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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band.

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sich am klarsten in der dämonischen Thatsache, daß vor der Bühne alle Kräfte
des Hörers.zugleich aufgerüttelt werden, die Gluth der Leidenschaft wie die
Schärfe des kritisch ungläubigen Verstandes. Und nimmermehr wird sich dieser
unbarmherzige Verstand moderner Hörer bei der Theilung der Kaiserkrone, "die
bisher, untheilbar schien", beruhigen. Hinweg mit dieser politischen Mystik,
welche den Ludwig von seinem Mitkaiser sagen läßt: "Er geht in mir, in
ihm bleib' ich zurück." Solche Phantasterei mochte sich begeben in einer Zeit
unreifer verschwommener Gesittung. Unsere Tage der hellen Bildung er¬
tragen und glaubten sie nur, wenn sie von der erzählenden Dichtung in eine
duftige Ferne gerückt wird. Vor' den greifbaren Gestalten der Bühne aber
rufen wir alle: "das ist unmöglich!", und hierin liegt abermals ein Grund,
der diesen Stoff von der dramatischen Behandlung ausschließt. -- Uebrigens
ist das Stück sehr sorgfältig und, wenn der Ausdruck erlaubt ist, rhythmisch
componirt, die Sprache zwar zumeist matt, aber correct und frei von jener Ge¬
schmacklosigkeit, wozu mittelalterliche Stoffe so leicht verleiten. Nur das häu¬
fige Gerede von "Wittelsbachs Gestirn" u. tgi. wirkt störend; denn dem Sinne
des Mittelalters lag solche dynastische Vergötterung sehr fern, und modernen
Menschen erscheint sie sehr komisch.

Paul Heyse hat sich rühmlich frei gehalten von der tendenziösen Verbil-
dung der Gegenwart, welche die Poesie fast allein nach ihrem Stosse zu schä¬
tzen weiß; das Schöne hat er schaffen wollen und Nichts als das Schöne.
Um so tiefer müssen wir es beklagen, daß er seine Begabung so gänzlich ver¬
kannt hat. Solche historische Stoffe fordern einen Dichter, in dessen Seele der
politische Gedanke sich zur persönlichen Leidenschaft gesteigert hat; eine unpoli¬
tische Natur darf ihnen nicht nahen. Wir beklagen diese Verirrung, weil sie
das große Publicum nur bestärken wird in seiner tendenziösen, unästhetischen
Sinnesrichtung. Denn wahrlich, tausendmal lieber ein derbes, gründlich unpoe¬
tisches Tendenzstück als die wässrige Langeweile dieser vornehmen Mattherzigkeit,
die nur durch rechtzeitiges Glockengeläute und rothe Fähnlein den Hörer vor
dem Schlummer des Gerechten zu bewahren vermag. Als wir den Heinrich
von Schwerin von G. v. Meyern über die Bretter gehen sahen, da verließen
Hunderte das Haus in gehobener Stimmung. Eine ästhetische Erregung war
das freilich nicht, aber wir hatten doch hineingeblickt in das edle Herz eines
wcickern Mannes, dem die Schande seines Landes amLeben frißt, und bis zu
einem gewissen P nutte kann solche Wärme des Herzens den Mangel der Phan¬
tasie ersetzen. Von diesem Ludwig dem Bayern aber scheiden wir mit der trost¬
losen Betrachtung: hätt' ich doch nimmermehr mir zugetraut, daß ich so ruhig
mit ansehen könnte, wie Freunde im Zorne von einander gehen und sich befehden
in gräßlichem Bruderzwist, wie Reiche wanken und sinken und Völker kä'zupfen
H. v. Treitschke. für die höchsten Güter der Welt. --




sich am klarsten in der dämonischen Thatsache, daß vor der Bühne alle Kräfte
des Hörers.zugleich aufgerüttelt werden, die Gluth der Leidenschaft wie die
Schärfe des kritisch ungläubigen Verstandes. Und nimmermehr wird sich dieser
unbarmherzige Verstand moderner Hörer bei der Theilung der Kaiserkrone, „die
bisher, untheilbar schien", beruhigen. Hinweg mit dieser politischen Mystik,
welche den Ludwig von seinem Mitkaiser sagen läßt: „Er geht in mir, in
ihm bleib' ich zurück." Solche Phantasterei mochte sich begeben in einer Zeit
unreifer verschwommener Gesittung. Unsere Tage der hellen Bildung er¬
tragen und glaubten sie nur, wenn sie von der erzählenden Dichtung in eine
duftige Ferne gerückt wird. Vor' den greifbaren Gestalten der Bühne aber
rufen wir alle: „das ist unmöglich!", und hierin liegt abermals ein Grund,
der diesen Stoff von der dramatischen Behandlung ausschließt. — Uebrigens
ist das Stück sehr sorgfältig und, wenn der Ausdruck erlaubt ist, rhythmisch
componirt, die Sprache zwar zumeist matt, aber correct und frei von jener Ge¬
schmacklosigkeit, wozu mittelalterliche Stoffe so leicht verleiten. Nur das häu¬
fige Gerede von „Wittelsbachs Gestirn" u. tgi. wirkt störend; denn dem Sinne
des Mittelalters lag solche dynastische Vergötterung sehr fern, und modernen
Menschen erscheint sie sehr komisch.

Paul Heyse hat sich rühmlich frei gehalten von der tendenziösen Verbil-
dung der Gegenwart, welche die Poesie fast allein nach ihrem Stosse zu schä¬
tzen weiß; das Schöne hat er schaffen wollen und Nichts als das Schöne.
Um so tiefer müssen wir es beklagen, daß er seine Begabung so gänzlich ver¬
kannt hat. Solche historische Stoffe fordern einen Dichter, in dessen Seele der
politische Gedanke sich zur persönlichen Leidenschaft gesteigert hat; eine unpoli¬
tische Natur darf ihnen nicht nahen. Wir beklagen diese Verirrung, weil sie
das große Publicum nur bestärken wird in seiner tendenziösen, unästhetischen
Sinnesrichtung. Denn wahrlich, tausendmal lieber ein derbes, gründlich unpoe¬
tisches Tendenzstück als die wässrige Langeweile dieser vornehmen Mattherzigkeit,
die nur durch rechtzeitiges Glockengeläute und rothe Fähnlein den Hörer vor
dem Schlummer des Gerechten zu bewahren vermag. Als wir den Heinrich
von Schwerin von G. v. Meyern über die Bretter gehen sahen, da verließen
Hunderte das Haus in gehobener Stimmung. Eine ästhetische Erregung war
das freilich nicht, aber wir hatten doch hineingeblickt in das edle Herz eines
wcickern Mannes, dem die Schande seines Landes amLeben frißt, und bis zu
einem gewissen P nutte kann solche Wärme des Herzens den Mangel der Phan¬
tasie ersetzen. Von diesem Ludwig dem Bayern aber scheiden wir mit der trost¬
losen Betrachtung: hätt' ich doch nimmermehr mir zugetraut, daß ich so ruhig
mit ansehen könnte, wie Freunde im Zorne von einander gehen und sich befehden
in gräßlichem Bruderzwist, wie Reiche wanken und sinken und Völker kä'zupfen
H. v. Treitschke. für die höchsten Güter der Welt. —




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[0432] sich am klarsten in der dämonischen Thatsache, daß vor der Bühne alle Kräfte des Hörers.zugleich aufgerüttelt werden, die Gluth der Leidenschaft wie die Schärfe des kritisch ungläubigen Verstandes. Und nimmermehr wird sich dieser unbarmherzige Verstand moderner Hörer bei der Theilung der Kaiserkrone, „die bisher, untheilbar schien", beruhigen. Hinweg mit dieser politischen Mystik, welche den Ludwig von seinem Mitkaiser sagen läßt: „Er geht in mir, in ihm bleib' ich zurück." Solche Phantasterei mochte sich begeben in einer Zeit unreifer verschwommener Gesittung. Unsere Tage der hellen Bildung er¬ tragen und glaubten sie nur, wenn sie von der erzählenden Dichtung in eine duftige Ferne gerückt wird. Vor' den greifbaren Gestalten der Bühne aber rufen wir alle: „das ist unmöglich!", und hierin liegt abermals ein Grund, der diesen Stoff von der dramatischen Behandlung ausschließt. — Uebrigens ist das Stück sehr sorgfältig und, wenn der Ausdruck erlaubt ist, rhythmisch componirt, die Sprache zwar zumeist matt, aber correct und frei von jener Ge¬ schmacklosigkeit, wozu mittelalterliche Stoffe so leicht verleiten. Nur das häu¬ fige Gerede von „Wittelsbachs Gestirn" u. tgi. wirkt störend; denn dem Sinne des Mittelalters lag solche dynastische Vergötterung sehr fern, und modernen Menschen erscheint sie sehr komisch. Paul Heyse hat sich rühmlich frei gehalten von der tendenziösen Verbil- dung der Gegenwart, welche die Poesie fast allein nach ihrem Stosse zu schä¬ tzen weiß; das Schöne hat er schaffen wollen und Nichts als das Schöne. Um so tiefer müssen wir es beklagen, daß er seine Begabung so gänzlich ver¬ kannt hat. Solche historische Stoffe fordern einen Dichter, in dessen Seele der politische Gedanke sich zur persönlichen Leidenschaft gesteigert hat; eine unpoli¬ tische Natur darf ihnen nicht nahen. Wir beklagen diese Verirrung, weil sie das große Publicum nur bestärken wird in seiner tendenziösen, unästhetischen Sinnesrichtung. Denn wahrlich, tausendmal lieber ein derbes, gründlich unpoe¬ tisches Tendenzstück als die wässrige Langeweile dieser vornehmen Mattherzigkeit, die nur durch rechtzeitiges Glockengeläute und rothe Fähnlein den Hörer vor dem Schlummer des Gerechten zu bewahren vermag. Als wir den Heinrich von Schwerin von G. v. Meyern über die Bretter gehen sahen, da verließen Hunderte das Haus in gehobener Stimmung. Eine ästhetische Erregung war das freilich nicht, aber wir hatten doch hineingeblickt in das edle Herz eines wcickern Mannes, dem die Schande seines Landes amLeben frißt, und bis zu einem gewissen P nutte kann solche Wärme des Herzens den Mangel der Phan¬ tasie ersetzen. Von diesem Ludwig dem Bayern aber scheiden wir mit der trost¬ losen Betrachtung: hätt' ich doch nimmermehr mir zugetraut, daß ich so ruhig mit ansehen könnte, wie Freunde im Zorne von einander gehen und sich befehden in gräßlichem Bruderzwist, wie Reiche wanken und sinken und Völker kä'zupfen H. v. Treitschke. für die höchsten Güter der Welt. —

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114313/432>, abgerufen am 25.08.2024.