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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band.

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diesem Augenblicke näherte sich die zweite Vertragsperiode des Zollvereins ih¬
rem Ende.

Wer irgend aus persönlichem Interesse oder in patriotischer Gesinnung
die damalige Lage und die Aussichten in die nächste Zukunft ins Auge faßte,
der mußte sich gestehen, daß die in jedem Jahrzehnt miederkehrende Krise des
Zollvereins kaum schlimmer sich gestalten, daß die Hoffnung für die Erhaltung
des auf wirthschaftlichem Boden mühsam errungenen Stückes deutscher Einigung
nur sehr schwach sein konnte. Wenn der Verein dessen ungeachtet sogar ge¬
stärkt und erweitert aus der Krisis hervorging, so war der Beweis geliefert,
daß er überhaupt nicht mehr zu zerstören sei, daß die auf dem großen deutschen
Markte emporgcwachsene Gemeinschaft der Interessen und der zunehmende
Geldbedarf der Staatskassen stärker sind als alle Ränke und sonstige Waffen
der Gegner. Hat der Zollverein die Jahre von 1851 bis 1853 überlebt, so
dürfen wir uns der festen Zuversicht hingeben, daß er auch in der gegenwärti¬
gen Krise nicht untergehen werde. Aber darum dürfen wir die Hände nicht
in den Schoos legen, und um klar zu werden über das, was wir zu thun
haben, ist es gut, wenn Nur uns zunächst jener letzten Krisis von 1851--1853
und ihres Verlaufes erinnern.

Preußen hatte für die Erneuerung der mit dem Jahre 1853 ablaufen¬
den Verträge keine Aenderung der Verfassung, auch keine wesentlichen Modi¬
fikationen des Tarifs sich als Ziele gesteckt, wahrscheinlich, weil die allgemeine
Lage für Verhandlungen gerade über diese Fragen nicht günstig war. Da¬
gegen hatte Preußen eine Erweiterung des Gebietes vorbereitet, indem es
mit dem Steuervereinc einen Vertrag schloß, welcher dessen Eintritt in den
Zollverein bedingte. Braunschweig war schon früher (1842) von jenem ab-, zu
diesem übergegangen. Hannover und Oldenburg mit Lippe waren noch außer¬
halb stehen geblieben, ihr Beitritt brachte das Vereinsgebiet an die Nordsee,
es lag somit die Voraussetzung nahe, daß alle Glieder des Vereins eine solche'
Mitgabe willkommen heißen würden. -- Um seinen Zweck zu erreichen, wählte
Preußen das einzige dazu geeignete Mittel: es kündigte rechtzeitig die Zoll¬
vereinsverträge und erklärte-sich bereit, dieselben mit allen den Regierungen zu
erneuern, welche seinem, mit dem Steuervereine geschlossenen Vertrage beitreten
würden. Da erwies sich die natürliche Voraussetzung, daß man die Erweite¬
rung des Vereinsgebietes dankbar annehmen würde, als ein leerer Wahn.
Die Zollverbündeten im Süden, da sie dem Inhalte und dem Zwecke des
Vertrags über den Beitritt von Hannover und Oldenburg nichts anhaben
koMiten, warfen sich auf die Form, erklärten sich verletzt durch das Verfahren
Preußens, welches jenen Vertrag nicht ohne ihre vorgängige Zustimmung --
d. h. niemals -- hätte abschließen dürfen. Von Wien aus instruirt, knüpften sie
ihre Zustimmung zur Aufnahme von Hannover und Oldenburg an die Zu-


diesem Augenblicke näherte sich die zweite Vertragsperiode des Zollvereins ih¬
rem Ende.

Wer irgend aus persönlichem Interesse oder in patriotischer Gesinnung
die damalige Lage und die Aussichten in die nächste Zukunft ins Auge faßte,
der mußte sich gestehen, daß die in jedem Jahrzehnt miederkehrende Krise des
Zollvereins kaum schlimmer sich gestalten, daß die Hoffnung für die Erhaltung
des auf wirthschaftlichem Boden mühsam errungenen Stückes deutscher Einigung
nur sehr schwach sein konnte. Wenn der Verein dessen ungeachtet sogar ge¬
stärkt und erweitert aus der Krisis hervorging, so war der Beweis geliefert,
daß er überhaupt nicht mehr zu zerstören sei, daß die auf dem großen deutschen
Markte emporgcwachsene Gemeinschaft der Interessen und der zunehmende
Geldbedarf der Staatskassen stärker sind als alle Ränke und sonstige Waffen
der Gegner. Hat der Zollverein die Jahre von 1851 bis 1853 überlebt, so
dürfen wir uns der festen Zuversicht hingeben, daß er auch in der gegenwärti¬
gen Krise nicht untergehen werde. Aber darum dürfen wir die Hände nicht
in den Schoos legen, und um klar zu werden über das, was wir zu thun
haben, ist es gut, wenn Nur uns zunächst jener letzten Krisis von 1851—1853
und ihres Verlaufes erinnern.

Preußen hatte für die Erneuerung der mit dem Jahre 1853 ablaufen¬
den Verträge keine Aenderung der Verfassung, auch keine wesentlichen Modi¬
fikationen des Tarifs sich als Ziele gesteckt, wahrscheinlich, weil die allgemeine
Lage für Verhandlungen gerade über diese Fragen nicht günstig war. Da¬
gegen hatte Preußen eine Erweiterung des Gebietes vorbereitet, indem es
mit dem Steuervereinc einen Vertrag schloß, welcher dessen Eintritt in den
Zollverein bedingte. Braunschweig war schon früher (1842) von jenem ab-, zu
diesem übergegangen. Hannover und Oldenburg mit Lippe waren noch außer¬
halb stehen geblieben, ihr Beitritt brachte das Vereinsgebiet an die Nordsee,
es lag somit die Voraussetzung nahe, daß alle Glieder des Vereins eine solche'
Mitgabe willkommen heißen würden. — Um seinen Zweck zu erreichen, wählte
Preußen das einzige dazu geeignete Mittel: es kündigte rechtzeitig die Zoll¬
vereinsverträge und erklärte-sich bereit, dieselben mit allen den Regierungen zu
erneuern, welche seinem, mit dem Steuervereine geschlossenen Vertrage beitreten
würden. Da erwies sich die natürliche Voraussetzung, daß man die Erweite¬
rung des Vereinsgebietes dankbar annehmen würde, als ein leerer Wahn.
Die Zollverbündeten im Süden, da sie dem Inhalte und dem Zwecke des
Vertrags über den Beitritt von Hannover und Oldenburg nichts anhaben
koMiten, warfen sich auf die Form, erklärten sich verletzt durch das Verfahren
Preußens, welches jenen Vertrag nicht ohne ihre vorgängige Zustimmung —
d. h. niemals — hätte abschließen dürfen. Von Wien aus instruirt, knüpften sie
ihre Zustimmung zur Aufnahme von Hannover und Oldenburg an die Zu-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114313/214>, abgerufen am 25.08.2024.