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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band.

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Milde ist. Iso achtungswerth ist des Mannes Strenge, der als Erzieher auch
gegen den Bruder von den ernsten Anforderungen nichts nachließ, wo er nichts
nachlassen durfte.


>n8^i

Meinem Bruder Gotthelf.

Jena. d. 24. Jun. 1794.


Mein lieber Bruder.

Du hast in den Punkten, die ich Dir bei Deiner Prüfung vorgelegt,
manches nicht aus dem richtigen Gesichtspunkte angesehen. -- Dahin gehören
die gelehrten Sprachen. In Erlernung derselben hat ein schon gebildeter
Kopf allerdings Bordseite, die das Kind nicht hat; er faßt besser die allgemei¬
nen Begriffe, die dazu nöthig sind; aber er hat auch Nachtheile. Das
mechanische Lernen bloßer Schalle, wie die Wörter sind, ist ihm etwas trotncs.
Einen Nachtheil aber hat er, an dessen Ucberwindbarkeit ich ganz zweifle: die
Verhärtung der Sprachorgane zur Hervorbringung der richtigen Töne,
besonders in der Französischen Sprache; wobei Du noch einen Nachtheil mehr
hast, als andere, da Dein mütterlicher Dialekt das verdorbene Sächsisch, und
noch dazu das höchstverdvrbene Ober Lausitzer Sächsische ist. Ich selbst, der
ich doch von meiner ersten Kindheit an aus der Gegend gekommen, habe Mühe
gehabt, selbst meine teutsche Mundart so zu reinigen, daß man mir mein Ge¬
burtsland nicht mehr anhöre; Du wirst das nie können. Französisch gut
sprechen habe ich nie lernen können; eben um dieser Muttersprache Willen;
und Du wirst nie auch soweit kommen, um einem Franzosen Dich verständlich
zu machen, aus Gründen, die ich Dir mündlich entwikeln will: (nicht bloß der
Gaum. und die Zunge, auch das Ohr wird verhärtet; man hört den rechten
Ton gar nicht.) -- Ferner ist ein Hauptpunkt das feinere Betragen der großen
Welt, das einem Gelehrten, der zur höhern Klasse gehören, und nicht unter
den gemeinen gelehrten Handwerkern verbleiben will, schon jezt nöthig ist, und
immer nöthiger wird. Denn der Gelehrten Stand fängt an sich auf eine
immer höhere Stuffe empor zu arbeiten; und ehe Du auftrittst, wird die Sache
wieder weit höher getrieben seyn. Wem es in diesem Punkte fehlt, den macht
man lächerlich, eben darum, weil man die Uebermacht des Gelehrten unwillig
mit ansieht; und nun ist er um alle seine Brauchbarkeit. Du kannst Dir das
garnicht so ganz denken, weil es gänzlich außer Deiner Sphäre liegt. -- Ein
solches seines Betragen nun lernt in spätern Jahren sich nie; denn die Ein-
drüke der ersten Erziehung sind unaustilgbar. (Mir sieht man die meinige
jezt vielleicht nicht mehr an; aber das macht mein sehr frühes Leben im Mil-
tizschen Hause, mein Leben in Schulpforta, unter meist besser erzognen Kindern,
mein frühes Tanzenlernen u. s. w. Und dennoch hatte ich noch nach meinem
Abgange von der Universität einige bäurische Manieren; die bloß das sehrviele
Reisen, das viele Hosmeisterieren. in verschiedenen Ländern, und Häusern, und
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Milde ist. Iso achtungswerth ist des Mannes Strenge, der als Erzieher auch
gegen den Bruder von den ernsten Anforderungen nichts nachließ, wo er nichts
nachlassen durfte.


>n8^i

Meinem Bruder Gotthelf.

Jena. d. 24. Jun. 1794.


Mein lieber Bruder.

Du hast in den Punkten, die ich Dir bei Deiner Prüfung vorgelegt,
manches nicht aus dem richtigen Gesichtspunkte angesehen. — Dahin gehören
die gelehrten Sprachen. In Erlernung derselben hat ein schon gebildeter
Kopf allerdings Bordseite, die das Kind nicht hat; er faßt besser die allgemei¬
nen Begriffe, die dazu nöthig sind; aber er hat auch Nachtheile. Das
mechanische Lernen bloßer Schalle, wie die Wörter sind, ist ihm etwas trotncs.
Einen Nachtheil aber hat er, an dessen Ucberwindbarkeit ich ganz zweifle: die
Verhärtung der Sprachorgane zur Hervorbringung der richtigen Töne,
besonders in der Französischen Sprache; wobei Du noch einen Nachtheil mehr
hast, als andere, da Dein mütterlicher Dialekt das verdorbene Sächsisch, und
noch dazu das höchstverdvrbene Ober Lausitzer Sächsische ist. Ich selbst, der
ich doch von meiner ersten Kindheit an aus der Gegend gekommen, habe Mühe
gehabt, selbst meine teutsche Mundart so zu reinigen, daß man mir mein Ge¬
burtsland nicht mehr anhöre; Du wirst das nie können. Französisch gut
sprechen habe ich nie lernen können; eben um dieser Muttersprache Willen;
und Du wirst nie auch soweit kommen, um einem Franzosen Dich verständlich
zu machen, aus Gründen, die ich Dir mündlich entwikeln will: (nicht bloß der
Gaum. und die Zunge, auch das Ohr wird verhärtet; man hört den rechten
Ton gar nicht.) — Ferner ist ein Hauptpunkt das feinere Betragen der großen
Welt, das einem Gelehrten, der zur höhern Klasse gehören, und nicht unter
den gemeinen gelehrten Handwerkern verbleiben will, schon jezt nöthig ist, und
immer nöthiger wird. Denn der Gelehrten Stand fängt an sich auf eine
immer höhere Stuffe empor zu arbeiten; und ehe Du auftrittst, wird die Sache
wieder weit höher getrieben seyn. Wem es in diesem Punkte fehlt, den macht
man lächerlich, eben darum, weil man die Uebermacht des Gelehrten unwillig
mit ansieht; und nun ist er um alle seine Brauchbarkeit. Du kannst Dir das
garnicht so ganz denken, weil es gänzlich außer Deiner Sphäre liegt. — Ein
solches seines Betragen nun lernt in spätern Jahren sich nie; denn die Ein-
drüke der ersten Erziehung sind unaustilgbar. (Mir sieht man die meinige
jezt vielleicht nicht mehr an; aber das macht mein sehr frühes Leben im Mil-
tizschen Hause, mein Leben in Schulpforta, unter meist besser erzognen Kindern,
mein frühes Tanzenlernen u. s. w. Und dennoch hatte ich noch nach meinem
Abgange von der Universität einige bäurische Manieren; die bloß das sehrviele
Reisen, das viele Hosmeisterieren. in verschiedenen Ländern, und Häusern, und
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[0131] Milde ist. Iso achtungswerth ist des Mannes Strenge, der als Erzieher auch gegen den Bruder von den ernsten Anforderungen nichts nachließ, wo er nichts nachlassen durfte. >n8^i Meinem Bruder Gotthelf. Jena. d. 24. Jun. 1794. Mein lieber Bruder. Du hast in den Punkten, die ich Dir bei Deiner Prüfung vorgelegt, manches nicht aus dem richtigen Gesichtspunkte angesehen. — Dahin gehören die gelehrten Sprachen. In Erlernung derselben hat ein schon gebildeter Kopf allerdings Bordseite, die das Kind nicht hat; er faßt besser die allgemei¬ nen Begriffe, die dazu nöthig sind; aber er hat auch Nachtheile. Das mechanische Lernen bloßer Schalle, wie die Wörter sind, ist ihm etwas trotncs. Einen Nachtheil aber hat er, an dessen Ucberwindbarkeit ich ganz zweifle: die Verhärtung der Sprachorgane zur Hervorbringung der richtigen Töne, besonders in der Französischen Sprache; wobei Du noch einen Nachtheil mehr hast, als andere, da Dein mütterlicher Dialekt das verdorbene Sächsisch, und noch dazu das höchstverdvrbene Ober Lausitzer Sächsische ist. Ich selbst, der ich doch von meiner ersten Kindheit an aus der Gegend gekommen, habe Mühe gehabt, selbst meine teutsche Mundart so zu reinigen, daß man mir mein Ge¬ burtsland nicht mehr anhöre; Du wirst das nie können. Französisch gut sprechen habe ich nie lernen können; eben um dieser Muttersprache Willen; und Du wirst nie auch soweit kommen, um einem Franzosen Dich verständlich zu machen, aus Gründen, die ich Dir mündlich entwikeln will: (nicht bloß der Gaum. und die Zunge, auch das Ohr wird verhärtet; man hört den rechten Ton gar nicht.) — Ferner ist ein Hauptpunkt das feinere Betragen der großen Welt, das einem Gelehrten, der zur höhern Klasse gehören, und nicht unter den gemeinen gelehrten Handwerkern verbleiben will, schon jezt nöthig ist, und immer nöthiger wird. Denn der Gelehrten Stand fängt an sich auf eine immer höhere Stuffe empor zu arbeiten; und ehe Du auftrittst, wird die Sache wieder weit höher getrieben seyn. Wem es in diesem Punkte fehlt, den macht man lächerlich, eben darum, weil man die Uebermacht des Gelehrten unwillig mit ansieht; und nun ist er um alle seine Brauchbarkeit. Du kannst Dir das garnicht so ganz denken, weil es gänzlich außer Deiner Sphäre liegt. — Ein solches seines Betragen nun lernt in spätern Jahren sich nie; denn die Ein- drüke der ersten Erziehung sind unaustilgbar. (Mir sieht man die meinige jezt vielleicht nicht mehr an; aber das macht mein sehr frühes Leben im Mil- tizschen Hause, mein Leben in Schulpforta, unter meist besser erzognen Kindern, mein frühes Tanzenlernen u. s. w. Und dennoch hatte ich noch nach meinem Abgange von der Universität einige bäurische Manieren; die bloß das sehrviele Reisen, das viele Hosmeisterieren. in verschiedenen Ländern, und Häusern, und " 16

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114313/131>, abgerufen am 25.08.2024.