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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band.

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der Pflicht abwich. Frühzeitig gewohnt, die sauere Arbeit seines Vaters zu
theilen, trieb er das Tischlerhandwerk, welches die Familie ernährte." --

Der beredte Prälat schildert weiter, wie der selige Gicquel sein bescheidenes
mütterliches Erbtheil verkauft, um die Schulden seines Vaters zu bezahlen, Und
dann eine Reise durch Frankreich antritt, "eine gefahrvolle Laufbahn, die er
aber zurücklegt, ohne daß irgend etwas der Reinheit seines Herzens zu schaden,
die Festigkeit seines Glaubens zu erschüttern vermag." -- "Begabt mit jener
geistigen Spannkraft, welche die Bretagner kennzeichnet, beschuht von dem Ge¬
löbnis; der Ehrenhaftigkeit, welches seine Mutter auf ihrem Todtenbette von
ihm erhalten hatte, war er unzugänglich für alle jene verführerischen Lehren in
Politik und Religion, welche heutzutage so viele aus dem Arbeiterstande be-
thören. Auf seinen Wanderungen mied er stets die Gesellschaft der Gottlosen
und suchte den Umgang der Guten. Ueberall wo er einige Zeit sich aufhielt,
erkannte man rühmend seinen braven, ordentlichen Lebenswandel, seine außer¬
ordentliche Mäßigkeit, seine Gewissenhaftigkeit und Ehrlichkeit, sowie sein
tiefgefühlvolles Wesen an. -- Aber vor allen Dingen war er ein echter
Christ, ein Christ, welcher in sich das Bewußtsein seiner Würde trug, und
welcher sich selbst achtete als ein Kind Gottes, als einen Bruder Jesu
Christi, einen Bürger und ein Glied der heiligen Kirche Gottes, einen
Erben des Himmelreichs. Er war stolzer auf diese seine Rechte als irgend
ein Edelmann auf seine Abstammung, und er that recht daran. So
hoch auch menschlicher Adel zu halten ist, er ist doch nur ein Abglanz im
Vergleich mit dem Gnadengeschenk, welches uns in der Taufe ertheilt
wird. --

Dieses innige und zarte Gefühl von dem Werth und der Pflicht des
Christen ist es denn auch, was Louis Gicquel würdig macht, heute öffentlich
in der Versammlung der Heiligen gepriesen zu werden. Er war nur ein junger
unbekannter Mann, ein armer, gewöhnlicher Arbeiter, dazu bestimmt, nie eine
Rolle in der Welt zu spielen. Weil er aber eine klare und bestimmte Ansicht
hatte von den Rechten der Kirche, erhoben sich seine Anschauungen und sein
Wollen zu einer Höhe, welche sich mit seiner Stellung und Erziehung nicht zu
vertragen schien.

Der Nothschrei der heiligen römischen Kirche drang bis zu unserm jungen
Bretagner. Er schenkte unsrer Stadt Poitiers das ehrenvolle Zutrauen, daß
sie der zur Ausführung seines Vorhabens günstige Ort sei. Hier warteten
seiner die vorschriftsmäßigen Prüfungen; denn mit Vorsicht, was man auch
sagen mag, weisen wir stets den Eifer aller derer in die rechten Bahnen,
welche die Sache des heiligen Stuhls zu der ihrigen gemacht haben. Man
erforscht genau die Neigungen und Talente des jungen Arbeiters. Man zieht
Erkundigungen bei seinem Beichtvater ein. Auch die Priester unsers Sprengels


der Pflicht abwich. Frühzeitig gewohnt, die sauere Arbeit seines Vaters zu
theilen, trieb er das Tischlerhandwerk, welches die Familie ernährte." —

Der beredte Prälat schildert weiter, wie der selige Gicquel sein bescheidenes
mütterliches Erbtheil verkauft, um die Schulden seines Vaters zu bezahlen, Und
dann eine Reise durch Frankreich antritt, „eine gefahrvolle Laufbahn, die er
aber zurücklegt, ohne daß irgend etwas der Reinheit seines Herzens zu schaden,
die Festigkeit seines Glaubens zu erschüttern vermag." — „Begabt mit jener
geistigen Spannkraft, welche die Bretagner kennzeichnet, beschuht von dem Ge¬
löbnis; der Ehrenhaftigkeit, welches seine Mutter auf ihrem Todtenbette von
ihm erhalten hatte, war er unzugänglich für alle jene verführerischen Lehren in
Politik und Religion, welche heutzutage so viele aus dem Arbeiterstande be-
thören. Auf seinen Wanderungen mied er stets die Gesellschaft der Gottlosen
und suchte den Umgang der Guten. Ueberall wo er einige Zeit sich aufhielt,
erkannte man rühmend seinen braven, ordentlichen Lebenswandel, seine außer¬
ordentliche Mäßigkeit, seine Gewissenhaftigkeit und Ehrlichkeit, sowie sein
tiefgefühlvolles Wesen an. — Aber vor allen Dingen war er ein echter
Christ, ein Christ, welcher in sich das Bewußtsein seiner Würde trug, und
welcher sich selbst achtete als ein Kind Gottes, als einen Bruder Jesu
Christi, einen Bürger und ein Glied der heiligen Kirche Gottes, einen
Erben des Himmelreichs. Er war stolzer auf diese seine Rechte als irgend
ein Edelmann auf seine Abstammung, und er that recht daran. So
hoch auch menschlicher Adel zu halten ist, er ist doch nur ein Abglanz im
Vergleich mit dem Gnadengeschenk, welches uns in der Taufe ertheilt
wird. —

Dieses innige und zarte Gefühl von dem Werth und der Pflicht des
Christen ist es denn auch, was Louis Gicquel würdig macht, heute öffentlich
in der Versammlung der Heiligen gepriesen zu werden. Er war nur ein junger
unbekannter Mann, ein armer, gewöhnlicher Arbeiter, dazu bestimmt, nie eine
Rolle in der Welt zu spielen. Weil er aber eine klare und bestimmte Ansicht
hatte von den Rechten der Kirche, erhoben sich seine Anschauungen und sein
Wollen zu einer Höhe, welche sich mit seiner Stellung und Erziehung nicht zu
vertragen schien.

Der Nothschrei der heiligen römischen Kirche drang bis zu unserm jungen
Bretagner. Er schenkte unsrer Stadt Poitiers das ehrenvolle Zutrauen, daß
sie der zur Ausführung seines Vorhabens günstige Ort sei. Hier warteten
seiner die vorschriftsmäßigen Prüfungen; denn mit Vorsicht, was man auch
sagen mag, weisen wir stets den Eifer aller derer in die rechten Bahnen,
welche die Sache des heiligen Stuhls zu der ihrigen gemacht haben. Man
erforscht genau die Neigungen und Talente des jungen Arbeiters. Man zieht
Erkundigungen bei seinem Beichtvater ein. Auch die Priester unsers Sprengels


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114313/122>, abgerufen am 24.08.2024.