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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band.

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Abneigung Willisens vor dem Treiben der Reaction, deren Bestrebungen end¬
lich in den Karlsbader Beschlüssen gipfelten. Obschon damals in die Nähe
des Hofes gebracht, sagte er sich doch von aller Gemeinschaft mit den dort
leider am meisten vertretenen Ansichten los und übte nur die durch die Umstände
gebotene Zurückhaltung.

Im Jahre 1825 bot ihm der alte Feldmarschall Hock an, mit seinem
Sohne eine auf zwei Jahre berechnete Bildungsreise durch die Hauptländer
Europa's zu machen. Der König gab dazu seine Genehmigung, und so löste
sich.das Verhältniß, in dem sich Willisen bisher befunden. Zwei Jahre folg¬
ten "so reich als sie ein freundliches Geschick nur einem Günstlinge bieten
konnte." Der erste Sommer wurde im südlichen Deutschland und der Schweiz,
der folgende Winter in Paris, der zweite Sommer in England, der letzte
Winter und das Frühjahr in Italien verlebt. Den Sommer t827 nach Ber¬
lin zurückgekehrt, erhielt Willisen bald die Stelle eines Chefs im großen Gene-
ralstabe, und im nächsten Jahre wurde ihm der Auftrag, den Lehrstuhl der
Kriegsgeschichte an der großen Kriegsschule zu übernehmen. Er that dies mit
Widerstreben, und nur auf wiederholtes Zureden seiner Freunde Canitz und
Radowitz. Der Wunsch hier das zu leisten, was er in der Vorrede zur "Theorie
des großen Kriegs" als die Aufgabe des Lehrers dieser Wissenschaft andeutet,
trieb ihn zu angestrengtester Thätigkeit an. Er übersah wohl das ganze Gebiet,
empfand aber immer mehr, welch ein Unterschied es ist, eine Wissenschaft zu'
seinem Gebrauch für das Leben zu beherrschen und der Befähigung sie als Leh¬
rer Andern mitzutheilen.

"Im ersten Jahre," so sagt er selbst, "wuchs die Aufgabe mir erst durch
die Vorträge selber zu ihrer vollen Bedeutung empor. Die enge Verbindung
zwischen Theorie und Praxis, die ich von allem zu Erstrebenden für das Wich¬
tigste hielt, trat mir bald auf allen Wegen vor die Augen, und es handelte
sich nur um die geeignetste Form, zu zeigen, daß beide nur dasselbe wollen und
lehren, und daß der Gegensatz, in den man beide nicht selten zu stellen beliebt
hat, lediglich auf Mißverständnissen beruht. Im zweiten Jahr der Vorträge
gelangte so die,Theorie des großen Krieges, wie sie später im Druck erschienen
ist, in allen ihren Grundzügen zur Vollendung. Die Methode aber, sie in
freiem. Vortrage, gleich mit Beispielen durchwebt, vor meinen Zuhörern zu ent¬
wickeln und umgekehrt die Feldzüge, welche ich zu schildern hatte, zu benutzen,
um jene Grundzüge zu klarem Verständniß zu bringen, hatte so guten Erfolg,
daß es mir zur entschiedensten Befriedigung gereichte."

ü^sDiese Beschäftigung mit der Wissenschaft half über Vieles hinweg, was
diese traurige Periode, die Blüthezeit der Reaction, brachte. "Alles erschien
mir," so sagt die Selbstbiographie, "Erschlaffung, Unwahrheit, gcwitterschwanaere
dunkle Zukunft. Der tiefste Mißmuth, die äußerste Unlust, mich an irgend


Abneigung Willisens vor dem Treiben der Reaction, deren Bestrebungen end¬
lich in den Karlsbader Beschlüssen gipfelten. Obschon damals in die Nähe
des Hofes gebracht, sagte er sich doch von aller Gemeinschaft mit den dort
leider am meisten vertretenen Ansichten los und übte nur die durch die Umstände
gebotene Zurückhaltung.

Im Jahre 1825 bot ihm der alte Feldmarschall Hock an, mit seinem
Sohne eine auf zwei Jahre berechnete Bildungsreise durch die Hauptländer
Europa's zu machen. Der König gab dazu seine Genehmigung, und so löste
sich.das Verhältniß, in dem sich Willisen bisher befunden. Zwei Jahre folg¬
ten „so reich als sie ein freundliches Geschick nur einem Günstlinge bieten
konnte." Der erste Sommer wurde im südlichen Deutschland und der Schweiz,
der folgende Winter in Paris, der zweite Sommer in England, der letzte
Winter und das Frühjahr in Italien verlebt. Den Sommer t827 nach Ber¬
lin zurückgekehrt, erhielt Willisen bald die Stelle eines Chefs im großen Gene-
ralstabe, und im nächsten Jahre wurde ihm der Auftrag, den Lehrstuhl der
Kriegsgeschichte an der großen Kriegsschule zu übernehmen. Er that dies mit
Widerstreben, und nur auf wiederholtes Zureden seiner Freunde Canitz und
Radowitz. Der Wunsch hier das zu leisten, was er in der Vorrede zur „Theorie
des großen Kriegs" als die Aufgabe des Lehrers dieser Wissenschaft andeutet,
trieb ihn zu angestrengtester Thätigkeit an. Er übersah wohl das ganze Gebiet,
empfand aber immer mehr, welch ein Unterschied es ist, eine Wissenschaft zu'
seinem Gebrauch für das Leben zu beherrschen und der Befähigung sie als Leh¬
rer Andern mitzutheilen.

„Im ersten Jahre," so sagt er selbst, „wuchs die Aufgabe mir erst durch
die Vorträge selber zu ihrer vollen Bedeutung empor. Die enge Verbindung
zwischen Theorie und Praxis, die ich von allem zu Erstrebenden für das Wich¬
tigste hielt, trat mir bald auf allen Wegen vor die Augen, und es handelte
sich nur um die geeignetste Form, zu zeigen, daß beide nur dasselbe wollen und
lehren, und daß der Gegensatz, in den man beide nicht selten zu stellen beliebt
hat, lediglich auf Mißverständnissen beruht. Im zweiten Jahr der Vorträge
gelangte so die,Theorie des großen Krieges, wie sie später im Druck erschienen
ist, in allen ihren Grundzügen zur Vollendung. Die Methode aber, sie in
freiem. Vortrage, gleich mit Beispielen durchwebt, vor meinen Zuhörern zu ent¬
wickeln und umgekehrt die Feldzüge, welche ich zu schildern hatte, zu benutzen,
um jene Grundzüge zu klarem Verständniß zu bringen, hatte so guten Erfolg,
daß es mir zur entschiedensten Befriedigung gereichte."

ü^sDiese Beschäftigung mit der Wissenschaft half über Vieles hinweg, was
diese traurige Periode, die Blüthezeit der Reaction, brachte. „Alles erschien
mir," so sagt die Selbstbiographie, „Erschlaffung, Unwahrheit, gcwitterschwanaere
dunkle Zukunft. Der tiefste Mißmuth, die äußerste Unlust, mich an irgend


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[0146] Abneigung Willisens vor dem Treiben der Reaction, deren Bestrebungen end¬ lich in den Karlsbader Beschlüssen gipfelten. Obschon damals in die Nähe des Hofes gebracht, sagte er sich doch von aller Gemeinschaft mit den dort leider am meisten vertretenen Ansichten los und übte nur die durch die Umstände gebotene Zurückhaltung. Im Jahre 1825 bot ihm der alte Feldmarschall Hock an, mit seinem Sohne eine auf zwei Jahre berechnete Bildungsreise durch die Hauptländer Europa's zu machen. Der König gab dazu seine Genehmigung, und so löste sich.das Verhältniß, in dem sich Willisen bisher befunden. Zwei Jahre folg¬ ten „so reich als sie ein freundliches Geschick nur einem Günstlinge bieten konnte." Der erste Sommer wurde im südlichen Deutschland und der Schweiz, der folgende Winter in Paris, der zweite Sommer in England, der letzte Winter und das Frühjahr in Italien verlebt. Den Sommer t827 nach Ber¬ lin zurückgekehrt, erhielt Willisen bald die Stelle eines Chefs im großen Gene- ralstabe, und im nächsten Jahre wurde ihm der Auftrag, den Lehrstuhl der Kriegsgeschichte an der großen Kriegsschule zu übernehmen. Er that dies mit Widerstreben, und nur auf wiederholtes Zureden seiner Freunde Canitz und Radowitz. Der Wunsch hier das zu leisten, was er in der Vorrede zur „Theorie des großen Kriegs" als die Aufgabe des Lehrers dieser Wissenschaft andeutet, trieb ihn zu angestrengtester Thätigkeit an. Er übersah wohl das ganze Gebiet, empfand aber immer mehr, welch ein Unterschied es ist, eine Wissenschaft zu' seinem Gebrauch für das Leben zu beherrschen und der Befähigung sie als Leh¬ rer Andern mitzutheilen. „Im ersten Jahre," so sagt er selbst, „wuchs die Aufgabe mir erst durch die Vorträge selber zu ihrer vollen Bedeutung empor. Die enge Verbindung zwischen Theorie und Praxis, die ich von allem zu Erstrebenden für das Wich¬ tigste hielt, trat mir bald auf allen Wegen vor die Augen, und es handelte sich nur um die geeignetste Form, zu zeigen, daß beide nur dasselbe wollen und lehren, und daß der Gegensatz, in den man beide nicht selten zu stellen beliebt hat, lediglich auf Mißverständnissen beruht. Im zweiten Jahr der Vorträge gelangte so die,Theorie des großen Krieges, wie sie später im Druck erschienen ist, in allen ihren Grundzügen zur Vollendung. Die Methode aber, sie in freiem. Vortrage, gleich mit Beispielen durchwebt, vor meinen Zuhörern zu ent¬ wickeln und umgekehrt die Feldzüge, welche ich zu schildern hatte, zu benutzen, um jene Grundzüge zu klarem Verständniß zu bringen, hatte so guten Erfolg, daß es mir zur entschiedensten Befriedigung gereichte." ü^sDiese Beschäftigung mit der Wissenschaft half über Vieles hinweg, was diese traurige Periode, die Blüthezeit der Reaction, brachte. „Alles erschien mir," so sagt die Selbstbiographie, „Erschlaffung, Unwahrheit, gcwitterschwanaere dunkle Zukunft. Der tiefste Mißmuth, die äußerste Unlust, mich an irgend

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114855/146>, abgerufen am 20.10.2024.