Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band.gänzlich vernichtet, dagegen die Steuern seil 1851 um fast die Hälfte ihres damaligen Von dem Vernichtungskrieg, den der Freiherr von Dalwigk gegen die Freiheiten Wir nannten nur Einiges, und glauben damit das ganze System zur Ge¬ Auch diese dunkelste Seite des neuesten hessischen Staatslebens versprach uns die ") Bekannt ist die Entscheidung der Heidelberger Juristensacultät in Sachen Dalwigk gegen
die 109 Offcnvacher: daß Verordnungen, welche ohne Mitwirkung der Stände von der Regie¬ rung einseitig erlassen wurden, für den Richter nicht verbindlich sind, -- eine Entscheidung, der soeben noch der deutsche Zurisieniag in Wien vertrat. Welch' neue beschämende Nieder¬ lage für die hessische Regierung! gänzlich vernichtet, dagegen die Steuern seil 1851 um fast die Hälfte ihres damaligen Von dem Vernichtungskrieg, den der Freiherr von Dalwigk gegen die Freiheiten Wir nannten nur Einiges, und glauben damit das ganze System zur Ge¬ Auch diese dunkelste Seite des neuesten hessischen Staatslebens versprach uns die ") Bekannt ist die Entscheidung der Heidelberger Juristensacultät in Sachen Dalwigk gegen
die 109 Offcnvacher: daß Verordnungen, welche ohne Mitwirkung der Stände von der Regie¬ rung einseitig erlassen wurden, für den Richter nicht verbindlich sind, — eine Entscheidung, der soeben noch der deutsche Zurisieniag in Wien vertrat. Welch' neue beschämende Nieder¬ lage für die hessische Regierung! <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0494" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/114808"/> <p xml:id="ID_1932" prev="#ID_1931"> gänzlich vernichtet, dagegen die Steuern seil 1851 um fast die Hälfte ihres damaligen<lb/> Betrages erhöht, und die hessische Staateschuld in derselben Zeit nahezu verdoppelt<lb/> wurde. (Steuern: jetzt elf Kreuzer vom Gulden Steuerkapital gegen acht Kreuzer<lb/> damals. Staatsschuld: 6,970.000 Fi. gegen 3,669,000 Fi.) —</p><lb/> <p xml:id="ID_1933"> Von dem Vernichtungskrieg, den der Freiherr von Dalwigk gegen die Freiheiten<lb/> des Hcssenvolkes führte, sei hier nur das Hauptsächlichste erwähnt: Vernichtet wurde<lb/> die Freiheit der Gemeindeverfassung (Classenwahl zum Gemeinderath, den die Ne¬<lb/> gierung jederzeit auslösen kann, und aus dessen Mitte sie sich einen gefügigen Bür¬<lb/> germeister aussucht); die Freiheit des Vereins- und Versammlungsrechts auf Grund<lb/> einfacher Cabinetsoroonnanzen*) (Verfolgung des Nationalvercins!); die Freiheit der<lb/> Presse (in Hessen wurde jede entschiedene Oppositionspresse zu Tode gemaßregelt, u,ut<lb/> ein mit dem letzten Landtag zurechtgemachtes, eben jetzt veröffentlichtes Preßgcsctz knebelt<lb/> die in- und ausländische Presse in ganz unerhörter.Weise). Weiter kam zur Durch¬<lb/> führung die bedeutsamste Beschränkung des Instituts der Geschwornen (Entziehung<lb/> der politischen und Preszvergchen). An die Stelle des früheren freisinnigen Wahl¬<lb/> gesetzes trat ferner das jetzige, oben charcrkterisirte; endlich schloß Herr von Dalwigk<lb/> das berüchtigte Concordat mit dem Bischof Ketteler von Mainz. —</p><lb/> <p xml:id="ID_1934"> Wir nannten nur Einiges, und glauben damit das ganze System zur Ge¬<lb/> nüge gekennzeichnet zu haben. Schlimmer aber ist ein Anderes. Ein später<lb/> kommendes liberales Regiment kann die zerstörten Freiheiten rascher wieder herstellen,<lb/> als man sie vernichtete; weit schwieriger dagegen ist es (wie das Beispiel Preußens<lb/> aus der Mauteuffelzeit zeigt), die tieseingerissene Corruption des hessischen Beamtcn-<lb/> standes auszurotten.</p><lb/> <p xml:id="ID_1935" next="#ID_1936"> Auch diese dunkelste Seite des neuesten hessischen Staatslebens versprach uns die<lb/> „Wochenschrift" f. Z. zu enthüllen, denn, wie wir bestimmt wissen, sind die Führer<lb/> der Nationalpartei in Hessen zur Kenntniß einer langen Reihe von Thatsachen gelangt,<lb/> welche, an's Licht der Oeffentlichkeit gezogen, eine große Anzahl der angesehensten<lb/> Administrativ- und Justizbeamlen in empfindlichster Weise compromittiren würden,<lb/> und wenn man noch zögert, damit hervorzutreten, so mögen dem wohl nur Rück¬<lb/> sichten der Menschlichkeit zu Grunde liegen. Aber es können Zeiten kommen, wo diese<lb/> wie überhaupt jede Rücksicht vor dem Gebot der Nothwehr verstummen muß. Daß<lb/> auch sonst in der Beamtenhierarchie Manches faul war und noch ist, wird man sich<lb/> vorstellen. Es ist ein vom Herrn v. Dalwigk selbst wohl nicht geleugnetes Factum, daß<lb/> unter seiner Herrschaft nur der Beamte Carriere macht, welcher ein offner Liebediener<lb/> seiner Gewalt ist. Glänzende Avancements und Gehaltszulagen erhielten, mit<lb/> rücksichtslosester Umgehung älterer und befähigterer Beamten, lediglich solche, welche<lb/> die Gabe zu schmeicheln, sich zu demüthigen und sich zu crccommodiren besaßen. Die<lb/> auf solche Weise übergangnen und ebenso die auf solche Art beförderten Persönlich¬<lb/> keiten ließen sich mit Namen nennen; es gäbe ihrer eine lange Reihe! Von einer</p><lb/> <note xml:id="FID_32" place="foot"> ") Bekannt ist die Entscheidung der Heidelberger Juristensacultät in Sachen Dalwigk gegen<lb/> die 109 Offcnvacher: daß Verordnungen, welche ohne Mitwirkung der Stände von der Regie¬<lb/> rung einseitig erlassen wurden, für den Richter nicht verbindlich sind, — eine Entscheidung,<lb/> der soeben noch der deutsche Zurisieniag in Wien vertrat. Welch' neue beschämende Nieder¬<lb/> lage für die hessische Regierung!</note><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0494]
gänzlich vernichtet, dagegen die Steuern seil 1851 um fast die Hälfte ihres damaligen
Betrages erhöht, und die hessische Staateschuld in derselben Zeit nahezu verdoppelt
wurde. (Steuern: jetzt elf Kreuzer vom Gulden Steuerkapital gegen acht Kreuzer
damals. Staatsschuld: 6,970.000 Fi. gegen 3,669,000 Fi.) —
Von dem Vernichtungskrieg, den der Freiherr von Dalwigk gegen die Freiheiten
des Hcssenvolkes führte, sei hier nur das Hauptsächlichste erwähnt: Vernichtet wurde
die Freiheit der Gemeindeverfassung (Classenwahl zum Gemeinderath, den die Ne¬
gierung jederzeit auslösen kann, und aus dessen Mitte sie sich einen gefügigen Bür¬
germeister aussucht); die Freiheit des Vereins- und Versammlungsrechts auf Grund
einfacher Cabinetsoroonnanzen*) (Verfolgung des Nationalvercins!); die Freiheit der
Presse (in Hessen wurde jede entschiedene Oppositionspresse zu Tode gemaßregelt, u,ut
ein mit dem letzten Landtag zurechtgemachtes, eben jetzt veröffentlichtes Preßgcsctz knebelt
die in- und ausländische Presse in ganz unerhörter.Weise). Weiter kam zur Durch¬
führung die bedeutsamste Beschränkung des Instituts der Geschwornen (Entziehung
der politischen und Preszvergchen). An die Stelle des früheren freisinnigen Wahl¬
gesetzes trat ferner das jetzige, oben charcrkterisirte; endlich schloß Herr von Dalwigk
das berüchtigte Concordat mit dem Bischof Ketteler von Mainz. —
Wir nannten nur Einiges, und glauben damit das ganze System zur Ge¬
nüge gekennzeichnet zu haben. Schlimmer aber ist ein Anderes. Ein später
kommendes liberales Regiment kann die zerstörten Freiheiten rascher wieder herstellen,
als man sie vernichtete; weit schwieriger dagegen ist es (wie das Beispiel Preußens
aus der Mauteuffelzeit zeigt), die tieseingerissene Corruption des hessischen Beamtcn-
standes auszurotten.
Auch diese dunkelste Seite des neuesten hessischen Staatslebens versprach uns die
„Wochenschrift" f. Z. zu enthüllen, denn, wie wir bestimmt wissen, sind die Führer
der Nationalpartei in Hessen zur Kenntniß einer langen Reihe von Thatsachen gelangt,
welche, an's Licht der Oeffentlichkeit gezogen, eine große Anzahl der angesehensten
Administrativ- und Justizbeamlen in empfindlichster Weise compromittiren würden,
und wenn man noch zögert, damit hervorzutreten, so mögen dem wohl nur Rück¬
sichten der Menschlichkeit zu Grunde liegen. Aber es können Zeiten kommen, wo diese
wie überhaupt jede Rücksicht vor dem Gebot der Nothwehr verstummen muß. Daß
auch sonst in der Beamtenhierarchie Manches faul war und noch ist, wird man sich
vorstellen. Es ist ein vom Herrn v. Dalwigk selbst wohl nicht geleugnetes Factum, daß
unter seiner Herrschaft nur der Beamte Carriere macht, welcher ein offner Liebediener
seiner Gewalt ist. Glänzende Avancements und Gehaltszulagen erhielten, mit
rücksichtslosester Umgehung älterer und befähigterer Beamten, lediglich solche, welche
die Gabe zu schmeicheln, sich zu demüthigen und sich zu crccommodiren besaßen. Die
auf solche Weise übergangnen und ebenso die auf solche Art beförderten Persönlich¬
keiten ließen sich mit Namen nennen; es gäbe ihrer eine lange Reihe! Von einer
") Bekannt ist die Entscheidung der Heidelberger Juristensacultät in Sachen Dalwigk gegen
die 109 Offcnvacher: daß Verordnungen, welche ohne Mitwirkung der Stände von der Regie¬
rung einseitig erlassen wurden, für den Richter nicht verbindlich sind, — eine Entscheidung,
der soeben noch der deutsche Zurisieniag in Wien vertrat. Welch' neue beschämende Nieder¬
lage für die hessische Regierung!
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