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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band.

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von Eger Auftrag erhalten hatte, mich von.Kassel abzuholen, hatte man zuletzt
für gut befunden, mir den Abschied zu geben, und zwar ohne mich auch nur
davon zu benachrichtigen. Oder hätte sich etwa der Gesandte in Kassel ge¬
schämt, mir den betreffenden Auftrag mitzutheilen? Gleichviel, als ich Radetzky
sagte, ich komme, mir meinen Abschied aus kaiserlichen Diensten zu holen, ant¬
wortete er: "Ja, lieber Freund, den haben Sie schon lange/' fügte aber
sogleich hinzu: "'s ist eine wahre Schand' das. Wir sind Ihnen Satisfaction
schuldig, und die sollen Sie haben. Fordern Sie, wir werden uns freuen,
Sie wieder zu haben." Ich lehnte natürlich jede Wicderanstellung ab." --

Kurz darauf indeß begegnete Willisen dem Fürsten Bentheim, der im
Begriff stand, eine deutsch-östreichische Legion zu bilden, wie es eine russisch¬
deutsche gab, und dieser bot ihm an, nut Hauptmannsrang und sicherer Aus¬
sicht auf baldige Beförderung zum Major in dieses neue Corps einzutreten.
Willisen willigte ein, wenn der Fürst es übernehmen wollte, ihn beim König
von Preußen loszubitten. Letzterer aber schlug die Bitte rund ab, doch brachte
die Art, wie der Fürst sich über Willisens Fähigkeit und Kenntniß aussprach,
jenem den vorhin erwähnten Adjutantenposten.

Mit einem Courier von Blücher (es war der nachherige General v. Brünnect),
der zu ihm zurückkehrte, ging Willisen nun aus Böhmen durch die Lausitz, an¬
fangs ohne zu wissen, wo die schlesische Armee, die in diesen Tagen ihren
kühnen Zug von der Elbe nach der Saale angetreten, zu finden sei. Den
geraden Weg von Wartenburg nach Halle, den sie eingeschlagen, wagte der
Courier, der wichtige Depeschen uut sich führte, um so weniger zu gehen, als
sie die Brücke bei Wartenburg abgebrochen fanden. So reisten sie auf dem
rechten Ufer nach Dessau. Hier wäre Willisen bei einem Haar den Franzosen wie¬
der in die Hände gefallen. Denn kaum hatten sich die beiden Reisenden mit Mühe
etwas zu essen verschafft, als plötzlich Schüsse in der Straße fielen und das Ge¬
schrei: "Die Franzosen kommen!" erscholl. Glücklicher Weise hielt die Courier¬
chaise angespannt vor der Thür, sie stürzten hinaus, jagten, was die Pferde
laufen wollten, von dannen, während Kugeln ihnen das Geleit gaben, und
kamen glücklich an den Ort ihrer Bestimmung.

Hiermit lenkte das Leben WillifenS in eine regelmäßige Bahn ein. Er
machte zunächst die Schlacht bei Leipzig und dann, immer unter Uork, den
großen Zug bis zur Hauptstadt Frankreichs nut, auf welchem er den Schlach¬
ten bei Laon und Paris bcuvohnte. 1315 ging er im zweiten Corps mit
nach Belgien und focht an den Tagen von Ligny und Waterloo, im Treffen
bei Namur und verschiedenen weniger bedeutenden Gefechten mit. Als Adjutanten
und Generalstabsofsizier war ihm gestattet, auch das große Getriebe des Krieges
aus nächster Nähe und in entscheidenden Augenblicken zu sehen und daran sein
Auge und Urtheil zu schärfen. Bei Laon, bei Ligny und Belle Alliance gingen


von Eger Auftrag erhalten hatte, mich von.Kassel abzuholen, hatte man zuletzt
für gut befunden, mir den Abschied zu geben, und zwar ohne mich auch nur
davon zu benachrichtigen. Oder hätte sich etwa der Gesandte in Kassel ge¬
schämt, mir den betreffenden Auftrag mitzutheilen? Gleichviel, als ich Radetzky
sagte, ich komme, mir meinen Abschied aus kaiserlichen Diensten zu holen, ant¬
wortete er: „Ja, lieber Freund, den haben Sie schon lange/' fügte aber
sogleich hinzu: „'s ist eine wahre Schand' das. Wir sind Ihnen Satisfaction
schuldig, und die sollen Sie haben. Fordern Sie, wir werden uns freuen,
Sie wieder zu haben." Ich lehnte natürlich jede Wicderanstellung ab." —

Kurz darauf indeß begegnete Willisen dem Fürsten Bentheim, der im
Begriff stand, eine deutsch-östreichische Legion zu bilden, wie es eine russisch¬
deutsche gab, und dieser bot ihm an, nut Hauptmannsrang und sicherer Aus¬
sicht auf baldige Beförderung zum Major in dieses neue Corps einzutreten.
Willisen willigte ein, wenn der Fürst es übernehmen wollte, ihn beim König
von Preußen loszubitten. Letzterer aber schlug die Bitte rund ab, doch brachte
die Art, wie der Fürst sich über Willisens Fähigkeit und Kenntniß aussprach,
jenem den vorhin erwähnten Adjutantenposten.

Mit einem Courier von Blücher (es war der nachherige General v. Brünnect),
der zu ihm zurückkehrte, ging Willisen nun aus Böhmen durch die Lausitz, an¬
fangs ohne zu wissen, wo die schlesische Armee, die in diesen Tagen ihren
kühnen Zug von der Elbe nach der Saale angetreten, zu finden sei. Den
geraden Weg von Wartenburg nach Halle, den sie eingeschlagen, wagte der
Courier, der wichtige Depeschen uut sich führte, um so weniger zu gehen, als
sie die Brücke bei Wartenburg abgebrochen fanden. So reisten sie auf dem
rechten Ufer nach Dessau. Hier wäre Willisen bei einem Haar den Franzosen wie¬
der in die Hände gefallen. Denn kaum hatten sich die beiden Reisenden mit Mühe
etwas zu essen verschafft, als plötzlich Schüsse in der Straße fielen und das Ge¬
schrei: „Die Franzosen kommen!" erscholl. Glücklicher Weise hielt die Courier¬
chaise angespannt vor der Thür, sie stürzten hinaus, jagten, was die Pferde
laufen wollten, von dannen, während Kugeln ihnen das Geleit gaben, und
kamen glücklich an den Ort ihrer Bestimmung.

Hiermit lenkte das Leben WillifenS in eine regelmäßige Bahn ein. Er
machte zunächst die Schlacht bei Leipzig und dann, immer unter Uork, den
großen Zug bis zur Hauptstadt Frankreichs nut, auf welchem er den Schlach¬
ten bei Laon und Paris bcuvohnte. 1315 ging er im zweiten Corps mit
nach Belgien und focht an den Tagen von Ligny und Waterloo, im Treffen
bei Namur und verschiedenen weniger bedeutenden Gefechten mit. Als Adjutanten
und Generalstabsofsizier war ihm gestattet, auch das große Getriebe des Krieges
aus nächster Nähe und in entscheidenden Augenblicken zu sehen und daran sein
Auge und Urtheil zu schärfen. Bei Laon, bei Ligny und Belle Alliance gingen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114855/144>, abgerufen am 20.10.2024.