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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band.

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selben wird von den Angehörigen sehr oft die Bedingung gestellt, das Mädchen
nie allein auf die Straße zu lassen, eine Bedingung, die in dem heißen Blute
wohl genügenden Grund haben mag. Die Donna aus dem Bürgerstande geht
Arm in Arm mit ihrem Mädchen, wenn sie Einkäufe zu besorgen hat, beide
gegenseitige Tugendmeisterinnen oder -- gemeinschaftliche Sünderinnen.

Eine Ziegenheerde rastet dort an der Straßenecke, die Köchinnen kommen
mit Töpfen herbei; jede ihren Bedarf an Milch unmittelbar vom Thiere ent¬
nehmend; ist die eine Straße versorgt, so zieht die Heerde zur nächsten weiter,
bis ihr Rayon durchtrieben ist, da, wo sie Halt macht, mannigfache Spuren
ihrer Gegenwart hinterlassend. Die Ziegen mit ihrem gutmüthigen Humor
sind ein Gaudium für die Kinder, ein Schrecken der Hunde, und nur der weiße
langhaarige Genosse des Hirten ist ihnen eine vertraute Persönlichkeit, mit der
sie, auf dem besten Fuße leben. schnüffelnd und blasirt schlendert der Cam- '
pagnahund an den Häusern entlang, verächtlich seine städtischen Geschlechts¬
genossen ignorirend, wie der kräftige, rauhe Sohn des Sabiner Gebirges den
römischen Stutzer, den Pcüno, geringschätzt. Gegen Mittag treiben die Hirten
wieder zur Stadt hinaus, den Weideplätzen in der Campagna zu.

Von der Porta Sakara klingelt und bimmelt ein langer Zug beladener
Pferde daher. Das Campagnapferd ist ein kleines, starkknochiges, ungemein
dauerhaftes Thier, mit zottigem Haar, struppiger Mähne, langem Schweife. Im
Frühjahr, wenn die unabsehbaren Flächen im üppigsten Grün prangen, wenn
sie mit einem Teppich der duftigsten Blumen und Kräuter sich schmücken, dann
ist es ein prächtiger Anblick, diese Thiere zu vielen Hunderten auf den Weide¬
flächen zu sehen, wie die berittenen Hirten mit ihren langen lanzenartigen
Stäben, den Carabiner vorn quer über den Sattel gelegt, die Heerde über¬
wachen ; wie sie in den geschicktesten Wendungen eins der Thiere umkreisen, erst
im weiten Bogen, .dann immer enger und enger; wie sie mit vollendeter Ge¬
wandtheit ihm endlich den Lasso um den Hals schleudern und das kluge Pferd,
welches wohl weiß, um was es sich handelt, den Verfolgern zu entgehen strebt;
wie, wenn der Wurf mißlungen, die ganze aufrührerische Heerde mit erhobenem
Haupte und Schweife und geöffneten Nüstern über die Fläche dahin jagt und
der Hirt sein "acoiäeute si amiNÄsato, si scanaw" in den Bart murmelnd,
die mühevolle Arbeit von Neuem beginnt. Man züchtet das Pferd hauptsäch¬
lich für den Gebrauch als Lastthier. Frühmorgens ziehen ganze Karavanen zur
Stadt hinein; voran auf hohem Sattel, die mit langen Ledergamaschen ge¬
schützten langbespornten Beine hin und herbaumelnd, der kriegerisch aussehende
packron" des Zuges, den Mantel über die linke Schulter geworfen, so daß er
den unteren Theil des Gesichts verbirgt, den Hut tief ins Gesicht gedrückt, das
Pferd mit scharfer Kandare gezäumt. Andere lanzenbewehrte Reiter trotten
hinter und neben dem Zuge. Eins genau hinter dem anderen, jedes mit


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selben wird von den Angehörigen sehr oft die Bedingung gestellt, das Mädchen
nie allein auf die Straße zu lassen, eine Bedingung, die in dem heißen Blute
wohl genügenden Grund haben mag. Die Donna aus dem Bürgerstande geht
Arm in Arm mit ihrem Mädchen, wenn sie Einkäufe zu besorgen hat, beide
gegenseitige Tugendmeisterinnen oder — gemeinschaftliche Sünderinnen.

Eine Ziegenheerde rastet dort an der Straßenecke, die Köchinnen kommen
mit Töpfen herbei; jede ihren Bedarf an Milch unmittelbar vom Thiere ent¬
nehmend; ist die eine Straße versorgt, so zieht die Heerde zur nächsten weiter,
bis ihr Rayon durchtrieben ist, da, wo sie Halt macht, mannigfache Spuren
ihrer Gegenwart hinterlassend. Die Ziegen mit ihrem gutmüthigen Humor
sind ein Gaudium für die Kinder, ein Schrecken der Hunde, und nur der weiße
langhaarige Genosse des Hirten ist ihnen eine vertraute Persönlichkeit, mit der
sie, auf dem besten Fuße leben. schnüffelnd und blasirt schlendert der Cam- '
pagnahund an den Häusern entlang, verächtlich seine städtischen Geschlechts¬
genossen ignorirend, wie der kräftige, rauhe Sohn des Sabiner Gebirges den
römischen Stutzer, den Pcüno, geringschätzt. Gegen Mittag treiben die Hirten
wieder zur Stadt hinaus, den Weideplätzen in der Campagna zu.

Von der Porta Sakara klingelt und bimmelt ein langer Zug beladener
Pferde daher. Das Campagnapferd ist ein kleines, starkknochiges, ungemein
dauerhaftes Thier, mit zottigem Haar, struppiger Mähne, langem Schweife. Im
Frühjahr, wenn die unabsehbaren Flächen im üppigsten Grün prangen, wenn
sie mit einem Teppich der duftigsten Blumen und Kräuter sich schmücken, dann
ist es ein prächtiger Anblick, diese Thiere zu vielen Hunderten auf den Weide¬
flächen zu sehen, wie die berittenen Hirten mit ihren langen lanzenartigen
Stäben, den Carabiner vorn quer über den Sattel gelegt, die Heerde über¬
wachen ; wie sie in den geschicktesten Wendungen eins der Thiere umkreisen, erst
im weiten Bogen, .dann immer enger und enger; wie sie mit vollendeter Ge¬
wandtheit ihm endlich den Lasso um den Hals schleudern und das kluge Pferd,
welches wohl weiß, um was es sich handelt, den Verfolgern zu entgehen strebt;
wie, wenn der Wurf mißlungen, die ganze aufrührerische Heerde mit erhobenem
Haupte und Schweife und geöffneten Nüstern über die Fläche dahin jagt und
der Hirt sein „acoiäeute si amiNÄsato, si scanaw" in den Bart murmelnd,
die mühevolle Arbeit von Neuem beginnt. Man züchtet das Pferd hauptsäch¬
lich für den Gebrauch als Lastthier. Frühmorgens ziehen ganze Karavanen zur
Stadt hinein; voran auf hohem Sattel, die mit langen Ledergamaschen ge¬
schützten langbespornten Beine hin und herbaumelnd, der kriegerisch aussehende
packron« des Zuges, den Mantel über die linke Schulter geworfen, so daß er
den unteren Theil des Gesichts verbirgt, den Hut tief ins Gesicht gedrückt, das
Pferd mit scharfer Kandare gezäumt. Andere lanzenbewehrte Reiter trotten
hinter und neben dem Zuge. Eins genau hinter dem anderen, jedes mit


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114313/435>, abgerufen am 25.08.2024.