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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band.

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beeilte sich noch weiter zu gehn als Preußen und auch das populäre Wahl¬
gesetz anzuerkennen, zu welchem Graf Bernstorff noch unsicher stand. Und
der Bund begann seine Arbeit. Oestreich drängte zu Frankfurt scheinbar im besten
Einvernehmen mit Preußen und bemühte sich in Kassel als vertrauter Rathgeber
des Kurfürsten zu temporisiren und für ihn Zeit zu gewinnen. Von jetzt ab
hielt es mit dem Gefühl der Ueberlegenheit seinen Schild über den Kur¬
fürsten und dessen Politik, dieser konnte jetzt ruhig den preußischen Mah¬
nungen kurze Antworten geben, jede Nachgibigteit gegen Preußen verweigern.
Alles Eifern und Zürnen zu Berlin, Kriegsbereitschaft, Ansammeln von Truppen
an der Grenze war ihm ein harmloses Seitcnmanövcr geworden, zwar lästig,
aber wenig gefährlich. Denn die Majorität zu Frankfurt war von Preußen
selbst als oberster Richter über sein und seines Staats Geschick anerkannt.
Und Preußen kam in die demüthigende Lage, daß sein Treiben und Trommeln
nur den Nutzen hatte, hier und da die Oestreicher ein wenig zu offizieller Be¬
schleunigung anzufeuern, bis endlich die Stunde kam, wo dem Vernehmen nach
Baron Kübeck dem preußischen Bundesgcsandten erklären durfte, seine Regierung
werde ein Einrücken der Preußen in Hessen nicht dulden. Unterdeß saßen die
Preußen längs der Grenze unthätig, ihre Lage wurde lästig; der erste Eifer zu
Berlin schien verraucht, man nahm an, baß der gespannte Hahn dort wieder
in Ruh' gesetzt sei, und daß man sich hüten werde, ihn zum zweitenmal wir¬
kungslos auszuziehen. Nachdem man. dies abgewartet hatte, warf man die
Maske ad. Man hatte sich zu Kassel unter der ersten Einwirkung der Be¬
troffenheit widerwillig den Anschein gegeben, auf preußische Forderungen und
die Wünsche des Volks bei Auswahl des neuen Ministeriums Rücksicht zu
nehmen. Jetzt wurde plötzlich unter dem Einfluß der Oestreicher und Würz¬
burger ein Ministerium gebildet, welches nicht einen Namen von der Minister¬
liste enthielt, welche Preußen für das hessische Volt aufgestellt hatte.

So ist zwar nicht die ganze Mühe Preußens vergeblich gewesen, denn es
ist unläugbar und wird überall in Deutschland anerkannt, baß zuletzt nur sein
Druck dem Kurfürsten und die Majorität des Bundestags zur Anerkennung der
Verfassung bestimmt habe; aber dieser Erfolg ist mit herben Demüthigungen und
mit einer großen diplomatischen Niederlage verbunden. Und in der Sache selbst
gibt das erwählte Ministerium, preußenfeindlich und reaciivnär, durchaus keine
Sicherheit für eine Beseitigung des alten Leidens von Hessen.

Nun wäre allerdings möglich gewesen, daß Preuße", auch nachdem eS Oest¬
reich zur Theilnahme eingeladen und die hessische Angelegenheit der Competenz
des Bundes aufs Neue unterworfen hatte, doch noch selbständig in Kurhessen
interveniren konnte, wenn nämlich das turhessischc Volk selbst sich geregt hätte,
um Unerträgliches zu entfernen. Die Preußen durften dann als einen Act
diplomatischer Klugheit betrachten, daß sic Oestreich zur Anerkennung der Ver-


beeilte sich noch weiter zu gehn als Preußen und auch das populäre Wahl¬
gesetz anzuerkennen, zu welchem Graf Bernstorff noch unsicher stand. Und
der Bund begann seine Arbeit. Oestreich drängte zu Frankfurt scheinbar im besten
Einvernehmen mit Preußen und bemühte sich in Kassel als vertrauter Rathgeber
des Kurfürsten zu temporisiren und für ihn Zeit zu gewinnen. Von jetzt ab
hielt es mit dem Gefühl der Ueberlegenheit seinen Schild über den Kur¬
fürsten und dessen Politik, dieser konnte jetzt ruhig den preußischen Mah¬
nungen kurze Antworten geben, jede Nachgibigteit gegen Preußen verweigern.
Alles Eifern und Zürnen zu Berlin, Kriegsbereitschaft, Ansammeln von Truppen
an der Grenze war ihm ein harmloses Seitcnmanövcr geworden, zwar lästig,
aber wenig gefährlich. Denn die Majorität zu Frankfurt war von Preußen
selbst als oberster Richter über sein und seines Staats Geschick anerkannt.
Und Preußen kam in die demüthigende Lage, daß sein Treiben und Trommeln
nur den Nutzen hatte, hier und da die Oestreicher ein wenig zu offizieller Be¬
schleunigung anzufeuern, bis endlich die Stunde kam, wo dem Vernehmen nach
Baron Kübeck dem preußischen Bundesgcsandten erklären durfte, seine Regierung
werde ein Einrücken der Preußen in Hessen nicht dulden. Unterdeß saßen die
Preußen längs der Grenze unthätig, ihre Lage wurde lästig; der erste Eifer zu
Berlin schien verraucht, man nahm an, baß der gespannte Hahn dort wieder
in Ruh' gesetzt sei, und daß man sich hüten werde, ihn zum zweitenmal wir¬
kungslos auszuziehen. Nachdem man. dies abgewartet hatte, warf man die
Maske ad. Man hatte sich zu Kassel unter der ersten Einwirkung der Be¬
troffenheit widerwillig den Anschein gegeben, auf preußische Forderungen und
die Wünsche des Volks bei Auswahl des neuen Ministeriums Rücksicht zu
nehmen. Jetzt wurde plötzlich unter dem Einfluß der Oestreicher und Würz¬
burger ein Ministerium gebildet, welches nicht einen Namen von der Minister¬
liste enthielt, welche Preußen für das hessische Volt aufgestellt hatte.

So ist zwar nicht die ganze Mühe Preußens vergeblich gewesen, denn es
ist unläugbar und wird überall in Deutschland anerkannt, baß zuletzt nur sein
Druck dem Kurfürsten und die Majorität des Bundestags zur Anerkennung der
Verfassung bestimmt habe; aber dieser Erfolg ist mit herben Demüthigungen und
mit einer großen diplomatischen Niederlage verbunden. Und in der Sache selbst
gibt das erwählte Ministerium, preußenfeindlich und reaciivnär, durchaus keine
Sicherheit für eine Beseitigung des alten Leidens von Hessen.

Nun wäre allerdings möglich gewesen, daß Preuße», auch nachdem eS Oest¬
reich zur Theilnahme eingeladen und die hessische Angelegenheit der Competenz
des Bundes aufs Neue unterworfen hatte, doch noch selbständig in Kurhessen
interveniren konnte, wenn nämlich das turhessischc Volk selbst sich geregt hätte,
um Unerträgliches zu entfernen. Die Preußen durften dann als einen Act
diplomatischer Klugheit betrachten, daß sic Oestreich zur Anerkennung der Ver-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114313/40>, abgerufen am 06.02.2025.