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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. II. Band.

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Soll überhaupt von Festhalten an der Verfassung noch die Rede sein, soll
diese die Basis des Kampfes bilden, so kann die Frage nur so gestellt werden:
"unvermittelte Spaltung der Gewalten, oder Parlamentarismus?" Steht aber-
die Perfassung überhaupt in Zweifel, dann wird es sich in Preußen um eine
andere Frage handeln, um die des "unbedingten oder verfassungsmäßigen Ge¬
horsams", und vor den Trübsalen eines solchen Kampfes verschließt sich gern-
das Auge jedes wahren Vaterlandsfreundes.

In Preußen scheint auch jetzt noch auf liberaler und fortgeschrittener Seite
eine große Abneigung zu bestehen, auf eine ernsthafte Erörterung über den
Parlamentarismus einzugehen, und es mögen daher wohl nach der Beschaffen¬
heit, der preußischen Volksstimmung erhebliche Schwierigkeiten im Wege stehen.
Allein es ist trotzdem Pflicht, der Sache ernst ins Gesicht zu sehen und ihre
Bedeutung für Preußen überhaupt, wie sür den gegenwärtigen Moment zu
prüfen.

Noch jetzt ist wieder von liberaler Seite daran erinnert worden, daß das
preußische Königthum nach seiner ganzen Geschichte sich mit dem Parlamenta¬
rismus nicht befreunden könne, und daß der preußische Staat ein starkes König¬
thum brauche. Was das Erste anbelangt, so kann es billig der Zeit anheim
gestellt werden, ob die preußischen Herrscher ihren Vortheil mehr darin erblicken
werden, das Ansehen der Krone und die Kraft des Staates in Kämpfen mit
dem Volle zu verbrauchen, oder in richtiger Einsicht der Lebensaufgaben, die
dem preußischen Staate durch die Verträge von 1815 gestellt sind, sich an die
Spitze eines freien Volkes zu stellen. Was aber das Zweite betrifft, so leugnen
wir schlechtweg, daß der preußische Staat mit dem unvermittelter Dualismus
einer Verfassung stärker sei als mit einer parlamentarischen Regierung. Ver¬
trägt der preußische Staat die letztere nicht, so verträgt er überhaupt keine Ver¬
fassung. Wenn nun aber eine solche gerade eine Lebensbedingung des preußischen
Staates ist, so muß er auch nothwendig zum Parlamentarismus sich entschließen,
dafern ihm Einheit des Willens und der Action gewahrt bleiben soll. Tue
Seligkeit des Vertrauens, daß mit einer freien Verfassung König und Volk in
gleichem Schritte und Tritte gehen werde, ist durch die letzten drei Jahre und
die neueste Wendung sür immer zerstört. Und -- wohlverstanden, wir meinen
keinen geistlosen Parlamentarismus, welcher den König im glücklichen Genusse
seiner Eivilliste läßt und die Leitung des Staates nach dem Rechenexempel je¬
weiliger Majoritäten ordnet; gerade in Deutschland wird bei der unfertigen,
durch vielfache politische Jrrgänge verfehlten Partcigestaltung die Heranbildung
regierungsfähiger Parteien, die Nutzbarmachung derselben für die Leitung des
Staates ein Riesenwerk sein, bei welchem einem genialen Monarchen die beste
Aufgabe zur Entfaltung ächter Staatsweisheit gegeben wäre.

Wir sind natürlich weit entfernt von dem Glauben, daß jetzt oder in naher


Soll überhaupt von Festhalten an der Verfassung noch die Rede sein, soll
diese die Basis des Kampfes bilden, so kann die Frage nur so gestellt werden:
„unvermittelte Spaltung der Gewalten, oder Parlamentarismus?" Steht aber-
die Perfassung überhaupt in Zweifel, dann wird es sich in Preußen um eine
andere Frage handeln, um die des „unbedingten oder verfassungsmäßigen Ge¬
horsams", und vor den Trübsalen eines solchen Kampfes verschließt sich gern-
das Auge jedes wahren Vaterlandsfreundes.

In Preußen scheint auch jetzt noch auf liberaler und fortgeschrittener Seite
eine große Abneigung zu bestehen, auf eine ernsthafte Erörterung über den
Parlamentarismus einzugehen, und es mögen daher wohl nach der Beschaffen¬
heit, der preußischen Volksstimmung erhebliche Schwierigkeiten im Wege stehen.
Allein es ist trotzdem Pflicht, der Sache ernst ins Gesicht zu sehen und ihre
Bedeutung für Preußen überhaupt, wie sür den gegenwärtigen Moment zu
prüfen.

Noch jetzt ist wieder von liberaler Seite daran erinnert worden, daß das
preußische Königthum nach seiner ganzen Geschichte sich mit dem Parlamenta¬
rismus nicht befreunden könne, und daß der preußische Staat ein starkes König¬
thum brauche. Was das Erste anbelangt, so kann es billig der Zeit anheim
gestellt werden, ob die preußischen Herrscher ihren Vortheil mehr darin erblicken
werden, das Ansehen der Krone und die Kraft des Staates in Kämpfen mit
dem Volle zu verbrauchen, oder in richtiger Einsicht der Lebensaufgaben, die
dem preußischen Staate durch die Verträge von 1815 gestellt sind, sich an die
Spitze eines freien Volkes zu stellen. Was aber das Zweite betrifft, so leugnen
wir schlechtweg, daß der preußische Staat mit dem unvermittelter Dualismus
einer Verfassung stärker sei als mit einer parlamentarischen Regierung. Ver¬
trägt der preußische Staat die letztere nicht, so verträgt er überhaupt keine Ver¬
fassung. Wenn nun aber eine solche gerade eine Lebensbedingung des preußischen
Staates ist, so muß er auch nothwendig zum Parlamentarismus sich entschließen,
dafern ihm Einheit des Willens und der Action gewahrt bleiben soll. Tue
Seligkeit des Vertrauens, daß mit einer freien Verfassung König und Volk in
gleichem Schritte und Tritte gehen werde, ist durch die letzten drei Jahre und
die neueste Wendung sür immer zerstört. Und — wohlverstanden, wir meinen
keinen geistlosen Parlamentarismus, welcher den König im glücklichen Genusse
seiner Eivilliste läßt und die Leitung des Staates nach dem Rechenexempel je¬
weiliger Majoritäten ordnet; gerade in Deutschland wird bei der unfertigen,
durch vielfache politische Jrrgänge verfehlten Partcigestaltung die Heranbildung
regierungsfähiger Parteien, die Nutzbarmachung derselben für die Leitung des
Staates ein Riesenwerk sein, bei welchem einem genialen Monarchen die beste
Aufgabe zur Entfaltung ächter Staatsweisheit gegeben wäre.

Wir sind natürlich weit entfernt von dem Glauben, daß jetzt oder in naher


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[0093] Soll überhaupt von Festhalten an der Verfassung noch die Rede sein, soll diese die Basis des Kampfes bilden, so kann die Frage nur so gestellt werden: „unvermittelte Spaltung der Gewalten, oder Parlamentarismus?" Steht aber- die Perfassung überhaupt in Zweifel, dann wird es sich in Preußen um eine andere Frage handeln, um die des „unbedingten oder verfassungsmäßigen Ge¬ horsams", und vor den Trübsalen eines solchen Kampfes verschließt sich gern- das Auge jedes wahren Vaterlandsfreundes. In Preußen scheint auch jetzt noch auf liberaler und fortgeschrittener Seite eine große Abneigung zu bestehen, auf eine ernsthafte Erörterung über den Parlamentarismus einzugehen, und es mögen daher wohl nach der Beschaffen¬ heit, der preußischen Volksstimmung erhebliche Schwierigkeiten im Wege stehen. Allein es ist trotzdem Pflicht, der Sache ernst ins Gesicht zu sehen und ihre Bedeutung für Preußen überhaupt, wie sür den gegenwärtigen Moment zu prüfen. Noch jetzt ist wieder von liberaler Seite daran erinnert worden, daß das preußische Königthum nach seiner ganzen Geschichte sich mit dem Parlamenta¬ rismus nicht befreunden könne, und daß der preußische Staat ein starkes König¬ thum brauche. Was das Erste anbelangt, so kann es billig der Zeit anheim gestellt werden, ob die preußischen Herrscher ihren Vortheil mehr darin erblicken werden, das Ansehen der Krone und die Kraft des Staates in Kämpfen mit dem Volle zu verbrauchen, oder in richtiger Einsicht der Lebensaufgaben, die dem preußischen Staate durch die Verträge von 1815 gestellt sind, sich an die Spitze eines freien Volkes zu stellen. Was aber das Zweite betrifft, so leugnen wir schlechtweg, daß der preußische Staat mit dem unvermittelter Dualismus einer Verfassung stärker sei als mit einer parlamentarischen Regierung. Ver¬ trägt der preußische Staat die letztere nicht, so verträgt er überhaupt keine Ver¬ fassung. Wenn nun aber eine solche gerade eine Lebensbedingung des preußischen Staates ist, so muß er auch nothwendig zum Parlamentarismus sich entschließen, dafern ihm Einheit des Willens und der Action gewahrt bleiben soll. Tue Seligkeit des Vertrauens, daß mit einer freien Verfassung König und Volk in gleichem Schritte und Tritte gehen werde, ist durch die letzten drei Jahre und die neueste Wendung sür immer zerstört. Und — wohlverstanden, wir meinen keinen geistlosen Parlamentarismus, welcher den König im glücklichen Genusse seiner Eivilliste läßt und die Leitung des Staates nach dem Rechenexempel je¬ weiliger Majoritäten ordnet; gerade in Deutschland wird bei der unfertigen, durch vielfache politische Jrrgänge verfehlten Partcigestaltung die Heranbildung regierungsfähiger Parteien, die Nutzbarmachung derselben für die Leitung des Staates ein Riesenwerk sein, bei welchem einem genialen Monarchen die beste Aufgabe zur Entfaltung ächter Staatsweisheit gegeben wäre. Wir sind natürlich weit entfernt von dem Glauben, daß jetzt oder in naher

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_113779/93>, abgerufen am 08.01.2025.