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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band.

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wieder ein Meisterstück musikalischer Charakteristik. Tenor und Alt beginnen
mit einem ausdrucksvollen Motive in ?dur, die übrigen Stimmen treten hin¬
zu, und nach den wunderbarsten harmonischen Wechseln schließt zuletzt das Ganze
in Ldur, wobei die Bässe zu dem tiefen ü hinabsteigen.

Der sich unmittelbar hier anschließende Doppelchor: "llr^ i'iZIlt luna is
b"00M6 g1ol'ion8, v i^ol-ä" schwankte bisweilen im Takte; der nächste achttaktige
Doppelchor ist wieder ein Beispiel jener Bestimmtheit des Ausdrucks, die diesen
in so wenig Takten sich vollständig erschöpfenden kleinen Bildern einen so ent¬
schieden ausgeprägten Charakter verleiht. Merkwürdig ist, wie selten Händel
in seinen Oratorien eine wirklich vollständige kunstgerechte Fuge schreibt; nicht,
daß er dazu nicht im Stande gewesen wäre, sondern weil ihm die Form zu
eng gewesen zu sein scheint. Er schreibt immer fugirt und gibt dem contra-
punktischen Satze eine Freiheit und Lebendigkeit, die außer ihm Niemand er¬
reicht hat.

So beginnt auch der nächste Doppelchor: "^Iiou 3la<Zg8t tortlr tky
vratlr" als eine regelrechte Fuge, ringt sich aber sehr bald zu jener Freiheit in
der Form durch, die so wahr und natürlich ist. Der nächste vierstimmige Satz:
"^n<i will dirs blÄ8t ok et^ lo8ti'i1s" ist wieder bei all seiner contrapunkti-
schen Feinheit und Schönheit voll überzeugender musikalischer Charakteristik.
Leider gingen v.iele der prachtvollen harmonischen Wendungen durch den un¬
reinen Gesang des Chores verloren, wie denn überhaupt die meisten Chöre
nicht so fest saßen, wie die des Messias. Sims Reeves gab den sorglosen
Charakter des folgenden solos "I will pursus tdsm" in vortrefflicher Weise
wieder, ebenso Fräulein Titiens die nächste bewegte kleine Arie: "Itwu cliäst
blon."

Der schönste Chor von Händel, den ich kenne, ist xsoplv sdeäl Kvar".
Den Text bilden'der 14. 15. und 16. Vers des 15. Capitels vom 2. Buch
Moses. Die Tenore beginnen mit einem einfach großen Motive in Lmoll.
Nach dem Hinzutritt der übrigen Stimmen steigert es sich durch (?dur, Odin und
Anoli zu ?isdur; die folgende Periode "sorrov stralt dicke Iiolä ok eben"
mit ihrem herzzerreißenden Verhalten leitet über zu Mur; worauf der ganze
Chor in Anoli beginnend und auf ?isdur schließend mit dem festmarkirtcn
"all et' mIi^ditÄNts of O-uiÄÄii" hereinschlägt, und nun folgt auf die Worte
weit g.of.)'" mit einem weichen zerfließenden Motive eine der am feinsten
gewebten Chorperivden, die mir je im Händel vorgekommen sind, bis in dem
Fortissimo Lsdur "bx tliL AroÄwk88 ot'dei^ -u in" das eben prophezeite tra¬
gische Geschick der ersten Bewohner Kanaans zu einer unwiderruflichen That¬
sache wird und abschließt mit der Verheißung, daß Israel, das vom Herrn er¬
kaufte Volk, hindurch kommen soll zu seinem verheißenen Lande. Die Gewalt
und das Drängen dieses letzten aufsteigenden Motives zu den Worten: ,M


wieder ein Meisterstück musikalischer Charakteristik. Tenor und Alt beginnen
mit einem ausdrucksvollen Motive in ?dur, die übrigen Stimmen treten hin¬
zu, und nach den wunderbarsten harmonischen Wechseln schließt zuletzt das Ganze
in Ldur, wobei die Bässe zu dem tiefen ü hinabsteigen.

Der sich unmittelbar hier anschließende Doppelchor: „llr^ i'iZIlt luna is
b«00M6 g1ol'ion8, v i^ol-ä" schwankte bisweilen im Takte; der nächste achttaktige
Doppelchor ist wieder ein Beispiel jener Bestimmtheit des Ausdrucks, die diesen
in so wenig Takten sich vollständig erschöpfenden kleinen Bildern einen so ent¬
schieden ausgeprägten Charakter verleiht. Merkwürdig ist, wie selten Händel
in seinen Oratorien eine wirklich vollständige kunstgerechte Fuge schreibt; nicht,
daß er dazu nicht im Stande gewesen wäre, sondern weil ihm die Form zu
eng gewesen zu sein scheint. Er schreibt immer fugirt und gibt dem contra-
punktischen Satze eine Freiheit und Lebendigkeit, die außer ihm Niemand er¬
reicht hat.

So beginnt auch der nächste Doppelchor: „^Iiou 3la<Zg8t tortlr tky
vratlr" als eine regelrechte Fuge, ringt sich aber sehr bald zu jener Freiheit in
der Form durch, die so wahr und natürlich ist. Der nächste vierstimmige Satz:
„^n<i will dirs blÄ8t ok et^ lo8ti'i1s" ist wieder bei all seiner contrapunkti-
schen Feinheit und Schönheit voll überzeugender musikalischer Charakteristik.
Leider gingen v.iele der prachtvollen harmonischen Wendungen durch den un¬
reinen Gesang des Chores verloren, wie denn überhaupt die meisten Chöre
nicht so fest saßen, wie die des Messias. Sims Reeves gab den sorglosen
Charakter des folgenden solos „I will pursus tdsm" in vortrefflicher Weise
wieder, ebenso Fräulein Titiens die nächste bewegte kleine Arie: „Itwu cliäst
blon."

Der schönste Chor von Händel, den ich kenne, ist xsoplv sdeäl Kvar".
Den Text bilden'der 14. 15. und 16. Vers des 15. Capitels vom 2. Buch
Moses. Die Tenore beginnen mit einem einfach großen Motive in Lmoll.
Nach dem Hinzutritt der übrigen Stimmen steigert es sich durch (?dur, Odin und
Anoli zu ?isdur; die folgende Periode „sorrov stralt dicke Iiolä ok eben"
mit ihrem herzzerreißenden Verhalten leitet über zu Mur; worauf der ganze
Chor in Anoli beginnend und auf ?isdur schließend mit dem festmarkirtcn
„all et' mIi^ditÄNts of O-uiÄÄii" hereinschlägt, und nun folgt auf die Worte
weit g.of.)'" mit einem weichen zerfließenden Motive eine der am feinsten
gewebten Chorperivden, die mir je im Händel vorgekommen sind, bis in dem
Fortissimo Lsdur „bx tliL AroÄwk88 ot'dei^ -u in" das eben prophezeite tra¬
gische Geschick der ersten Bewohner Kanaans zu einer unwiderruflichen That¬
sache wird und abschließt mit der Verheißung, daß Israel, das vom Herrn er¬
kaufte Volk, hindurch kommen soll zu seinem verheißenen Lande. Die Gewalt
und das Drängen dieses letzten aufsteigenden Motives zu den Worten: ,M


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114313/303>, abgerufen am 10.02.2025.