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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band.

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Erbauungsbücher weg, um sie -- zum Theil unter dem Galgen -- zu verbrennen.
Man zwang endlich mit Drohungen und Gewaltthätigkeiten aller Art die evangeli¬
schen Bürger und Bauern in die katholische Messe und zum Genuß des katholischen
Abendmahls, die evangelischen Kinder zum Besuch der katholischen Schule.
Kein Protestant durfte Grundeigenthum erwerben, keiner ein Gewerbe betreiben,
nicht einmal ein ehrliches Begräbnis; gewährte ihnen die Unduldsamkeit ihres
Feindes. Viele widerstanden, mehre Jahre hindurch währte der Kampf Einzel¬
ner bald laut, bald weniger hörbar -- endlich wurde es allenthalben still.

Der protestantische Glaube schien zu Ende des dreißigjährigen Kriegs in
Böhmen und Mähren wirklich ausgelöscht zu sein. Nur einige schlesische Ge¬
meinden blieben ihm erhalten.

Da erschien das Toleranzedict Josephs des Zweiten, und beinahe auf
einen Schlag veränderte sich das Bild. Eine ganze Anzahl evangelischer Ge¬
meinden in Böhmen wie in Mähren ließ plötzlich und zu großer Ueberraschung
der Uneingeweihten ihr Licht wieder leuchten, das sie seit mehr als hundert
Jahren nothgedrungen hatten unter den Scheffel stellen müssen.

Es ist wahr, das Edict von 1781 gab nicht viel. Es erlaubte Bethäuser,
aber dieselben durften keine Glocken, keinen Eingang von der Straße und
überhaupt nicht die äußere Gestalt von Kirchen haben. Es gestattete die Be-,
rufung von Geistlichen und Lehrern, aber jene durften keine öffentlichen Zeug¬
nisse ausstellen, und die Stolgebührcn für alle kirchlichen Handlungen mußten
nach wie vor an den katholischen Priester entrichtet werden. Aber es gab doch
Duldung, und mit Jubel wurde dieses kaiserliche Geschenk benutzt.

Betrachten wir eine dieser glücklichen Gemeinden. Im mährischen Kuh-
ländchen liegt das Dorf Zauchtel, ein Ort von etwa 800 Einwohnern, einst
ein Sitz der böhmischen Brüder. Hier bewegt sich einige Tage nach Veröffent¬
lichung des Toleranzedicts ein langer Zug von Menschen nach Fulnek, dem Ort
des Kreisamts. Es scheint eine Wallfahrtsprvcession zr; sein, aber die Lieder,
die sie singen, sind alte Reformationslieder. Sie erscheinen vor dem Amtmann.
"Was wollt ihr so viele?" -- "Wir sind Evangelische und wollen uns um Er¬
laubniß zur Bildung einer Gemeinde unsres Bekenntnisses melden." -- "Wie?
Protestanten in Zauchtel und das so viele? das scheint ja das halbe Dorf zu
sein." Nein, der Beamte hatte sich getäuscht: nicht das halbe, sondern das
ganze Dorf war ausgezogen, um sich als evangelisch zu melden.

Und wie hier, so geschah es anderwärts. Ueber sechzig protestantische Ge¬
meinden erhoben ihr Haupt, und gegen hunderttausend Evangelische traten wie
aus dem Boden gewachsen an das Licht der Oeffentlichkeit. Die Kirche hatte-
sich in die SUlle des Hauses geflüchtet, die Familie den Glauben fortgepflanzt,
der Hausvater die Stelle des Geistlichen vertreten. Ihre Bibeln, ihre Gescmg-
und Gebetbücher hatte ihnen der Fanatismus der Gegner genommen, nur einige


Erbauungsbücher weg, um sie — zum Theil unter dem Galgen — zu verbrennen.
Man zwang endlich mit Drohungen und Gewaltthätigkeiten aller Art die evangeli¬
schen Bürger und Bauern in die katholische Messe und zum Genuß des katholischen
Abendmahls, die evangelischen Kinder zum Besuch der katholischen Schule.
Kein Protestant durfte Grundeigenthum erwerben, keiner ein Gewerbe betreiben,
nicht einmal ein ehrliches Begräbnis; gewährte ihnen die Unduldsamkeit ihres
Feindes. Viele widerstanden, mehre Jahre hindurch währte der Kampf Einzel¬
ner bald laut, bald weniger hörbar — endlich wurde es allenthalben still.

Der protestantische Glaube schien zu Ende des dreißigjährigen Kriegs in
Böhmen und Mähren wirklich ausgelöscht zu sein. Nur einige schlesische Ge¬
meinden blieben ihm erhalten.

Da erschien das Toleranzedict Josephs des Zweiten, und beinahe auf
einen Schlag veränderte sich das Bild. Eine ganze Anzahl evangelischer Ge¬
meinden in Böhmen wie in Mähren ließ plötzlich und zu großer Ueberraschung
der Uneingeweihten ihr Licht wieder leuchten, das sie seit mehr als hundert
Jahren nothgedrungen hatten unter den Scheffel stellen müssen.

Es ist wahr, das Edict von 1781 gab nicht viel. Es erlaubte Bethäuser,
aber dieselben durften keine Glocken, keinen Eingang von der Straße und
überhaupt nicht die äußere Gestalt von Kirchen haben. Es gestattete die Be-,
rufung von Geistlichen und Lehrern, aber jene durften keine öffentlichen Zeug¬
nisse ausstellen, und die Stolgebührcn für alle kirchlichen Handlungen mußten
nach wie vor an den katholischen Priester entrichtet werden. Aber es gab doch
Duldung, und mit Jubel wurde dieses kaiserliche Geschenk benutzt.

Betrachten wir eine dieser glücklichen Gemeinden. Im mährischen Kuh-
ländchen liegt das Dorf Zauchtel, ein Ort von etwa 800 Einwohnern, einst
ein Sitz der böhmischen Brüder. Hier bewegt sich einige Tage nach Veröffent¬
lichung des Toleranzedicts ein langer Zug von Menschen nach Fulnek, dem Ort
des Kreisamts. Es scheint eine Wallfahrtsprvcession zr; sein, aber die Lieder,
die sie singen, sind alte Reformationslieder. Sie erscheinen vor dem Amtmann.
„Was wollt ihr so viele?" — „Wir sind Evangelische und wollen uns um Er¬
laubniß zur Bildung einer Gemeinde unsres Bekenntnisses melden." — „Wie?
Protestanten in Zauchtel und das so viele? das scheint ja das halbe Dorf zu
sein." Nein, der Beamte hatte sich getäuscht: nicht das halbe, sondern das
ganze Dorf war ausgezogen, um sich als evangelisch zu melden.

Und wie hier, so geschah es anderwärts. Ueber sechzig protestantische Ge¬
meinden erhoben ihr Haupt, und gegen hunderttausend Evangelische traten wie
aus dem Boden gewachsen an das Licht der Oeffentlichkeit. Die Kirche hatte-
sich in die SUlle des Hauses geflüchtet, die Familie den Glauben fortgepflanzt,
der Hausvater die Stelle des Geistlichen vertreten. Ihre Bibeln, ihre Gescmg-
und Gebetbücher hatte ihnen der Fanatismus der Gegner genommen, nur einige


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114313/50>, abgerufen am 10.02.2025.