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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band.

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Rest der Nacht noch wacker fort, und als ich gegen Morgen mich müde fühlte,
legte ich mich, gleich dem vielduldendcn Odysseus im Phäakenlande, in einem
Walde zur Ruhe, bedeckte mich mit tiefem Laub und schlief, von der Jugend
bald eingewiegt, bis die Sonne hoch am Mittag stand.

Es war der 28. August. Das Bedürfniß nach Speise und Trank führte,
mich in das nächste Dorf. Hier begegnete mir, als ich um eine Ecke bog,
plötzlich ein ganzes westfälisches Kürassierregiment. Erschrocken fuhr ich zurück,
überlegte mir aber sofort, daß Umkehren Verdacht erregen, der gerade Weg
mitten hindurch aber auch hier der beste sein würde, und verfuhr darnach.
Natürlich zogen die Reiter, die nach Kassel marschirten, ohne mich zu beachten,
weiter. Von jetzt an verhielt ich mich überhaupt wie ein gewöhnlicher Reisen¬
der und erreichte so am nächsten Tage glücklich Eisenach. Vor aller Verfolgung
der westfälischen Polizei zunächst geborgen, fuhr ich von hier mit einem Miets¬
kutscher ziemlich rasch nach Lauchstädt und verschaffte mir hier von demselben
Verwandten, bei dem ich das Jahr zuvor verhaftet worden, neues Reisegeld,
was er mir vorsichtiger Weise eigenhändig über die Grenze auf sächsischen Grund
und Boden brachte. Es schien ihm eben noch zu bedenklich, mich in seinem
Hause zu empfangen, zumal da er Maire im Orte und somit Beamter war.

Hier in Lauchstädt erfuhr ich auch Näheres über den Stand der Dinge aus dem
Kriegsschauplatze. Mit Entzücken hörte ich von den Siegen bei Großbeeren,
an der Katzbach und bei Kulm, aber mit der Zuversicht auf den endlichen
Triumph der Unserigen wuchs auch das Verlangen, sobald als möglich bei
ihnen zu sein. Nach welcher Richtung jedoch sollte ich mich von hier wenden?
Am nächsten schienen die Preußen zu sein, die bei Großbeeren gesiegt hatten,
und zu denen mich mein preußisches Herz hinzog. Indeß war ich meiner
Meinung nach noch östreichischer Offizier, und davon mußte ich erst los sein, bevor
ich meinem Wunsche folgen konnte. Die Oestreicher standen in Böhmen, und
so mußte ich versuchen, mich dahin durchzuschleichen. Das Unternehmen war
nicht leicht. Flüchtling, jedenfalls polizeilich verfolgt, ohne Paß. mit wenig
Geld, eine von Feinden durchzogene Strecke Wegs von mehr als zehn Meilen
vor mir, hielt ich es anfangs für ein ziemlich verzweifeltes Wagniß. Allein
das schon Gelungene schien bei Weitem wagehalsiger, und überdies erinnerte
ich mich. daß alle Gefahren in der Ferne schlimmer aussehen. als in
der Nähe.

So brach ich zunächst nach Leipzig auf, wo ich den Resten des neyschen
Corps begegnete, welches sich erst hier von seiner Niederlage bei Dennewitz
wieder etwas sammelte. Die Verwirrung war hier grenzenlos. Keine Be¬
hörde schien mehr zu existiren, kein Mensch achtete auf mich, sicher vor
unbequemen Anfragen trieb ich mich in dem Getümmel umher und orientirte
mich über die Lage der Dinge im Süden. Dabei erfuhr ich, daß ein Corps


Rest der Nacht noch wacker fort, und als ich gegen Morgen mich müde fühlte,
legte ich mich, gleich dem vielduldendcn Odysseus im Phäakenlande, in einem
Walde zur Ruhe, bedeckte mich mit tiefem Laub und schlief, von der Jugend
bald eingewiegt, bis die Sonne hoch am Mittag stand.

Es war der 28. August. Das Bedürfniß nach Speise und Trank führte,
mich in das nächste Dorf. Hier begegnete mir, als ich um eine Ecke bog,
plötzlich ein ganzes westfälisches Kürassierregiment. Erschrocken fuhr ich zurück,
überlegte mir aber sofort, daß Umkehren Verdacht erregen, der gerade Weg
mitten hindurch aber auch hier der beste sein würde, und verfuhr darnach.
Natürlich zogen die Reiter, die nach Kassel marschirten, ohne mich zu beachten,
weiter. Von jetzt an verhielt ich mich überhaupt wie ein gewöhnlicher Reisen¬
der und erreichte so am nächsten Tage glücklich Eisenach. Vor aller Verfolgung
der westfälischen Polizei zunächst geborgen, fuhr ich von hier mit einem Miets¬
kutscher ziemlich rasch nach Lauchstädt und verschaffte mir hier von demselben
Verwandten, bei dem ich das Jahr zuvor verhaftet worden, neues Reisegeld,
was er mir vorsichtiger Weise eigenhändig über die Grenze auf sächsischen Grund
und Boden brachte. Es schien ihm eben noch zu bedenklich, mich in seinem
Hause zu empfangen, zumal da er Maire im Orte und somit Beamter war.

Hier in Lauchstädt erfuhr ich auch Näheres über den Stand der Dinge aus dem
Kriegsschauplatze. Mit Entzücken hörte ich von den Siegen bei Großbeeren,
an der Katzbach und bei Kulm, aber mit der Zuversicht auf den endlichen
Triumph der Unserigen wuchs auch das Verlangen, sobald als möglich bei
ihnen zu sein. Nach welcher Richtung jedoch sollte ich mich von hier wenden?
Am nächsten schienen die Preußen zu sein, die bei Großbeeren gesiegt hatten,
und zu denen mich mein preußisches Herz hinzog. Indeß war ich meiner
Meinung nach noch östreichischer Offizier, und davon mußte ich erst los sein, bevor
ich meinem Wunsche folgen konnte. Die Oestreicher standen in Böhmen, und
so mußte ich versuchen, mich dahin durchzuschleichen. Das Unternehmen war
nicht leicht. Flüchtling, jedenfalls polizeilich verfolgt, ohne Paß. mit wenig
Geld, eine von Feinden durchzogene Strecke Wegs von mehr als zehn Meilen
vor mir, hielt ich es anfangs für ein ziemlich verzweifeltes Wagniß. Allein
das schon Gelungene schien bei Weitem wagehalsiger, und überdies erinnerte
ich mich. daß alle Gefahren in der Ferne schlimmer aussehen. als in
der Nähe.

So brach ich zunächst nach Leipzig auf, wo ich den Resten des neyschen
Corps begegnete, welches sich erst hier von seiner Niederlage bei Dennewitz
wieder etwas sammelte. Die Verwirrung war hier grenzenlos. Keine Be¬
hörde schien mehr zu existiren, kein Mensch achtete auf mich, sicher vor
unbequemen Anfragen trieb ich mich in dem Getümmel umher und orientirte
mich über die Lage der Dinge im Süden. Dabei erfuhr ich, daß ein Corps


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[0141] Rest der Nacht noch wacker fort, und als ich gegen Morgen mich müde fühlte, legte ich mich, gleich dem vielduldendcn Odysseus im Phäakenlande, in einem Walde zur Ruhe, bedeckte mich mit tiefem Laub und schlief, von der Jugend bald eingewiegt, bis die Sonne hoch am Mittag stand. Es war der 28. August. Das Bedürfniß nach Speise und Trank führte, mich in das nächste Dorf. Hier begegnete mir, als ich um eine Ecke bog, plötzlich ein ganzes westfälisches Kürassierregiment. Erschrocken fuhr ich zurück, überlegte mir aber sofort, daß Umkehren Verdacht erregen, der gerade Weg mitten hindurch aber auch hier der beste sein würde, und verfuhr darnach. Natürlich zogen die Reiter, die nach Kassel marschirten, ohne mich zu beachten, weiter. Von jetzt an verhielt ich mich überhaupt wie ein gewöhnlicher Reisen¬ der und erreichte so am nächsten Tage glücklich Eisenach. Vor aller Verfolgung der westfälischen Polizei zunächst geborgen, fuhr ich von hier mit einem Miets¬ kutscher ziemlich rasch nach Lauchstädt und verschaffte mir hier von demselben Verwandten, bei dem ich das Jahr zuvor verhaftet worden, neues Reisegeld, was er mir vorsichtiger Weise eigenhändig über die Grenze auf sächsischen Grund und Boden brachte. Es schien ihm eben noch zu bedenklich, mich in seinem Hause zu empfangen, zumal da er Maire im Orte und somit Beamter war. Hier in Lauchstädt erfuhr ich auch Näheres über den Stand der Dinge aus dem Kriegsschauplatze. Mit Entzücken hörte ich von den Siegen bei Großbeeren, an der Katzbach und bei Kulm, aber mit der Zuversicht auf den endlichen Triumph der Unserigen wuchs auch das Verlangen, sobald als möglich bei ihnen zu sein. Nach welcher Richtung jedoch sollte ich mich von hier wenden? Am nächsten schienen die Preußen zu sein, die bei Großbeeren gesiegt hatten, und zu denen mich mein preußisches Herz hinzog. Indeß war ich meiner Meinung nach noch östreichischer Offizier, und davon mußte ich erst los sein, bevor ich meinem Wunsche folgen konnte. Die Oestreicher standen in Böhmen, und so mußte ich versuchen, mich dahin durchzuschleichen. Das Unternehmen war nicht leicht. Flüchtling, jedenfalls polizeilich verfolgt, ohne Paß. mit wenig Geld, eine von Feinden durchzogene Strecke Wegs von mehr als zehn Meilen vor mir, hielt ich es anfangs für ein ziemlich verzweifeltes Wagniß. Allein das schon Gelungene schien bei Weitem wagehalsiger, und überdies erinnerte ich mich. daß alle Gefahren in der Ferne schlimmer aussehen. als in der Nähe. So brach ich zunächst nach Leipzig auf, wo ich den Resten des neyschen Corps begegnete, welches sich erst hier von seiner Niederlage bei Dennewitz wieder etwas sammelte. Die Verwirrung war hier grenzenlos. Keine Be¬ hörde schien mehr zu existiren, kein Mensch achtete auf mich, sicher vor unbequemen Anfragen trieb ich mich in dem Getümmel umher und orientirte mich über die Lage der Dinge im Süden. Dabei erfuhr ich, daß ein Corps

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114855/141>, abgerufen am 20.10.2024.