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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band.

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ihre Entscheidung getroffen, die Schritte waren bereits geschehen, welche die
Erhaltung des Zollvereinsbandes in Frage stellen.

Die Parallele hinkt freilich insofern, als die Concordatsfrage eine überaus
populäre Seite für die Agitation bot, in dem Protestantischen Altwürtemberg
mehr als anderswo. Außer der Presse standen die Kanzeln zu Gebot, zudem
gingen die verschiedenen Parteien hier Hand in Hand. Der Handelsvertrag
dagegen, wie er zwischen Preußen und Frankreich abgeschlossen war, erschien im
Anfang als etwas Fremdes, als ein weitaussehendes Project, von dem das
eigene Land zunächst nur wenig berührt werde; aber gerade der Mangel der Er¬
kenntniß, daß der Handelsvertrag zugleich eine Existenzfrage des Zollvereins
sei, war die grobe Täuschung, in der man allzulange befangen war. Spät erst
sah man ein, wie unmittelbar wichtig die ganze Frage für das eigenste Inter¬
esse war, und wie sehr man durch die bisherige Theilnahmlosigkeit selbst dazu
beitrug, eine Krise heraufzuführen, welche in ihrer Art ebenso empfindliche
Folgen haben kann, als es auf einem andern Gebiete eine längere Gleichgiltigkeit
dem Concordat gegenüber haben mußte.

Daß die überwiegende Mehrheit in Schwaben dem Vertrag abhold ist,
steht ebenso fest, als daß es nur eine kleine Zahl ist, welche sich ihrer Gründe
hierfür bewußt ist. Widerstandlos konnte sich diese Stimmung gegen den Ver¬
trag befestigen, aber blos, weil im Anfang die öffentliche Meinung durch eine
Taktik der Gegner förmlich überrumpelt worden war, die ihnen nur allzu gut
gelang.

Das Terrain fanden sie allerdings schon aufs wünschenswertheste vor¬
bereitet. Die Schutzzolltendenzen haben hier ihre alte Heimath, und Herr von
Kcrstorf wußte wohl, warum er Stuttgart zur Metropole seines Vereins für
deutsche Industrie erkor. Noch stehen die Bestrebungen Friedrich Lifts in un¬
bestrittenen Ansehn und wirken nach, obwohl das, was List erstrebte, die Heran¬
bildung einer concurrenzfähigen Industrie, bereits erreicht ist. Der Buchstabe
lebt fort, aber wahrlich ohne den Geist des unermüdlichen Agitators, der den
Satz von Adam Smith, daß die Vermehrung des Tauschhandels einer Nation
mit der andern den Reichthum beider Nationen vermehre, als eine Grundwahr¬
heit bezeichnete, der selbst am meisten den Werth der Ausdehnung des Absatz¬
gebiets für die Industrie anerkannte, und der durch sein Wirken für die Aufhebung
der Zollschranken innerhalb Deutschlands selbst einen mächtigen handelspoliti¬
schen Fortschritt angeregt hat. Daß das verhältnißmäßig rasche Aufblühen¬
namentlich der Baumwollenindustrie wesentlich durch den Zollschutz ermöglicht
wurde, ist der einzige Gedanke, den man allerdings am wenigsten den Schwei
zerr verdenken kann, welche, nach eigenem Geständniß durch den Zollschutz an¬
gelockt, sich in Menge in Schwaben angesiedelt haben, und die begreiflicher
Weise an diese Dividendengarantie sich so lange als möglich anklammern. Es


ihre Entscheidung getroffen, die Schritte waren bereits geschehen, welche die
Erhaltung des Zollvereinsbandes in Frage stellen.

Die Parallele hinkt freilich insofern, als die Concordatsfrage eine überaus
populäre Seite für die Agitation bot, in dem Protestantischen Altwürtemberg
mehr als anderswo. Außer der Presse standen die Kanzeln zu Gebot, zudem
gingen die verschiedenen Parteien hier Hand in Hand. Der Handelsvertrag
dagegen, wie er zwischen Preußen und Frankreich abgeschlossen war, erschien im
Anfang als etwas Fremdes, als ein weitaussehendes Project, von dem das
eigene Land zunächst nur wenig berührt werde; aber gerade der Mangel der Er¬
kenntniß, daß der Handelsvertrag zugleich eine Existenzfrage des Zollvereins
sei, war die grobe Täuschung, in der man allzulange befangen war. Spät erst
sah man ein, wie unmittelbar wichtig die ganze Frage für das eigenste Inter¬
esse war, und wie sehr man durch die bisherige Theilnahmlosigkeit selbst dazu
beitrug, eine Krise heraufzuführen, welche in ihrer Art ebenso empfindliche
Folgen haben kann, als es auf einem andern Gebiete eine längere Gleichgiltigkeit
dem Concordat gegenüber haben mußte.

Daß die überwiegende Mehrheit in Schwaben dem Vertrag abhold ist,
steht ebenso fest, als daß es nur eine kleine Zahl ist, welche sich ihrer Gründe
hierfür bewußt ist. Widerstandlos konnte sich diese Stimmung gegen den Ver¬
trag befestigen, aber blos, weil im Anfang die öffentliche Meinung durch eine
Taktik der Gegner förmlich überrumpelt worden war, die ihnen nur allzu gut
gelang.

Das Terrain fanden sie allerdings schon aufs wünschenswertheste vor¬
bereitet. Die Schutzzolltendenzen haben hier ihre alte Heimath, und Herr von
Kcrstorf wußte wohl, warum er Stuttgart zur Metropole seines Vereins für
deutsche Industrie erkor. Noch stehen die Bestrebungen Friedrich Lifts in un¬
bestrittenen Ansehn und wirken nach, obwohl das, was List erstrebte, die Heran¬
bildung einer concurrenzfähigen Industrie, bereits erreicht ist. Der Buchstabe
lebt fort, aber wahrlich ohne den Geist des unermüdlichen Agitators, der den
Satz von Adam Smith, daß die Vermehrung des Tauschhandels einer Nation
mit der andern den Reichthum beider Nationen vermehre, als eine Grundwahr¬
heit bezeichnete, der selbst am meisten den Werth der Ausdehnung des Absatz¬
gebiets für die Industrie anerkannte, und der durch sein Wirken für die Aufhebung
der Zollschranken innerhalb Deutschlands selbst einen mächtigen handelspoliti¬
schen Fortschritt angeregt hat. Daß das verhältnißmäßig rasche Aufblühen¬
namentlich der Baumwollenindustrie wesentlich durch den Zollschutz ermöglicht
wurde, ist der einzige Gedanke, den man allerdings am wenigsten den Schwei
zerr verdenken kann, welche, nach eigenem Geständniß durch den Zollschutz an¬
gelockt, sich in Menge in Schwaben angesiedelt haben, und die begreiflicher
Weise an diese Dividendengarantie sich so lange als möglich anklammern. Es


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114855/210>, abgerufen am 19.10.2024.