Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

men ausgelöst werden müssen, wenn sie nicht ermordet oder in die Harems ge¬
bracht werden sollen. Weite Strecken des fruchtbarsten Bodens liegen unbebaut,
die Meisten cultiviren nur so viel Land, als zur Ernährung ihrer Familie aus¬
reicht. Man hat eben keine Neigung für die Räuber zu arbeiten, auch ist der
furchtbar schlechten Wege halber an Ausfuhr nur an wenigen Stellen zu denken,
und die Producte sind in Folge dessen hier so wohlfeil, daß sie die Mühe des
Erzeugnis nicht lohnen.

Der bulgarische Bauer ist factisch nichts als ein Feldsklave des Türken.
Fast die Hälfte seiner Einnahmen verschlingen die Steuern. Die Zehntel¬
abgaben in den Dörfern werden an den Meistbietenden verpachtet und diese so¬
genannten Jusehurzeit ist der Gipfel der Ausbeutung des Landvolkes; denn
wird ein türkisches Dorf von 60 Familien mit etwa 10,000 Piastern besteuert,
so muß ein gleich großes bulgarisches mindestens das Fünffache entrichten.
Ganz in der Ordnung, sagen die Türken. Man kann den Moslem doch nicht
wie einen Gjaur behandeln. In den letzten Jahren begnügte man sich nicht
einmal mit den sonst üblichen Abgaben. Früher forderte man den Zehnten als
zehn Procent von Waare in Waare ein, also etwa von hundert Schafen zehn.
Jetzt erhebt man die Abgabe in baarem Gelde, und dabei taxirt man so, daß
ein Besitzgegenstand, der tausend Piaster vollen Werth hat, auf mindestens drei¬
tausend geschätzt wird, der Bauer also statt hundert wenigstens dreihundert
Piaster zahlen muß.

Sonst war der Seidenbau ein gut lohnender Erwerbszweig für die niedere
Classe der bulgarischen Bevölkerung. Jetzt ist derselbe durch die Türken fast
ganz zu Grunde gerichtet. Früher entrichtete man für einen bestimmten Flä¬
chenraum, welcher der Zucht der Seidenraupen gewidmet war, eine Steuer
von 2V2 Piastern. Nicht sobald aber merkten die Türken, daß der Seidenbau ein
einträgliches Geschäft sei, mis sie die Steuer erhöhten, und jetzt zahlt der Bauer
das Zehn- bis Fünszehnfache dessen, was er früher zu geben hatte. Außerdem
aber geschieht die Versteuerung vor der Spinnzeit, wenn die Raupen vollkom¬
men gesund sind; später stirbt oft ein großer Theil der Thiere, und so beläuft
sich die Steuer bisweilen höher als der Verdienst der Leute.

Seit einiger Zeit sind ferner die Schweine mit einer so hohen Steuer be¬
legt worden, daß man glauben möchte, es sei auf die Ausrottung dieser dem
Moslem verhaßten Vierfüßler abgesehen. Jedes Schwein, das über drei Mo¬
nate alt ist, unterliegt jener Abgabe. Da indeß das arme Thier keinen Ge¬
burtsschein aufweisen kann, so haben die Türken ein anderes sinnreiches Mittel
erfunden, um das Alter desselben zu bestimmen. Die türkischen Behörden, welche
die Steuer erheben, legen das Schwein in ein Gefäß, welches an der Seite
eine Oeffnung hat, und suchen dann das Thier durch einen hindurchgeschobenen
Stock aufzustacheln. Ist das Schwein kräftig genug, sich der schmerzhaften Be-


60*

men ausgelöst werden müssen, wenn sie nicht ermordet oder in die Harems ge¬
bracht werden sollen. Weite Strecken des fruchtbarsten Bodens liegen unbebaut,
die Meisten cultiviren nur so viel Land, als zur Ernährung ihrer Familie aus¬
reicht. Man hat eben keine Neigung für die Räuber zu arbeiten, auch ist der
furchtbar schlechten Wege halber an Ausfuhr nur an wenigen Stellen zu denken,
und die Producte sind in Folge dessen hier so wohlfeil, daß sie die Mühe des
Erzeugnis nicht lohnen.

Der bulgarische Bauer ist factisch nichts als ein Feldsklave des Türken.
Fast die Hälfte seiner Einnahmen verschlingen die Steuern. Die Zehntel¬
abgaben in den Dörfern werden an den Meistbietenden verpachtet und diese so¬
genannten Jusehurzeit ist der Gipfel der Ausbeutung des Landvolkes; denn
wird ein türkisches Dorf von 60 Familien mit etwa 10,000 Piastern besteuert,
so muß ein gleich großes bulgarisches mindestens das Fünffache entrichten.
Ganz in der Ordnung, sagen die Türken. Man kann den Moslem doch nicht
wie einen Gjaur behandeln. In den letzten Jahren begnügte man sich nicht
einmal mit den sonst üblichen Abgaben. Früher forderte man den Zehnten als
zehn Procent von Waare in Waare ein, also etwa von hundert Schafen zehn.
Jetzt erhebt man die Abgabe in baarem Gelde, und dabei taxirt man so, daß
ein Besitzgegenstand, der tausend Piaster vollen Werth hat, auf mindestens drei¬
tausend geschätzt wird, der Bauer also statt hundert wenigstens dreihundert
Piaster zahlen muß.

Sonst war der Seidenbau ein gut lohnender Erwerbszweig für die niedere
Classe der bulgarischen Bevölkerung. Jetzt ist derselbe durch die Türken fast
ganz zu Grunde gerichtet. Früher entrichtete man für einen bestimmten Flä¬
chenraum, welcher der Zucht der Seidenraupen gewidmet war, eine Steuer
von 2V2 Piastern. Nicht sobald aber merkten die Türken, daß der Seidenbau ein
einträgliches Geschäft sei, mis sie die Steuer erhöhten, und jetzt zahlt der Bauer
das Zehn- bis Fünszehnfache dessen, was er früher zu geben hatte. Außerdem
aber geschieht die Versteuerung vor der Spinnzeit, wenn die Raupen vollkom¬
men gesund sind; später stirbt oft ein großer Theil der Thiere, und so beläuft
sich die Steuer bisweilen höher als der Verdienst der Leute.

Seit einiger Zeit sind ferner die Schweine mit einer so hohen Steuer be¬
legt worden, daß man glauben möchte, es sei auf die Ausrottung dieser dem
Moslem verhaßten Vierfüßler abgesehen. Jedes Schwein, das über drei Mo¬
nate alt ist, unterliegt jener Abgabe. Da indeß das arme Thier keinen Ge¬
burtsschein aufweisen kann, so haben die Türken ein anderes sinnreiches Mittel
erfunden, um das Alter desselben zu bestimmen. Die türkischen Behörden, welche
die Steuer erheben, legen das Schwein in ein Gefäß, welches an der Seite
eine Oeffnung hat, und suchen dann das Thier durch einen hindurchgeschobenen
Stock aufzustacheln. Ist das Schwein kräftig genug, sich der schmerzhaften Be-


60*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0483" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/114797"/>
          <p xml:id="ID_1895" prev="#ID_1894"> men ausgelöst werden müssen, wenn sie nicht ermordet oder in die Harems ge¬<lb/>
bracht werden sollen. Weite Strecken des fruchtbarsten Bodens liegen unbebaut,<lb/>
die Meisten cultiviren nur so viel Land, als zur Ernährung ihrer Familie aus¬<lb/>
reicht. Man hat eben keine Neigung für die Räuber zu arbeiten, auch ist der<lb/>
furchtbar schlechten Wege halber an Ausfuhr nur an wenigen Stellen zu denken,<lb/>
und die Producte sind in Folge dessen hier so wohlfeil, daß sie die Mühe des<lb/>
Erzeugnis nicht lohnen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1896"> Der bulgarische Bauer ist factisch nichts als ein Feldsklave des Türken.<lb/>
Fast die Hälfte seiner Einnahmen verschlingen die Steuern. Die Zehntel¬<lb/>
abgaben in den Dörfern werden an den Meistbietenden verpachtet und diese so¬<lb/>
genannten Jusehurzeit ist der Gipfel der Ausbeutung des Landvolkes; denn<lb/>
wird ein türkisches Dorf von 60 Familien mit etwa 10,000 Piastern besteuert,<lb/>
so muß ein gleich großes bulgarisches mindestens das Fünffache entrichten.<lb/>
Ganz in der Ordnung, sagen die Türken. Man kann den Moslem doch nicht<lb/>
wie einen Gjaur behandeln. In den letzten Jahren begnügte man sich nicht<lb/>
einmal mit den sonst üblichen Abgaben. Früher forderte man den Zehnten als<lb/>
zehn Procent von Waare in Waare ein, also etwa von hundert Schafen zehn.<lb/>
Jetzt erhebt man die Abgabe in baarem Gelde, und dabei taxirt man so, daß<lb/>
ein Besitzgegenstand, der tausend Piaster vollen Werth hat, auf mindestens drei¬<lb/>
tausend geschätzt wird, der Bauer also statt hundert wenigstens dreihundert<lb/>
Piaster zahlen muß.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1897"> Sonst war der Seidenbau ein gut lohnender Erwerbszweig für die niedere<lb/>
Classe der bulgarischen Bevölkerung. Jetzt ist derselbe durch die Türken fast<lb/>
ganz zu Grunde gerichtet. Früher entrichtete man für einen bestimmten Flä¬<lb/>
chenraum, welcher der Zucht der Seidenraupen gewidmet war, eine Steuer<lb/>
von 2V2 Piastern. Nicht sobald aber merkten die Türken, daß der Seidenbau ein<lb/>
einträgliches Geschäft sei, mis sie die Steuer erhöhten, und jetzt zahlt der Bauer<lb/>
das Zehn- bis Fünszehnfache dessen, was er früher zu geben hatte. Außerdem<lb/>
aber geschieht die Versteuerung vor der Spinnzeit, wenn die Raupen vollkom¬<lb/>
men gesund sind; später stirbt oft ein großer Theil der Thiere, und so beläuft<lb/>
sich die Steuer bisweilen höher als der Verdienst der Leute.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1898" next="#ID_1899"> Seit einiger Zeit sind ferner die Schweine mit einer so hohen Steuer be¬<lb/>
legt worden, daß man glauben möchte, es sei auf die Ausrottung dieser dem<lb/>
Moslem verhaßten Vierfüßler abgesehen. Jedes Schwein, das über drei Mo¬<lb/>
nate alt ist, unterliegt jener Abgabe. Da indeß das arme Thier keinen Ge¬<lb/>
burtsschein aufweisen kann, so haben die Türken ein anderes sinnreiches Mittel<lb/>
erfunden, um das Alter desselben zu bestimmen. Die türkischen Behörden, welche<lb/>
die Steuer erheben, legen das Schwein in ein Gefäß, welches an der Seite<lb/>
eine Oeffnung hat, und suchen dann das Thier durch einen hindurchgeschobenen<lb/>
Stock aufzustacheln. Ist das Schwein kräftig genug, sich der schmerzhaften Be-</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> 60*</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0483] men ausgelöst werden müssen, wenn sie nicht ermordet oder in die Harems ge¬ bracht werden sollen. Weite Strecken des fruchtbarsten Bodens liegen unbebaut, die Meisten cultiviren nur so viel Land, als zur Ernährung ihrer Familie aus¬ reicht. Man hat eben keine Neigung für die Räuber zu arbeiten, auch ist der furchtbar schlechten Wege halber an Ausfuhr nur an wenigen Stellen zu denken, und die Producte sind in Folge dessen hier so wohlfeil, daß sie die Mühe des Erzeugnis nicht lohnen. Der bulgarische Bauer ist factisch nichts als ein Feldsklave des Türken. Fast die Hälfte seiner Einnahmen verschlingen die Steuern. Die Zehntel¬ abgaben in den Dörfern werden an den Meistbietenden verpachtet und diese so¬ genannten Jusehurzeit ist der Gipfel der Ausbeutung des Landvolkes; denn wird ein türkisches Dorf von 60 Familien mit etwa 10,000 Piastern besteuert, so muß ein gleich großes bulgarisches mindestens das Fünffache entrichten. Ganz in der Ordnung, sagen die Türken. Man kann den Moslem doch nicht wie einen Gjaur behandeln. In den letzten Jahren begnügte man sich nicht einmal mit den sonst üblichen Abgaben. Früher forderte man den Zehnten als zehn Procent von Waare in Waare ein, also etwa von hundert Schafen zehn. Jetzt erhebt man die Abgabe in baarem Gelde, und dabei taxirt man so, daß ein Besitzgegenstand, der tausend Piaster vollen Werth hat, auf mindestens drei¬ tausend geschätzt wird, der Bauer also statt hundert wenigstens dreihundert Piaster zahlen muß. Sonst war der Seidenbau ein gut lohnender Erwerbszweig für die niedere Classe der bulgarischen Bevölkerung. Jetzt ist derselbe durch die Türken fast ganz zu Grunde gerichtet. Früher entrichtete man für einen bestimmten Flä¬ chenraum, welcher der Zucht der Seidenraupen gewidmet war, eine Steuer von 2V2 Piastern. Nicht sobald aber merkten die Türken, daß der Seidenbau ein einträgliches Geschäft sei, mis sie die Steuer erhöhten, und jetzt zahlt der Bauer das Zehn- bis Fünszehnfache dessen, was er früher zu geben hatte. Außerdem aber geschieht die Versteuerung vor der Spinnzeit, wenn die Raupen vollkom¬ men gesund sind; später stirbt oft ein großer Theil der Thiere, und so beläuft sich die Steuer bisweilen höher als der Verdienst der Leute. Seit einiger Zeit sind ferner die Schweine mit einer so hohen Steuer be¬ legt worden, daß man glauben möchte, es sei auf die Ausrottung dieser dem Moslem verhaßten Vierfüßler abgesehen. Jedes Schwein, das über drei Mo¬ nate alt ist, unterliegt jener Abgabe. Da indeß das arme Thier keinen Ge¬ burtsschein aufweisen kann, so haben die Türken ein anderes sinnreiches Mittel erfunden, um das Alter desselben zu bestimmen. Die türkischen Behörden, welche die Steuer erheben, legen das Schwein in ein Gefäß, welches an der Seite eine Oeffnung hat, und suchen dann das Thier durch einen hindurchgeschobenen Stock aufzustacheln. Ist das Schwein kräftig genug, sich der schmerzhaften Be- 60*

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114313
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114313/483
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114313/483>, abgerufen am 29.08.2024.