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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band.

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Bologna, tief in einem Gebiet, das nie vorher die Predigt des evangelischen
Glaubens vernommen hatte. Ueberall hatte ihr Unternehmen Erfolg, und
wenn die von ihnen gepflanzten Gemeinden noch nicht nach Tausenden zählen,
so ist zu bemerken, daß das Werk der "Evangelisation" noch neu ist, und daß
andrerseits die Unsicherheit des Bestandes der neuen Ordnung in Italien, die
eine Rückkehr des alten religiösen Drucks nicht ausschließt, manchen Wohl¬
gesinnten bedenklich machen kann, wenn der Ruf zum Anschluß an ihn ergeht.

Die Waldenser haben jetzt eine Gemeinde in Turin von ungefähr 400 Mit¬
gliedern, die größtentheils aus der katholischen Kirche übergetreten sind. In Genua
zählt die Waldcnsergemeinde gegen 300 Seelen, die alle Konvertiten sind. In
Aosta gehören der Congregation, die sich an der Stelle zu versammeln Pflegt, wo
Calvin nach seiner Vertreibung aus Ferrara seine Freunde versammelte, etwa
150 von den Einwohnern an. und man hat der Straße, wo das Bethaus die¬
ser Gemeinde steht, den Namen der Calvinsstraße gegeben, eine Taufe, die vor
fünfzehn Jahren vermuthlich mit Zuchthaus bestraft worden wäre.

Bei allen Gemeinden befinden sich zugleich Schulen, da man weiß, daß
die evangelische Kirche ohne Schule keinen festen Grund fassen kann. In Tu¬
rin bestehen drei, in Genua zwei, in Livorno eine und in Florenz wieder zwei
derartige Schulen. In Genua haben die Waldenser ein Hospital eingerichtet,
das von zwei Diakonissen geleitet wird. Endlich ist noch zu erwähnen, daß
auf der Waldensersynode von 1860 der sehr bezeichnende Beschluß gefaßt wurde,
die theologische Facultät, welche sämmtliche Gemeinden mit Predigern versieht,
von Latour. wo sie seit langen Jahren war, nach Florenz zu verlegen. Die
Waldenser treten damit noch mehr als bisher aus der Stille ihrer abgelegenen
Alpenthäler in die Oeffentlichkeit. Florenz, jetzt der Mittelpunkt der religiösen
Bewegung in Italien, gewährt den jungen Theologen alle Mittel zu allgemeiner
Bildung und erleichtert dem aus dem französisch redenden Mutterland der Mis¬
sionen stammenden Zöglingen die zu weitreichender Wirksamkeit nothwendige
Erlernung der italienischen Sprache. Auch für diesen Zweck, sowie lfür die
übrigen Schulanstalten der Waldenser hat der Gustav-Adolf-Verein wiederholt
sein thätiges Wohlwollen an den Tag gelegt und dasselbe ferner zugesagt.

In Florenz bestehen außer der Waldensergemcinde noch drei protestantische
Gemeinschaften, unter denen die von Professor Vorivni geleitete besonders der
Unterstützung bedarf. Dieselbe zählte Anfangs nur 40 florentinische Familien,
hat sich aber in wenigen Monaten bis auf 150 Familien, circa 500 Köpfe,
vermehrt und verspricht noch weiteres Wachsthum. Ihr Führer widmet sich,
obwohl an beiden Füßen gelähmt, mit begeisterter Hingebung den geistlichen Be¬
dürfnissen der fast durchgehends aus Unbemittelten bestehenden Schaar. Für
die Dauer sind seine Kräfte aber der Arbeit nicht gewachsen. Er braucht einen
Gehülfen, er hat gar keinen Gehalt, auch muß bei der schlechten Beschaffenheit


Bologna, tief in einem Gebiet, das nie vorher die Predigt des evangelischen
Glaubens vernommen hatte. Ueberall hatte ihr Unternehmen Erfolg, und
wenn die von ihnen gepflanzten Gemeinden noch nicht nach Tausenden zählen,
so ist zu bemerken, daß das Werk der „Evangelisation" noch neu ist, und daß
andrerseits die Unsicherheit des Bestandes der neuen Ordnung in Italien, die
eine Rückkehr des alten religiösen Drucks nicht ausschließt, manchen Wohl¬
gesinnten bedenklich machen kann, wenn der Ruf zum Anschluß an ihn ergeht.

Die Waldenser haben jetzt eine Gemeinde in Turin von ungefähr 400 Mit¬
gliedern, die größtentheils aus der katholischen Kirche übergetreten sind. In Genua
zählt die Waldcnsergemeinde gegen 300 Seelen, die alle Konvertiten sind. In
Aosta gehören der Congregation, die sich an der Stelle zu versammeln Pflegt, wo
Calvin nach seiner Vertreibung aus Ferrara seine Freunde versammelte, etwa
150 von den Einwohnern an. und man hat der Straße, wo das Bethaus die¬
ser Gemeinde steht, den Namen der Calvinsstraße gegeben, eine Taufe, die vor
fünfzehn Jahren vermuthlich mit Zuchthaus bestraft worden wäre.

Bei allen Gemeinden befinden sich zugleich Schulen, da man weiß, daß
die evangelische Kirche ohne Schule keinen festen Grund fassen kann. In Tu¬
rin bestehen drei, in Genua zwei, in Livorno eine und in Florenz wieder zwei
derartige Schulen. In Genua haben die Waldenser ein Hospital eingerichtet,
das von zwei Diakonissen geleitet wird. Endlich ist noch zu erwähnen, daß
auf der Waldensersynode von 1860 der sehr bezeichnende Beschluß gefaßt wurde,
die theologische Facultät, welche sämmtliche Gemeinden mit Predigern versieht,
von Latour. wo sie seit langen Jahren war, nach Florenz zu verlegen. Die
Waldenser treten damit noch mehr als bisher aus der Stille ihrer abgelegenen
Alpenthäler in die Oeffentlichkeit. Florenz, jetzt der Mittelpunkt der religiösen
Bewegung in Italien, gewährt den jungen Theologen alle Mittel zu allgemeiner
Bildung und erleichtert dem aus dem französisch redenden Mutterland der Mis¬
sionen stammenden Zöglingen die zu weitreichender Wirksamkeit nothwendige
Erlernung der italienischen Sprache. Auch für diesen Zweck, sowie lfür die
übrigen Schulanstalten der Waldenser hat der Gustav-Adolf-Verein wiederholt
sein thätiges Wohlwollen an den Tag gelegt und dasselbe ferner zugesagt.

In Florenz bestehen außer der Waldensergemcinde noch drei protestantische
Gemeinschaften, unter denen die von Professor Vorivni geleitete besonders der
Unterstützung bedarf. Dieselbe zählte Anfangs nur 40 florentinische Familien,
hat sich aber in wenigen Monaten bis auf 150 Familien, circa 500 Köpfe,
vermehrt und verspricht noch weiteres Wachsthum. Ihr Führer widmet sich,
obwohl an beiden Füßen gelähmt, mit begeisterter Hingebung den geistlichen Be¬
dürfnissen der fast durchgehends aus Unbemittelten bestehenden Schaar. Für
die Dauer sind seine Kräfte aber der Arbeit nicht gewachsen. Er braucht einen
Gehülfen, er hat gar keinen Gehalt, auch muß bei der schlechten Beschaffenheit


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[0116] Bologna, tief in einem Gebiet, das nie vorher die Predigt des evangelischen Glaubens vernommen hatte. Ueberall hatte ihr Unternehmen Erfolg, und wenn die von ihnen gepflanzten Gemeinden noch nicht nach Tausenden zählen, so ist zu bemerken, daß das Werk der „Evangelisation" noch neu ist, und daß andrerseits die Unsicherheit des Bestandes der neuen Ordnung in Italien, die eine Rückkehr des alten religiösen Drucks nicht ausschließt, manchen Wohl¬ gesinnten bedenklich machen kann, wenn der Ruf zum Anschluß an ihn ergeht. Die Waldenser haben jetzt eine Gemeinde in Turin von ungefähr 400 Mit¬ gliedern, die größtentheils aus der katholischen Kirche übergetreten sind. In Genua zählt die Waldcnsergemeinde gegen 300 Seelen, die alle Konvertiten sind. In Aosta gehören der Congregation, die sich an der Stelle zu versammeln Pflegt, wo Calvin nach seiner Vertreibung aus Ferrara seine Freunde versammelte, etwa 150 von den Einwohnern an. und man hat der Straße, wo das Bethaus die¬ ser Gemeinde steht, den Namen der Calvinsstraße gegeben, eine Taufe, die vor fünfzehn Jahren vermuthlich mit Zuchthaus bestraft worden wäre. Bei allen Gemeinden befinden sich zugleich Schulen, da man weiß, daß die evangelische Kirche ohne Schule keinen festen Grund fassen kann. In Tu¬ rin bestehen drei, in Genua zwei, in Livorno eine und in Florenz wieder zwei derartige Schulen. In Genua haben die Waldenser ein Hospital eingerichtet, das von zwei Diakonissen geleitet wird. Endlich ist noch zu erwähnen, daß auf der Waldensersynode von 1860 der sehr bezeichnende Beschluß gefaßt wurde, die theologische Facultät, welche sämmtliche Gemeinden mit Predigern versieht, von Latour. wo sie seit langen Jahren war, nach Florenz zu verlegen. Die Waldenser treten damit noch mehr als bisher aus der Stille ihrer abgelegenen Alpenthäler in die Oeffentlichkeit. Florenz, jetzt der Mittelpunkt der religiösen Bewegung in Italien, gewährt den jungen Theologen alle Mittel zu allgemeiner Bildung und erleichtert dem aus dem französisch redenden Mutterland der Mis¬ sionen stammenden Zöglingen die zu weitreichender Wirksamkeit nothwendige Erlernung der italienischen Sprache. Auch für diesen Zweck, sowie lfür die übrigen Schulanstalten der Waldenser hat der Gustav-Adolf-Verein wiederholt sein thätiges Wohlwollen an den Tag gelegt und dasselbe ferner zugesagt. In Florenz bestehen außer der Waldensergemcinde noch drei protestantische Gemeinschaften, unter denen die von Professor Vorivni geleitete besonders der Unterstützung bedarf. Dieselbe zählte Anfangs nur 40 florentinische Familien, hat sich aber in wenigen Monaten bis auf 150 Familien, circa 500 Köpfe, vermehrt und verspricht noch weiteres Wachsthum. Ihr Führer widmet sich, obwohl an beiden Füßen gelähmt, mit begeisterter Hingebung den geistlichen Be¬ dürfnissen der fast durchgehends aus Unbemittelten bestehenden Schaar. Für die Dauer sind seine Kräfte aber der Arbeit nicht gewachsen. Er braucht einen Gehülfen, er hat gar keinen Gehalt, auch muß bei der schlechten Beschaffenheit

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114313/116>, abgerufen am 24.08.2024.