Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band.wie sie sich etwas von den Schätzen dieses Reiches zuwenden mochten; vielleicht Eine wunderliche Illusion war es freilich, in welche er und Andere sich 4l *
wie sie sich etwas von den Schätzen dieses Reiches zuwenden mochten; vielleicht Eine wunderliche Illusion war es freilich, in welche er und Andere sich 4l *
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0331" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/114645"/> <p xml:id="ID_1334" prev="#ID_1333"> wie sie sich etwas von den Schätzen dieses Reiches zuwenden mochten; vielleicht<lb/> lieber noch war es ihnen, als Söldner, als Freunde, als Bundesgenossen des¬<lb/> selben in den Mitgenuß seiner Herrlichkeiten zu kommen. Und wie sie durch<lb/> solche Verhältnisse tiefer und tiefer in das Reich und seine Angelegenheiten<lb/> hineingezogen, immer näher mit diesem Reiche bekannt wurden, mit seinem<lb/> kolossalen Umfange und seinem Reichthume an Menschen und Geld, seiner Cul¬<lb/> tur und seiner Pracht, namentlich aber mit dem regelrechten Ausbau seines<lb/> Verwaltungs- und Militärwesens, wogegen freilich alle bei den Germanen vor-<lb/> - handelten Anfänge eines staatlichen Lebens sich nur wie Kinderwerk ausnahmen<lb/> — da war der Eindruck ein so gewaltiger, daß sie in diesem Reiche „das Ideal<lb/> des Staates, vielmehr den Staat an sich als letzte Quelle aller irdischen Be¬<lb/> rechtigung erblickten". Fast keine der germanischen Völkerschaften, die während<lb/> der großen Wanderzeit in den Provinzen des Römerreiches Platz nahmen,<lb/> dachte daran, die betreffende Provinz vom Reiche loszureißen, geschweige denn<lb/> das Reich selbst zu zerstören. Innerhalb des bestehenden Reichssystems wollten<lb/> sie sich eine Stelle verdienen, wo nöthig ertrotzen; ihre Fürsten trachteten dar¬<lb/> nach, stattliche Titel und große Provinzialbeamtungen von dem Kaiser verliehen<lb/> zu erhalten, und verschmähten dann nicht im Mindesten, eine gewisse Ober¬<lb/> hoheit dieses Gewaltigsten der Erde über sich anzuerkennen. Kam es dann<lb/> doch wieder zu Streitigkeiten zwischen ihnen und ihrem nomineller Oberherrn,<lb/> so hatte das in ihren Augen keine andere Bedeutung als die häusigen Kämpfe,<lb/> in denen auch römische Feldherrn — ein Bonifacius, ein Aetius — sich gegen<lb/> den kaiserlichen Hof erhoben, um sich von demselben diese oder jene Vergün¬<lb/> stigung zu erzwingen. Mochte der Gothenkönig Albanis in einem Augenblicke hef¬<lb/> tiger Erregung den Gedanken fassen, den Namen des römischen Reiches vom Erd¬<lb/> boden zu vertilgen und ein gewaltiges „Gothien" an seine Stelle zu setzen<lb/> — bei reiflicherer Ueberlegung meinte doch auch er anerkennen zu müssen, daß<lb/> eine staatliche Ordnung nach der Idee, die ihm inmitten des Römerreiches auf¬<lb/> gegangen, nicht wohl auf seine Gothen allein sich stützen noch des römischen<lb/> Namens entbehren könne, und zog nun den Ruhm, das römische Reich mit<lb/> gothischen Kräften wiederherzustellen, dem Ruhme des Zerstörers vor.</p><lb/> <p xml:id="ID_1335" next="#ID_1336"> Eine wunderliche Illusion war es freilich, in welche er und Andere sich<lb/> hineingeträumt hatten. Denn was sollten dem römischen Staate, dessen ganzes<lb/> Wesen zuletzt in einem äußerst künstlichen, alles regelnden und alles für sich<lb/> in Anspruch nehmenden Mechanismus aufgegangen war, diese Hunderttausende<lb/> von „Barbaren" mit ihrem starken, individuellen Selbstgefühl und Unabhängig¬<lb/> keitssinne, mit ihrer totalen Ungewohnheit, sich irgendwie beengen zu lassen<lb/> durch eine stritte Staatsverwaltung und polizeiliche Ordnung? Im Sinne des<lb/> römischen Staates konnten'die Behörden und Lenker desselben alle jene germa¬<lb/> nischen Könige, die man mit Titeln geschmückt und als kaiserliche Militärstatt-</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> 4l *</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0331]
wie sie sich etwas von den Schätzen dieses Reiches zuwenden mochten; vielleicht
lieber noch war es ihnen, als Söldner, als Freunde, als Bundesgenossen des¬
selben in den Mitgenuß seiner Herrlichkeiten zu kommen. Und wie sie durch
solche Verhältnisse tiefer und tiefer in das Reich und seine Angelegenheiten
hineingezogen, immer näher mit diesem Reiche bekannt wurden, mit seinem
kolossalen Umfange und seinem Reichthume an Menschen und Geld, seiner Cul¬
tur und seiner Pracht, namentlich aber mit dem regelrechten Ausbau seines
Verwaltungs- und Militärwesens, wogegen freilich alle bei den Germanen vor-
- handelten Anfänge eines staatlichen Lebens sich nur wie Kinderwerk ausnahmen
— da war der Eindruck ein so gewaltiger, daß sie in diesem Reiche „das Ideal
des Staates, vielmehr den Staat an sich als letzte Quelle aller irdischen Be¬
rechtigung erblickten". Fast keine der germanischen Völkerschaften, die während
der großen Wanderzeit in den Provinzen des Römerreiches Platz nahmen,
dachte daran, die betreffende Provinz vom Reiche loszureißen, geschweige denn
das Reich selbst zu zerstören. Innerhalb des bestehenden Reichssystems wollten
sie sich eine Stelle verdienen, wo nöthig ertrotzen; ihre Fürsten trachteten dar¬
nach, stattliche Titel und große Provinzialbeamtungen von dem Kaiser verliehen
zu erhalten, und verschmähten dann nicht im Mindesten, eine gewisse Ober¬
hoheit dieses Gewaltigsten der Erde über sich anzuerkennen. Kam es dann
doch wieder zu Streitigkeiten zwischen ihnen und ihrem nomineller Oberherrn,
so hatte das in ihren Augen keine andere Bedeutung als die häusigen Kämpfe,
in denen auch römische Feldherrn — ein Bonifacius, ein Aetius — sich gegen
den kaiserlichen Hof erhoben, um sich von demselben diese oder jene Vergün¬
stigung zu erzwingen. Mochte der Gothenkönig Albanis in einem Augenblicke hef¬
tiger Erregung den Gedanken fassen, den Namen des römischen Reiches vom Erd¬
boden zu vertilgen und ein gewaltiges „Gothien" an seine Stelle zu setzen
— bei reiflicherer Ueberlegung meinte doch auch er anerkennen zu müssen, daß
eine staatliche Ordnung nach der Idee, die ihm inmitten des Römerreiches auf¬
gegangen, nicht wohl auf seine Gothen allein sich stützen noch des römischen
Namens entbehren könne, und zog nun den Ruhm, das römische Reich mit
gothischen Kräften wiederherzustellen, dem Ruhme des Zerstörers vor.
Eine wunderliche Illusion war es freilich, in welche er und Andere sich
hineingeträumt hatten. Denn was sollten dem römischen Staate, dessen ganzes
Wesen zuletzt in einem äußerst künstlichen, alles regelnden und alles für sich
in Anspruch nehmenden Mechanismus aufgegangen war, diese Hunderttausende
von „Barbaren" mit ihrem starken, individuellen Selbstgefühl und Unabhängig¬
keitssinne, mit ihrer totalen Ungewohnheit, sich irgendwie beengen zu lassen
durch eine stritte Staatsverwaltung und polizeiliche Ordnung? Im Sinne des
römischen Staates konnten'die Behörden und Lenker desselben alle jene germa¬
nischen Könige, die man mit Titeln geschmückt und als kaiserliche Militärstatt-
4l *
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