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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band.

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Italiens auf Karl Albert. Ein schwerer Fehler ist sonach begangen worden und
die Zeit ist vielleicht nicht mehr fern, wo das Haus Oestreich mehr als einen
Grund haben wird, die Ereignisse des Jahres 184t> zu beklagen." La Mar-
gherita hatte natürlich auch diesen Artikel unterschlagen und war nicht wenig
erstaunt, als ihm der König selbst triumphirend den Artikel zeigte und etwas
maliciös bemerkte, daß nun auch Leute von seiner (La Margherita's) Farbe an¬
zufangen schienen, in richtiger Würdigung die Politik zu billigen, welche Pie-
mont von nun an nicht mehr verlassen könne. Man hatte ihn glauben ge¬
macht, der Artikel rühre von Montalembert her!

Dem gleichen Zwecke diente später die sogenannte Epistvlarverschwörung,
d. h. Briefe, welche sich Männer, wie Balbo. Massimo d'Azeglio über vater¬
ländische Dinge schrieben, und die gleichfalls dem König in die Hände gespielt
wurden. Letzteres war zuweilen das einzige Motiv dieser Briefe, die übrigens,
wie jene Zeitungsartikel, die beabsichtigte Wirkung auf das Gemüth des Kö-
nigs nicht verfehlten.

Inzwischen hätte aber auch die italienische Anthologie ihre ersten schüchter¬
nen Schritte gewagt, bald mehr ermuthigt durch die mildere Behandlung, die
sie vor der übrigen piemontesischen Presse genoß, und durch die äußeren Er¬
eignisse, besonders die Borgänge in Rom, wo die ersten Regierungshandlungen
des ncugewcihlten Papstes einen Sturm von Enthusiasmus erweckt hatten, der
sich bald auch der übrigen Halbinsel mittheilte. Im Anfang freilich schien nie¬
mand recht zu trauen, es wollte mit den Mitarbeitern nicht recht vorwärts ge¬
hen, und den Herausgebern lag selbst , die meiste Mühe'ob, die Spalten zu fül¬
len. Doch sammelte sich in Kurzem ein ansehnlicher Kreis von Mitarbeitern,
die Blüthe der literarischen und wissenschaftlichen Kräfte des Landes, Aristokra¬
ten und Demokraten. Civil- und Militärpersonen, u. a. Cesare Balbo, Mas¬
simo und Robert d'Azeglio. Petitti, Camillo Cavour, Pinelli, Buoncampagni,
Scialoja, Carlo Promis. Begezzi, Ercole Ricotti u. s. w. Es waren, wie man
sieht, fast lauter Piemontesen, später erst sagten auf vieles Andrängen die Tos-
caner Giacinto Del Collegno. Galeotti. Salvandoli, Tavarrini ihre Mitwirkung
zu, die aber wegen des Gangs der Ereignisse in Toscana selbst nie bedeutend
war. Was die Gegenstände betrifft, so überwogen Arbeiten, die zugleich irgend¬
wie ein politisches Interesse boten, bald so sehr die rein wissenschaftlichen, daß
Collegno, als er einen Aufsatz über die Unveränderlichst der Meeresfläche ein¬
schickte, sich entschuldigen zu müssen glaubte, "da im 19. Jahrhundert und in
der Anthologie die Naturwissenschaften nur einen untergeordneten Rang be¬
haupten:"

Der erste Aussatz von politischer Bedeutung, der erste, der. in Piemont die
Worte Vaterland, Freiheit und nationale Unabhängigkeit zu brauchen wagte, war
von Robert d'Azeglio, der an dem Beispiel des Aufschwungs, welchen das Papst-


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Italiens auf Karl Albert. Ein schwerer Fehler ist sonach begangen worden und
die Zeit ist vielleicht nicht mehr fern, wo das Haus Oestreich mehr als einen
Grund haben wird, die Ereignisse des Jahres 184t> zu beklagen." La Mar-
gherita hatte natürlich auch diesen Artikel unterschlagen und war nicht wenig
erstaunt, als ihm der König selbst triumphirend den Artikel zeigte und etwas
maliciös bemerkte, daß nun auch Leute von seiner (La Margherita's) Farbe an¬
zufangen schienen, in richtiger Würdigung die Politik zu billigen, welche Pie-
mont von nun an nicht mehr verlassen könne. Man hatte ihn glauben ge¬
macht, der Artikel rühre von Montalembert her!

Dem gleichen Zwecke diente später die sogenannte Epistvlarverschwörung,
d. h. Briefe, welche sich Männer, wie Balbo. Massimo d'Azeglio über vater¬
ländische Dinge schrieben, und die gleichfalls dem König in die Hände gespielt
wurden. Letzteres war zuweilen das einzige Motiv dieser Briefe, die übrigens,
wie jene Zeitungsartikel, die beabsichtigte Wirkung auf das Gemüth des Kö-
nigs nicht verfehlten.

Inzwischen hätte aber auch die italienische Anthologie ihre ersten schüchter¬
nen Schritte gewagt, bald mehr ermuthigt durch die mildere Behandlung, die
sie vor der übrigen piemontesischen Presse genoß, und durch die äußeren Er¬
eignisse, besonders die Borgänge in Rom, wo die ersten Regierungshandlungen
des ncugewcihlten Papstes einen Sturm von Enthusiasmus erweckt hatten, der
sich bald auch der übrigen Halbinsel mittheilte. Im Anfang freilich schien nie¬
mand recht zu trauen, es wollte mit den Mitarbeitern nicht recht vorwärts ge¬
hen, und den Herausgebern lag selbst , die meiste Mühe'ob, die Spalten zu fül¬
len. Doch sammelte sich in Kurzem ein ansehnlicher Kreis von Mitarbeitern,
die Blüthe der literarischen und wissenschaftlichen Kräfte des Landes, Aristokra¬
ten und Demokraten. Civil- und Militärpersonen, u. a. Cesare Balbo, Mas¬
simo und Robert d'Azeglio. Petitti, Camillo Cavour, Pinelli, Buoncampagni,
Scialoja, Carlo Promis. Begezzi, Ercole Ricotti u. s. w. Es waren, wie man
sieht, fast lauter Piemontesen, später erst sagten auf vieles Andrängen die Tos-
caner Giacinto Del Collegno. Galeotti. Salvandoli, Tavarrini ihre Mitwirkung
zu, die aber wegen des Gangs der Ereignisse in Toscana selbst nie bedeutend
war. Was die Gegenstände betrifft, so überwogen Arbeiten, die zugleich irgend¬
wie ein politisches Interesse boten, bald so sehr die rein wissenschaftlichen, daß
Collegno, als er einen Aufsatz über die Unveränderlichst der Meeresfläche ein¬
schickte, sich entschuldigen zu müssen glaubte, „da im 19. Jahrhundert und in
der Anthologie die Naturwissenschaften nur einen untergeordneten Rang be¬
haupten:"

Der erste Aussatz von politischer Bedeutung, der erste, der. in Piemont die
Worte Vaterland, Freiheit und nationale Unabhängigkeit zu brauchen wagte, war
von Robert d'Azeglio, der an dem Beispiel des Aufschwungs, welchen das Papst-


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[0283] Italiens auf Karl Albert. Ein schwerer Fehler ist sonach begangen worden und die Zeit ist vielleicht nicht mehr fern, wo das Haus Oestreich mehr als einen Grund haben wird, die Ereignisse des Jahres 184t> zu beklagen." La Mar- gherita hatte natürlich auch diesen Artikel unterschlagen und war nicht wenig erstaunt, als ihm der König selbst triumphirend den Artikel zeigte und etwas maliciös bemerkte, daß nun auch Leute von seiner (La Margherita's) Farbe an¬ zufangen schienen, in richtiger Würdigung die Politik zu billigen, welche Pie- mont von nun an nicht mehr verlassen könne. Man hatte ihn glauben ge¬ macht, der Artikel rühre von Montalembert her! Dem gleichen Zwecke diente später die sogenannte Epistvlarverschwörung, d. h. Briefe, welche sich Männer, wie Balbo. Massimo d'Azeglio über vater¬ ländische Dinge schrieben, und die gleichfalls dem König in die Hände gespielt wurden. Letzteres war zuweilen das einzige Motiv dieser Briefe, die übrigens, wie jene Zeitungsartikel, die beabsichtigte Wirkung auf das Gemüth des Kö- nigs nicht verfehlten. Inzwischen hätte aber auch die italienische Anthologie ihre ersten schüchter¬ nen Schritte gewagt, bald mehr ermuthigt durch die mildere Behandlung, die sie vor der übrigen piemontesischen Presse genoß, und durch die äußeren Er¬ eignisse, besonders die Borgänge in Rom, wo die ersten Regierungshandlungen des ncugewcihlten Papstes einen Sturm von Enthusiasmus erweckt hatten, der sich bald auch der übrigen Halbinsel mittheilte. Im Anfang freilich schien nie¬ mand recht zu trauen, es wollte mit den Mitarbeitern nicht recht vorwärts ge¬ hen, und den Herausgebern lag selbst , die meiste Mühe'ob, die Spalten zu fül¬ len. Doch sammelte sich in Kurzem ein ansehnlicher Kreis von Mitarbeitern, die Blüthe der literarischen und wissenschaftlichen Kräfte des Landes, Aristokra¬ ten und Demokraten. Civil- und Militärpersonen, u. a. Cesare Balbo, Mas¬ simo und Robert d'Azeglio. Petitti, Camillo Cavour, Pinelli, Buoncampagni, Scialoja, Carlo Promis. Begezzi, Ercole Ricotti u. s. w. Es waren, wie man sieht, fast lauter Piemontesen, später erst sagten auf vieles Andrängen die Tos- caner Giacinto Del Collegno. Galeotti. Salvandoli, Tavarrini ihre Mitwirkung zu, die aber wegen des Gangs der Ereignisse in Toscana selbst nie bedeutend war. Was die Gegenstände betrifft, so überwogen Arbeiten, die zugleich irgend¬ wie ein politisches Interesse boten, bald so sehr die rein wissenschaftlichen, daß Collegno, als er einen Aufsatz über die Unveränderlichst der Meeresfläche ein¬ schickte, sich entschuldigen zu müssen glaubte, „da im 19. Jahrhundert und in der Anthologie die Naturwissenschaften nur einen untergeordneten Rang be¬ haupten:" Der erste Aussatz von politischer Bedeutung, der erste, der. in Piemont die Worte Vaterland, Freiheit und nationale Unabhängigkeit zu brauchen wagte, war von Robert d'Azeglio, der an dem Beispiel des Aufschwungs, welchen das Papst- 35*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114313/283>, abgerufen am 05.02.2025.