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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band.

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tung vertheilt waren. Und die Regierung des Rathes war eine klägliche, die
Finanzen lagen in der ärgsten Verwirrung, die Beschwerden stiegen mit jedem
Jahr, während der Rath sich bei seinen Versammlungen mit den nichtigsten
Gegenständen beschäftigte. Die Rathsleute erschienen in Talar und Barett, die
Bürgermeister im pelzverbrämten Scharlachmantel, um feierlich zu erklären, daß
der Wittib Jungblut die Erlaubniß abgeschlagen werden solle mit Nägeln zu
handeln, widrigenfalls dem Nagelschmicdamt erlaubt sei, sich die vorfindenden
Nägel mittels behörig zu ersuchenden gewaltigen Beistands hinwegzunehmen,
oder, als zwei Kölnische Soldaten gestohlen hatten, daß der eine 30 Stockschläge
ad xoZtörioi-g, erhalten und an die kaiserlich königliche Werbung übergeben,
der andere gleichfalls 30 Stockschläge g,ä poswiiora erhalten, aber an die
königlich preußische Werbung übergeben werden solle. Die kleinste innere
Schwierigkeit zu beseitigen war dagegen der Rath unfähig, ohnmächtig stand
er den Bewegungen gegenüber, welche die Zulassung der Protestanten oder die
Beschwerden über Unterschleife in der Stadt herbeiführten.

Ganz ähnlich waren die Zustände in der alten Krönungsstadt Aachen, wo
die Parteiungen und Unruhen in den letzten Jahren vor der Revolution einen
so ernsten Charakter angenommen, daß 1787 eine Neichskammergerichtscommissivn
unter Dohm zur Untersuchung der vorgefallenen Rechtsstörungen und zur Ab¬
stellung- der Mißbräuche eintraf.

Solche Gemeinwesen konnten natürlich keinen Damm gegen das Ueber-
fluthen der Revolution bilden. Aber nicht weniger kläglich sah es in den geist¬
lichen Landen aus. In Bonn, Coblenz und Mainz war das städtische Leben
schon weit früher als in Köln und Aachen vollkommen verfallen, der Rath zur
untergeordnetsten Verwaltungsbehörde herabgesunken, die sich wesentlich damit
beschäftigte, die Privilegien der verlommnen Zünfte aufrecht zu erhalten. Da
wurde die fünfzehnjährige Gertrud in Neuendorf verurtheilt, dreimal 24 Stunden
bei Wasser und Brod im Hundehaus zu sitzen, weil sie sich wiederholentlich an
Mohrrüben vergangen, oder die nvthgedrungenen Vorstellungen sammt fußfäl¬
liger Bitt der Perrückenmacherinnung gegen die Pfuscher und deren nöthige
Abhelfung berathen. Und wie in den Städten, so fehlte es auch auf dem
Lande an jedem selbständigen Leben, die Landstände traten nicht mehr zusam¬
men, der Adel suchte Stellen und Vergnügungen an den sittenlosen geistlichen
Höfen, die Bauern wurden durch Steuern und Frohnden gedrückt und aus-
gesogen. Die Regierung der letzten geistlichen Kurfürsten bot ein Durcheinander
von starrer Bigotterie, Frivolität und Aufklärung, jede Hinneigung zum Prote¬
stantismus ward verfolgt, aber zahlreiche Stellen an Illuminaten vergeben und
ein heftiger Krieg mit dem Papste darüber geführt, ob der Nuntius in Gegen¬
wart des Erzbischofs sein schwarzes Käppchen aufbehalten dürfe. Hcinse war
Vorleser des Erzbischofs von Mainz, Eulogius Schneider ward an die Bonner


tung vertheilt waren. Und die Regierung des Rathes war eine klägliche, die
Finanzen lagen in der ärgsten Verwirrung, die Beschwerden stiegen mit jedem
Jahr, während der Rath sich bei seinen Versammlungen mit den nichtigsten
Gegenständen beschäftigte. Die Rathsleute erschienen in Talar und Barett, die
Bürgermeister im pelzverbrämten Scharlachmantel, um feierlich zu erklären, daß
der Wittib Jungblut die Erlaubniß abgeschlagen werden solle mit Nägeln zu
handeln, widrigenfalls dem Nagelschmicdamt erlaubt sei, sich die vorfindenden
Nägel mittels behörig zu ersuchenden gewaltigen Beistands hinwegzunehmen,
oder, als zwei Kölnische Soldaten gestohlen hatten, daß der eine 30 Stockschläge
ad xoZtörioi-g, erhalten und an die kaiserlich königliche Werbung übergeben,
der andere gleichfalls 30 Stockschläge g,ä poswiiora erhalten, aber an die
königlich preußische Werbung übergeben werden solle. Die kleinste innere
Schwierigkeit zu beseitigen war dagegen der Rath unfähig, ohnmächtig stand
er den Bewegungen gegenüber, welche die Zulassung der Protestanten oder die
Beschwerden über Unterschleife in der Stadt herbeiführten.

Ganz ähnlich waren die Zustände in der alten Krönungsstadt Aachen, wo
die Parteiungen und Unruhen in den letzten Jahren vor der Revolution einen
so ernsten Charakter angenommen, daß 1787 eine Neichskammergerichtscommissivn
unter Dohm zur Untersuchung der vorgefallenen Rechtsstörungen und zur Ab¬
stellung- der Mißbräuche eintraf.

Solche Gemeinwesen konnten natürlich keinen Damm gegen das Ueber-
fluthen der Revolution bilden. Aber nicht weniger kläglich sah es in den geist¬
lichen Landen aus. In Bonn, Coblenz und Mainz war das städtische Leben
schon weit früher als in Köln und Aachen vollkommen verfallen, der Rath zur
untergeordnetsten Verwaltungsbehörde herabgesunken, die sich wesentlich damit
beschäftigte, die Privilegien der verlommnen Zünfte aufrecht zu erhalten. Da
wurde die fünfzehnjährige Gertrud in Neuendorf verurtheilt, dreimal 24 Stunden
bei Wasser und Brod im Hundehaus zu sitzen, weil sie sich wiederholentlich an
Mohrrüben vergangen, oder die nvthgedrungenen Vorstellungen sammt fußfäl¬
liger Bitt der Perrückenmacherinnung gegen die Pfuscher und deren nöthige
Abhelfung berathen. Und wie in den Städten, so fehlte es auch auf dem
Lande an jedem selbständigen Leben, die Landstände traten nicht mehr zusam¬
men, der Adel suchte Stellen und Vergnügungen an den sittenlosen geistlichen
Höfen, die Bauern wurden durch Steuern und Frohnden gedrückt und aus-
gesogen. Die Regierung der letzten geistlichen Kurfürsten bot ein Durcheinander
von starrer Bigotterie, Frivolität und Aufklärung, jede Hinneigung zum Prote¬
stantismus ward verfolgt, aber zahlreiche Stellen an Illuminaten vergeben und
ein heftiger Krieg mit dem Papste darüber geführt, ob der Nuntius in Gegen¬
wart des Erzbischofs sein schwarzes Käppchen aufbehalten dürfe. Hcinse war
Vorleser des Erzbischofs von Mainz, Eulogius Schneider ward an die Bonner


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114313/512>, abgerufen am 05.02.2025.