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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band.

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Was hat mit alle dem das Heer zu thun? Gar nichts. Seine Aufgabe
ist, sich stets tüchtiger zu machen für eine Zeit des Krieges, ob die einzelnen
Offiziere und Gemeine für Bethusy stimmen, oder für Virchow, für Manteuffel
oder für Tochter, das sollte vollständig ihrer Privatüberzeugung überlassen sein.
Und der Staat wird nicht eher zu Frieden, Kraft und Bedeutung kommen, bis
unser erlauchtes Königshaus begreift, daß ein Hohenzollern mit gleichem Wohl¬
wollen und menschlichem Antheil auf Fortschrittsleute und Conservative herab-
zusehen hat, beider Ueberzeugungen zu achten und die einen wie die andern
für sich und das Heil des Staats zu verwenden.

Wir alle wissen, warum das in Preußen noch nicht so ist. Und wir
sehen mit lebhaftem Antheil, wie schwer es unsern Freunden im Heere wird,
sich in die neue Zeit zu finden. Wir sind auch unbesorgt darum, daß sie sich
endlich doch darein finden werden. Aber wir wünschen, daß das recht bald und
ohne zu ernste Erfahrungen für sie und uns geschehe. Zunächst um ihret¬
willen. Denn die gegenwärtige Stellung des Offiziers zur bürgerlichen
Gesellschaft und zum Volke ist nicht ohne ein Moment von trüber Resignation.
Er empfindet sich mitten in der starken Strömung eines freudig aufblühen¬
den Volkes isolirt. Daß zufällig die conservativen Stimmungen aus einer
schwächlichen Zeit jetzt in den Codex der Offiziersehre aufgenommen worden
sind, macht ihm den Verkehr mit dem Civilisten in hundert Fällen peinlich.
Er ist bereits jetzt in vielen Garnisonen auf den Verkehr mit den Kame¬
raden angewiesen. Daß ihm dadurch Verständniß des Lebens und humane
Bildung nicht nach allen Richtungen gesichert wird, werden die älteren Offiziere
am lebhaftesten empfinden, den jüngeren aber drohen bei solchem Garnison-
lebcn alle Gefahren einer zu hoch geschraubten und doch unsichern Selbstschätzung
und zuletzt eine barocke, gereizte und krankhaft empfindliche Entwickelung des
Ehrgefühls. Noch gefährlicher aber würde sich, wenn solche Zustände in Preußen
Dauer haben könnten, das Verhältniß des Offiziercorps zu den Mannschaften
ausbilden. Es ist unmöglich, die Leute in dem engen Kreise derselben politi¬
schen Ideen zusammenzuschließen, in denen sich vielleicht ein Osfizierstisch dem
Bürger entfremdet. Sie kommen aus dem Volke und kehren in das Volk zu¬
rück, auf tausend Wegen, die gar nicht gehütet werden können, dringen die
Stimmungen des Tages in ihr Gemüth. Wenn der Offizier einen Mann des¬
halb vorzieht oder zurücksetzt, lobt oder tadelt, weil er seiner politischen Farbe
angehört oder nicht, so macht er ihn zuerst zum Heuchler und endlich bei Ge¬
legenheit zum Aufsässigen.

Es ist nicht unsere Sache, sondern die Aufgabe Vorurtheilsfreier Offiziere
des preußischen Heeres, zu beurtheilen, ob die Disciplin und das gute, sittliche
Verhältniß zwischen Offizier und Gemeinen, welches der preußischen Armee bis
jetzt zu besonderm Stolz gereichen durfte, in den letzten Jahren gestärkt oder


Was hat mit alle dem das Heer zu thun? Gar nichts. Seine Aufgabe
ist, sich stets tüchtiger zu machen für eine Zeit des Krieges, ob die einzelnen
Offiziere und Gemeine für Bethusy stimmen, oder für Virchow, für Manteuffel
oder für Tochter, das sollte vollständig ihrer Privatüberzeugung überlassen sein.
Und der Staat wird nicht eher zu Frieden, Kraft und Bedeutung kommen, bis
unser erlauchtes Königshaus begreift, daß ein Hohenzollern mit gleichem Wohl¬
wollen und menschlichem Antheil auf Fortschrittsleute und Conservative herab-
zusehen hat, beider Ueberzeugungen zu achten und die einen wie die andern
für sich und das Heil des Staats zu verwenden.

Wir alle wissen, warum das in Preußen noch nicht so ist. Und wir
sehen mit lebhaftem Antheil, wie schwer es unsern Freunden im Heere wird,
sich in die neue Zeit zu finden. Wir sind auch unbesorgt darum, daß sie sich
endlich doch darein finden werden. Aber wir wünschen, daß das recht bald und
ohne zu ernste Erfahrungen für sie und uns geschehe. Zunächst um ihret¬
willen. Denn die gegenwärtige Stellung des Offiziers zur bürgerlichen
Gesellschaft und zum Volke ist nicht ohne ein Moment von trüber Resignation.
Er empfindet sich mitten in der starken Strömung eines freudig aufblühen¬
den Volkes isolirt. Daß zufällig die conservativen Stimmungen aus einer
schwächlichen Zeit jetzt in den Codex der Offiziersehre aufgenommen worden
sind, macht ihm den Verkehr mit dem Civilisten in hundert Fällen peinlich.
Er ist bereits jetzt in vielen Garnisonen auf den Verkehr mit den Kame¬
raden angewiesen. Daß ihm dadurch Verständniß des Lebens und humane
Bildung nicht nach allen Richtungen gesichert wird, werden die älteren Offiziere
am lebhaftesten empfinden, den jüngeren aber drohen bei solchem Garnison-
lebcn alle Gefahren einer zu hoch geschraubten und doch unsichern Selbstschätzung
und zuletzt eine barocke, gereizte und krankhaft empfindliche Entwickelung des
Ehrgefühls. Noch gefährlicher aber würde sich, wenn solche Zustände in Preußen
Dauer haben könnten, das Verhältniß des Offiziercorps zu den Mannschaften
ausbilden. Es ist unmöglich, die Leute in dem engen Kreise derselben politi¬
schen Ideen zusammenzuschließen, in denen sich vielleicht ein Osfizierstisch dem
Bürger entfremdet. Sie kommen aus dem Volke und kehren in das Volk zu¬
rück, auf tausend Wegen, die gar nicht gehütet werden können, dringen die
Stimmungen des Tages in ihr Gemüth. Wenn der Offizier einen Mann des¬
halb vorzieht oder zurücksetzt, lobt oder tadelt, weil er seiner politischen Farbe
angehört oder nicht, so macht er ihn zuerst zum Heuchler und endlich bei Ge¬
legenheit zum Aufsässigen.

Es ist nicht unsere Sache, sondern die Aufgabe Vorurtheilsfreier Offiziere
des preußischen Heeres, zu beurtheilen, ob die Disciplin und das gute, sittliche
Verhältniß zwischen Offizier und Gemeinen, welches der preußischen Armee bis
jetzt zu besonderm Stolz gereichen durfte, in den letzten Jahren gestärkt oder


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[0362] Was hat mit alle dem das Heer zu thun? Gar nichts. Seine Aufgabe ist, sich stets tüchtiger zu machen für eine Zeit des Krieges, ob die einzelnen Offiziere und Gemeine für Bethusy stimmen, oder für Virchow, für Manteuffel oder für Tochter, das sollte vollständig ihrer Privatüberzeugung überlassen sein. Und der Staat wird nicht eher zu Frieden, Kraft und Bedeutung kommen, bis unser erlauchtes Königshaus begreift, daß ein Hohenzollern mit gleichem Wohl¬ wollen und menschlichem Antheil auf Fortschrittsleute und Conservative herab- zusehen hat, beider Ueberzeugungen zu achten und die einen wie die andern für sich und das Heil des Staats zu verwenden. Wir alle wissen, warum das in Preußen noch nicht so ist. Und wir sehen mit lebhaftem Antheil, wie schwer es unsern Freunden im Heere wird, sich in die neue Zeit zu finden. Wir sind auch unbesorgt darum, daß sie sich endlich doch darein finden werden. Aber wir wünschen, daß das recht bald und ohne zu ernste Erfahrungen für sie und uns geschehe. Zunächst um ihret¬ willen. Denn die gegenwärtige Stellung des Offiziers zur bürgerlichen Gesellschaft und zum Volke ist nicht ohne ein Moment von trüber Resignation. Er empfindet sich mitten in der starken Strömung eines freudig aufblühen¬ den Volkes isolirt. Daß zufällig die conservativen Stimmungen aus einer schwächlichen Zeit jetzt in den Codex der Offiziersehre aufgenommen worden sind, macht ihm den Verkehr mit dem Civilisten in hundert Fällen peinlich. Er ist bereits jetzt in vielen Garnisonen auf den Verkehr mit den Kame¬ raden angewiesen. Daß ihm dadurch Verständniß des Lebens und humane Bildung nicht nach allen Richtungen gesichert wird, werden die älteren Offiziere am lebhaftesten empfinden, den jüngeren aber drohen bei solchem Garnison- lebcn alle Gefahren einer zu hoch geschraubten und doch unsichern Selbstschätzung und zuletzt eine barocke, gereizte und krankhaft empfindliche Entwickelung des Ehrgefühls. Noch gefährlicher aber würde sich, wenn solche Zustände in Preußen Dauer haben könnten, das Verhältniß des Offiziercorps zu den Mannschaften ausbilden. Es ist unmöglich, die Leute in dem engen Kreise derselben politi¬ schen Ideen zusammenzuschließen, in denen sich vielleicht ein Osfizierstisch dem Bürger entfremdet. Sie kommen aus dem Volke und kehren in das Volk zu¬ rück, auf tausend Wegen, die gar nicht gehütet werden können, dringen die Stimmungen des Tages in ihr Gemüth. Wenn der Offizier einen Mann des¬ halb vorzieht oder zurücksetzt, lobt oder tadelt, weil er seiner politischen Farbe angehört oder nicht, so macht er ihn zuerst zum Heuchler und endlich bei Ge¬ legenheit zum Aufsässigen. Es ist nicht unsere Sache, sondern die Aufgabe Vorurtheilsfreier Offiziere des preußischen Heeres, zu beurtheilen, ob die Disciplin und das gute, sittliche Verhältniß zwischen Offizier und Gemeinen, welches der preußischen Armee bis jetzt zu besonderm Stolz gereichen durfte, in den letzten Jahren gestärkt oder

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114313/362>, abgerufen am 24.08.2024.