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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band.

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selbst kein großer Held darin. Endlich aber verhindert es besonders meine
jezige Lage ganz und gar Dich, ehe Deine Sitten mehr Feinheit haben, in
mein Haus zu nehmen. Ich habe meine sehr triftigen Gründe, zu wollen, daß
nichts was mir angehört, auf irgend eine Art dem Tadel des Publicums aus¬
gefegt sey. -- Du kannst für Deine Sitten höchstens Schüchternheit, und das
Complimentirbuch der kleinstädtischen Welt angenommen haben: das ist für den
Anfang nicht übel. Aber darauf muß eine anständige Freimüthigkeit, und eine
gewisse Leichtigkeit gesezt werden, und diese kannst Du in Deiner gegenwärtigen
Lage nicht annehmen, und ich weiß gar wohl warum. -- Ferner weiß ich sehr
sicher, daß Du die schöne Rammenauische Sprache noch immer nicht abgelegt
hast, und daß diese erst weg wäre, wünsche ich gar sehr.

Dies sind meine Gedanken wegen Deines AnHerkommens. Dies ist vor
der Hand unmöglich, und bleibt unmöglich, bis ich Dich selbst geprüft habe,
und Dich dazu fähig finde. Deinen Wunsch aber von Meissen wegzuseyn, über¬
haupt misbillige ich nicht: wen" ich nur wüste, wo ich Dich hinthun sollte.
Es sind mir zwei Gedanken eingefallen; entweder'als Externus nach Schul-
Pforte. Hierbei würdest Du den Vortheil haben, mit jungen Leuten Deines
gleichen bekannt zu werden, welches ein großer Vortheil für das ganze Leben
ist; aber leider -- würde Dir dabei Deine Unwissenheit in demjenigen, wovon
dort alles Ansehen abhängt, im Wege stehen, und es würde eine sehr große
Klugheit von Deiner Seite erfordern, Dich zu behaupten, theils wäre auch dort
für die Bildung feiner Sitten nicht viel besser gesorgt, als in Meissen. Jedoch,
Du wärst mir in der Nähe, und ich könnte vielleicht durch meinen Einfluß und
Namen bei den umliegenden Familien etwas vermögen. (sZusatz am Randes:
Dieser ganze Plan stößt sich besonders daran, ob Du auch genug gelernt haben
magst, um in Pforte recipirt zu werden.) Oder, es ist mir eingefallen Dich
zum Pastor Bischoff zu thun, der seine schlechte Stelle mit einer sehr guten,
auch nicht allzu weit von hier, vertauscht hat. Ich werde in einigen Wochen
selbst zu ihm reisen, und die Lage selbst vollkommen prüfen, ehe ich ihm einen
Gedanken davon äußere. In der Mitte künftigen Monats sollst Du
etwas bestimmtes von mir erfahren.

Wie stehts mit dem Tanzen? Ferner, wie steht es mit Deiner Kleidung,
Deinen Büchern, Deiner Börse? -- Schreib mir das recht ausführlich, damit
ich meine Maasregeln darnach nehmen könne. Deinen Lehrer grüße von mir,
und sage ihm: ich bedauere, daß ich ihm Dein Viertel-Jahr-Geld nicht habe
fehlten können. Es sey mir nicht möglich gewesen, und ich müste ihn bitten
zu warten, bis Monat May, wo ich es ihm richtig, und mit Dank übersenden
werde.

Bruder Christian hat von Finsterwalde aus an mich geschrieben und mir
seine Verheirathung gemeldet. Wenn Du ihm etwa schreibst, so versichre ihn


Grenzboten III. 1S62. Is

selbst kein großer Held darin. Endlich aber verhindert es besonders meine
jezige Lage ganz und gar Dich, ehe Deine Sitten mehr Feinheit haben, in
mein Haus zu nehmen. Ich habe meine sehr triftigen Gründe, zu wollen, daß
nichts was mir angehört, auf irgend eine Art dem Tadel des Publicums aus¬
gefegt sey. — Du kannst für Deine Sitten höchstens Schüchternheit, und das
Complimentirbuch der kleinstädtischen Welt angenommen haben: das ist für den
Anfang nicht übel. Aber darauf muß eine anständige Freimüthigkeit, und eine
gewisse Leichtigkeit gesezt werden, und diese kannst Du in Deiner gegenwärtigen
Lage nicht annehmen, und ich weiß gar wohl warum. — Ferner weiß ich sehr
sicher, daß Du die schöne Rammenauische Sprache noch immer nicht abgelegt
hast, und daß diese erst weg wäre, wünsche ich gar sehr.

Dies sind meine Gedanken wegen Deines AnHerkommens. Dies ist vor
der Hand unmöglich, und bleibt unmöglich, bis ich Dich selbst geprüft habe,
und Dich dazu fähig finde. Deinen Wunsch aber von Meissen wegzuseyn, über¬
haupt misbillige ich nicht: wen» ich nur wüste, wo ich Dich hinthun sollte.
Es sind mir zwei Gedanken eingefallen; entweder'als Externus nach Schul-
Pforte. Hierbei würdest Du den Vortheil haben, mit jungen Leuten Deines
gleichen bekannt zu werden, welches ein großer Vortheil für das ganze Leben
ist; aber leider — würde Dir dabei Deine Unwissenheit in demjenigen, wovon
dort alles Ansehen abhängt, im Wege stehen, und es würde eine sehr große
Klugheit von Deiner Seite erfordern, Dich zu behaupten, theils wäre auch dort
für die Bildung feiner Sitten nicht viel besser gesorgt, als in Meissen. Jedoch,
Du wärst mir in der Nähe, und ich könnte vielleicht durch meinen Einfluß und
Namen bei den umliegenden Familien etwas vermögen. (sZusatz am Randes:
Dieser ganze Plan stößt sich besonders daran, ob Du auch genug gelernt haben
magst, um in Pforte recipirt zu werden.) Oder, es ist mir eingefallen Dich
zum Pastor Bischoff zu thun, der seine schlechte Stelle mit einer sehr guten,
auch nicht allzu weit von hier, vertauscht hat. Ich werde in einigen Wochen
selbst zu ihm reisen, und die Lage selbst vollkommen prüfen, ehe ich ihm einen
Gedanken davon äußere. In der Mitte künftigen Monats sollst Du
etwas bestimmtes von mir erfahren.

Wie stehts mit dem Tanzen? Ferner, wie steht es mit Deiner Kleidung,
Deinen Büchern, Deiner Börse? — Schreib mir das recht ausführlich, damit
ich meine Maasregeln darnach nehmen könne. Deinen Lehrer grüße von mir,
und sage ihm: ich bedauere, daß ich ihm Dein Viertel-Jahr-Geld nicht habe
fehlten können. Es sey mir nicht möglich gewesen, und ich müste ihn bitten
zu warten, bis Monat May, wo ich es ihm richtig, und mit Dank übersenden
werde.

Bruder Christian hat von Finsterwalde aus an mich geschrieben und mir
seine Verheirathung gemeldet. Wenn Du ihm etwa schreibst, so versichre ihn


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114313/145>, abgerufen am 24.08.2024.