Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

von Feuersbrünsten verheert, vom Strome überfluthet, dennoch das wohlerhal-
tenste Denkmal des Alterthums. Es ging mit geringen Veränderungen vom
beionischen zum christlichen Gottesdienste über, und der Lichtstrom, welcher der'
einst durch die Nundung in der Wölbung auf den ganzen Kreis heidnischer
Gottheiten quoll, schaut jetzt herab aus den Cultus der Madonna, auf das
Grab des Raphael. Die grandiose Säulenhalle des Portikus ist mit einem
Eisengitter umschlossen, innerhalb dessen Kinder mit Kupfermünzen g, 1a, boeeig.
spielen, und Federviehhändler sich etablut haben. Auf dem Platze aber um
die Fontaine ist ein reges, buntes Leben von Leuten aus dem Volke; Gärtner,
Fleisch- und Wildprtthcindler. Fischer ?c. haben auf der Erde oder in Buden
ihre Producte ausgebreitet, um sie herum ist eine Art Börse sür die Getreide¬
händler. Hier hat sich die Menge geschaart um neapolitanische Bänkelsänger,
die zur Guitarre ein beliebtes Volkslied singen, in einem Dialekt, der uns
gänzlich unverständlich ist; dort steht auf einem mit rothem Tuch und
Goldfranzen ausgeschlagenen Wagen ein Marktschreier, ein reisender Medicus,
welcher Mittel gegen Schlangenbiß, bösen Blick, Ungeziefer, ferner Liebestränke
und Wichse anpreist und eben beschäftigt ist, einem Unglücklichen einen Back¬
zahn auszureißen.

Laß uns vorüberwandern an diesen Bildern, die in italienischen Städten
zu den Alltäglichkeiten gehören, weiter nach dem Navonaplatze. Ein päpstlicher
Stallmeister kommt daher gesprengt und gebietet Raum zu geben, einzelne
Nobelgarden folgen ihm und zwingen die Wagen zu halten oder in die Neben¬
straßen auszuweichen; die Insassen steigen zur Erde herab. Der Papst fahrt
an uns vorüber im langsamen Trabe, umgeben von einem Trupp prächtig ge¬
kleideter und berittener Nobelgarden. Alle anderen Menschen und auch wir
sinken auf die Kri,e. Es ist ein altertdümlicher Aufzug. der an längst ver¬
schollene Zeiten erinnert. Die acht schwarzen Hengste vor der reich'vergoldeten
Glaskutsche, die Geschirre der Pferde, die Reitknechte, die Bedienten, alles als
ob es dem vorigen Jahrhundert entnommen sei; der Papst mit seinem milden,
freundlichen Gesichte breitet segnend die Hände über die Menge aus. Mehre
schwere, ebenso altmodische Wagen, mit Cardinälen darin, folgen. Aber die
begeisterten Evviva's lassen sich schon seit langer Zeit nicht mehr hören, die den
Papst vor vierzehn Jahren auf seinen Auffahrten begleiteten; heut bringt man
die Ovation dem heiligen Vater, nicht der Person des weltlichen Regenten dar.
Die Kirche, von welcher der Zug herkommt, die heut irgend ein Fest gefeiert
hat, ist äußerlich und innerlich'prächtig geschmückt mit rothen, weihen und gol¬
denen Drapirungen, mit Laubgewinden und Blumenkränzen- Die breite Frei¬
treppe ist bestreut mit duftenden Buchsbaum; Schweizergarden, in der Tracht
von Uri des 15. Jahrhunderts, mit dem großen Schwert an der Seite und
der Hellebarde in der Faust, halten an den Thüren Wache; das Volk strömt


von Feuersbrünsten verheert, vom Strome überfluthet, dennoch das wohlerhal-
tenste Denkmal des Alterthums. Es ging mit geringen Veränderungen vom
beionischen zum christlichen Gottesdienste über, und der Lichtstrom, welcher der'
einst durch die Nundung in der Wölbung auf den ganzen Kreis heidnischer
Gottheiten quoll, schaut jetzt herab aus den Cultus der Madonna, auf das
Grab des Raphael. Die grandiose Säulenhalle des Portikus ist mit einem
Eisengitter umschlossen, innerhalb dessen Kinder mit Kupfermünzen g, 1a, boeeig.
spielen, und Federviehhändler sich etablut haben. Auf dem Platze aber um
die Fontaine ist ein reges, buntes Leben von Leuten aus dem Volke; Gärtner,
Fleisch- und Wildprtthcindler. Fischer ?c. haben auf der Erde oder in Buden
ihre Producte ausgebreitet, um sie herum ist eine Art Börse sür die Getreide¬
händler. Hier hat sich die Menge geschaart um neapolitanische Bänkelsänger,
die zur Guitarre ein beliebtes Volkslied singen, in einem Dialekt, der uns
gänzlich unverständlich ist; dort steht auf einem mit rothem Tuch und
Goldfranzen ausgeschlagenen Wagen ein Marktschreier, ein reisender Medicus,
welcher Mittel gegen Schlangenbiß, bösen Blick, Ungeziefer, ferner Liebestränke
und Wichse anpreist und eben beschäftigt ist, einem Unglücklichen einen Back¬
zahn auszureißen.

Laß uns vorüberwandern an diesen Bildern, die in italienischen Städten
zu den Alltäglichkeiten gehören, weiter nach dem Navonaplatze. Ein päpstlicher
Stallmeister kommt daher gesprengt und gebietet Raum zu geben, einzelne
Nobelgarden folgen ihm und zwingen die Wagen zu halten oder in die Neben¬
straßen auszuweichen; die Insassen steigen zur Erde herab. Der Papst fahrt
an uns vorüber im langsamen Trabe, umgeben von einem Trupp prächtig ge¬
kleideter und berittener Nobelgarden. Alle anderen Menschen und auch wir
sinken auf die Kri,e. Es ist ein altertdümlicher Aufzug. der an längst ver¬
schollene Zeiten erinnert. Die acht schwarzen Hengste vor der reich'vergoldeten
Glaskutsche, die Geschirre der Pferde, die Reitknechte, die Bedienten, alles als
ob es dem vorigen Jahrhundert entnommen sei; der Papst mit seinem milden,
freundlichen Gesichte breitet segnend die Hände über die Menge aus. Mehre
schwere, ebenso altmodische Wagen, mit Cardinälen darin, folgen. Aber die
begeisterten Evviva's lassen sich schon seit langer Zeit nicht mehr hören, die den
Papst vor vierzehn Jahren auf seinen Auffahrten begleiteten; heut bringt man
die Ovation dem heiligen Vater, nicht der Person des weltlichen Regenten dar.
Die Kirche, von welcher der Zug herkommt, die heut irgend ein Fest gefeiert
hat, ist äußerlich und innerlich'prächtig geschmückt mit rothen, weihen und gol¬
denen Drapirungen, mit Laubgewinden und Blumenkränzen- Die breite Frei¬
treppe ist bestreut mit duftenden Buchsbaum; Schweizergarden, in der Tracht
von Uri des 15. Jahrhunderts, mit dem großen Schwert an der Seite und
der Hellebarde in der Faust, halten an den Thüren Wache; das Volk strömt


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0444" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/114758"/>
            <p xml:id="ID_1729" prev="#ID_1728"> von Feuersbrünsten verheert, vom Strome überfluthet, dennoch das wohlerhal-<lb/>
tenste Denkmal des Alterthums. Es ging mit geringen Veränderungen vom<lb/>
beionischen zum christlichen Gottesdienste über, und der Lichtstrom, welcher der'<lb/>
einst durch die Nundung in der Wölbung auf den ganzen Kreis heidnischer<lb/>
Gottheiten quoll, schaut jetzt herab aus den Cultus der Madonna, auf das<lb/>
Grab des Raphael. Die grandiose Säulenhalle des Portikus ist mit einem<lb/>
Eisengitter umschlossen, innerhalb dessen Kinder mit Kupfermünzen g, 1a, boeeig.<lb/>
spielen, und Federviehhändler sich etablut haben. Auf dem Platze aber um<lb/>
die Fontaine ist ein reges, buntes Leben von Leuten aus dem Volke; Gärtner,<lb/>
Fleisch- und Wildprtthcindler. Fischer ?c. haben auf der Erde oder in Buden<lb/>
ihre Producte ausgebreitet, um sie herum ist eine Art Börse sür die Getreide¬<lb/>
händler. Hier hat sich die Menge geschaart um neapolitanische Bänkelsänger,<lb/>
die zur Guitarre ein beliebtes Volkslied singen, in einem Dialekt, der uns<lb/>
gänzlich unverständlich ist; dort steht auf einem mit rothem Tuch und<lb/>
Goldfranzen ausgeschlagenen Wagen ein Marktschreier, ein reisender Medicus,<lb/>
welcher Mittel gegen Schlangenbiß, bösen Blick, Ungeziefer, ferner Liebestränke<lb/>
und Wichse anpreist und eben beschäftigt ist, einem Unglücklichen einen Back¬<lb/>
zahn auszureißen.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1730" next="#ID_1731"> Laß uns vorüberwandern an diesen Bildern, die in italienischen Städten<lb/>
zu den Alltäglichkeiten gehören, weiter nach dem Navonaplatze. Ein päpstlicher<lb/>
Stallmeister kommt daher gesprengt und gebietet Raum zu geben, einzelne<lb/>
Nobelgarden folgen ihm und zwingen die Wagen zu halten oder in die Neben¬<lb/>
straßen auszuweichen; die Insassen steigen zur Erde herab. Der Papst fahrt<lb/>
an uns vorüber im langsamen Trabe, umgeben von einem Trupp prächtig ge¬<lb/>
kleideter und berittener Nobelgarden. Alle anderen Menschen und auch wir<lb/>
sinken auf die Kri,e. Es ist ein altertdümlicher Aufzug. der an längst ver¬<lb/>
schollene Zeiten erinnert. Die acht schwarzen Hengste vor der reich'vergoldeten<lb/>
Glaskutsche, die Geschirre der Pferde, die Reitknechte, die Bedienten, alles als<lb/>
ob es dem vorigen Jahrhundert entnommen sei; der Papst mit seinem milden,<lb/>
freundlichen Gesichte breitet segnend die Hände über die Menge aus. Mehre<lb/>
schwere, ebenso altmodische Wagen, mit Cardinälen darin, folgen. Aber die<lb/>
begeisterten Evviva's lassen sich schon seit langer Zeit nicht mehr hören, die den<lb/>
Papst vor vierzehn Jahren auf seinen Auffahrten begleiteten; heut bringt man<lb/>
die Ovation dem heiligen Vater, nicht der Person des weltlichen Regenten dar.<lb/>
Die Kirche, von welcher der Zug herkommt, die heut irgend ein Fest gefeiert<lb/>
hat, ist äußerlich und innerlich'prächtig geschmückt mit rothen, weihen und gol¬<lb/>
denen Drapirungen, mit Laubgewinden und Blumenkränzen- Die breite Frei¬<lb/>
treppe ist bestreut mit duftenden Buchsbaum; Schweizergarden, in der Tracht<lb/>
von Uri des 15. Jahrhunderts, mit dem großen Schwert an der Seite und<lb/>
der Hellebarde in der Faust, halten an den Thüren Wache; das Volk strömt</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0444] von Feuersbrünsten verheert, vom Strome überfluthet, dennoch das wohlerhal- tenste Denkmal des Alterthums. Es ging mit geringen Veränderungen vom beionischen zum christlichen Gottesdienste über, und der Lichtstrom, welcher der' einst durch die Nundung in der Wölbung auf den ganzen Kreis heidnischer Gottheiten quoll, schaut jetzt herab aus den Cultus der Madonna, auf das Grab des Raphael. Die grandiose Säulenhalle des Portikus ist mit einem Eisengitter umschlossen, innerhalb dessen Kinder mit Kupfermünzen g, 1a, boeeig. spielen, und Federviehhändler sich etablut haben. Auf dem Platze aber um die Fontaine ist ein reges, buntes Leben von Leuten aus dem Volke; Gärtner, Fleisch- und Wildprtthcindler. Fischer ?c. haben auf der Erde oder in Buden ihre Producte ausgebreitet, um sie herum ist eine Art Börse sür die Getreide¬ händler. Hier hat sich die Menge geschaart um neapolitanische Bänkelsänger, die zur Guitarre ein beliebtes Volkslied singen, in einem Dialekt, der uns gänzlich unverständlich ist; dort steht auf einem mit rothem Tuch und Goldfranzen ausgeschlagenen Wagen ein Marktschreier, ein reisender Medicus, welcher Mittel gegen Schlangenbiß, bösen Blick, Ungeziefer, ferner Liebestränke und Wichse anpreist und eben beschäftigt ist, einem Unglücklichen einen Back¬ zahn auszureißen. Laß uns vorüberwandern an diesen Bildern, die in italienischen Städten zu den Alltäglichkeiten gehören, weiter nach dem Navonaplatze. Ein päpstlicher Stallmeister kommt daher gesprengt und gebietet Raum zu geben, einzelne Nobelgarden folgen ihm und zwingen die Wagen zu halten oder in die Neben¬ straßen auszuweichen; die Insassen steigen zur Erde herab. Der Papst fahrt an uns vorüber im langsamen Trabe, umgeben von einem Trupp prächtig ge¬ kleideter und berittener Nobelgarden. Alle anderen Menschen und auch wir sinken auf die Kri,e. Es ist ein altertdümlicher Aufzug. der an längst ver¬ schollene Zeiten erinnert. Die acht schwarzen Hengste vor der reich'vergoldeten Glaskutsche, die Geschirre der Pferde, die Reitknechte, die Bedienten, alles als ob es dem vorigen Jahrhundert entnommen sei; der Papst mit seinem milden, freundlichen Gesichte breitet segnend die Hände über die Menge aus. Mehre schwere, ebenso altmodische Wagen, mit Cardinälen darin, folgen. Aber die begeisterten Evviva's lassen sich schon seit langer Zeit nicht mehr hören, die den Papst vor vierzehn Jahren auf seinen Auffahrten begleiteten; heut bringt man die Ovation dem heiligen Vater, nicht der Person des weltlichen Regenten dar. Die Kirche, von welcher der Zug herkommt, die heut irgend ein Fest gefeiert hat, ist äußerlich und innerlich'prächtig geschmückt mit rothen, weihen und gol¬ denen Drapirungen, mit Laubgewinden und Blumenkränzen- Die breite Frei¬ treppe ist bestreut mit duftenden Buchsbaum; Schweizergarden, in der Tracht von Uri des 15. Jahrhunderts, mit dem großen Schwert an der Seite und der Hellebarde in der Faust, halten an den Thüren Wache; das Volk strömt

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114313
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114313/444
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114313/444>, abgerufen am 26.08.2024.