels¬
kammer bekannt geworden, dem ein Gutachten der Minorität zu Gunsten des
Vertrags sich entgegenstellte, welches nur drei Stimmen für sich gewann. Auch
wo unverkennbar eine dem Vertrag im Allgemeinen günstige Ansicht waltete,
wie z. B. in dem Gutachten der Heilbronner Handelskammer, wurde sie so ver-
clausulirt und mit Bedenklichkeiten gespickt, daß sich die Gegner gerade so gut
darauf berufen konnten. Unter dem Druck dieser Agitation endlich faßte auch
die Regierung ihre Entschlüsse, nicht ohne langes Zögern und mancherlei
Schwankungen. Aber sie könne sich, indem sie Herrn v. Delbrück unverrichteter


Anstand diese zu steigern, indem man die Rücksichtslosigkeit Preußens gegen
seine Verbündeten, sein eigenmächtiges Verfahren, seine Mediatisirungsgelüste in
das grellste Licht stellte. Der Art. 31 des Vertrags gab noch zu besonderen
Verdächtigungen Anlaß, und wenn man es nicht geradezu aussprach, so waren
doch die Andeutungen verständlich genug, um eine urtheilslose, ohnedies gegen
Preußen mißtrauische Bevölkerung zu dem Argwohn aufzustacheln, es handle
sich einfach um ein politisches Abkommen zwischen Frankreich und Preußen auf
Kosten Oestreichs und des übrigen Deutschlands.

So mannigfaltig und widerspruchsvoll die Elemente dieser Polemik waren,
so wirkte sie doch gerade durch die künstliche Vermengung dieser Gesichtspunkte.
Wer an die politischen Gespenster nicht glaubte, der wollte doch nicht unen>
pfänglich sein für die Gefahren, welchen die deutsche Industrie entgegenging,
und wer in dieser Beziehung freier sah, wollte wenigstens kein schlechter Patriot
sein. Wer aber diese ganze theils offen schutzzöllnerische. theils in das Gewand eines
tugendhaften Patriotismus gekleidete Agitation durchschaute. — der schwieg.
Denn so mit einem Schlage hatten jene Stimmen von der öffentlichen Meinung
Beschlag genommen, daß in der anfänglichen Verblüffung Niemand zu wider¬
sprechen wagte. Als die einstimmige Meinung Süddeutschlands kündigten sie
sich mit Emphase an, und die Erfahrung gab ihnen nur allzulange recht.
Nachdem sie schon damals, als die Verhandlungen wegen des Vertrags noch
geheim geführt wurden, denselben verdächtigt hatten, warteten sie nur dessen
Veröffentlichung ab, um die längst bereite Ladung ihrer Geschütze abzufeuern.
So ward es ihnen leicht, die öffentliche Meinung zu betäuben, bevor sich ein
ruhiges Urtheil bilden konnte. Zunächst bemächtigte man sich der Preßorgane.
Von der übrigen süddeutschen Presse zu schweigen, ließ sich unerklärlicher Weise
auch der Schwäbische Merkur, das einflußreichste Blatt in Schwaben, sofort
gegen den Vertrag engagiren. was um so größeren Eindruck machte, als es
ein liberales und zugleich in inneren Fragen äußerst behutsam vorgehendes
Blatt ist. Ein Gleiches war mit dem Beobachter, dem Organ der Demokratie,
der Fall, welches namentlich den Haß gegen Preußen ausnutzte. Unter dem
frischen Eindruck dieser Agitation wurden dann die Requüten vorgenommen.
In weiteren Kreisen ist namentlich das Gutachten der Stuttgarter Handels¬
kammer bekannt geworden, dem ein Gutachten der Minorität zu Gunsten des
Vertrags sich entgegenstellte, welches nur drei Stimmen für sich gewann. Auch
wo unverkennbar eine dem Vertrag im Allgemeinen günstige Ansicht waltete,
wie z. B. in dem Gutachten der Heilbronner Handelskammer, wurde sie so ver-
clausulirt und mit Bedenklichkeiten gespickt, daß sich die Gegner gerade so gut
darauf berufen konnten. Unter dem Druck dieser Agitation endlich faßte auch
die Regierung ihre Entschlüsse, nicht ohne langes Zögern und mancherlei
Schwankungen. Aber sie könne sich, indem sie Herrn v. Delbrück unverrichteter


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114855/212>, abgerufen am 20.10.2024.