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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. II. Band.

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dieser Dazwischenkunft nicht fremd war. Allein wenn auch Antonelli's Nach¬
giebigkeit Cavour gegenüber ernstlich gemeint war, so stand doch das letzte Wort
der Entscheidung bei Frankreich, dem in der That nichts unerwünschter sein
konnte, als ein friedliches Abkommen zwischen der päpstlichen und der italieni¬
schen Regierung: seine ganze Position in Rom, deren Stärke eben der fort¬
dauernde Zwiespalt zwischen dem Papst und Italien ist, wäre dadurch gefähr¬
det, ja unmöglich geworden, und bei dem stehenden Systeme Napoleons, jede
Entscheidung möglichst lange zu verschieben, so lange als möglich zwischen den
entgegenstehenden Principien zu laviren, um dadurch beide zu beherrschen, mußte
er bis auf diesen Tag Alles daran setzen, ein Arrangement zu hintertreiben,
das die Fortdauer der römischen Occupation zur Unmöglichkeit machen würde.
Es ist offenbar weniger die Rücksicht auf bestimmte gegenwärtige oder zukünf¬
tige Vortheile, als vielmehr ein instinctmäßiges Sichsträuben, die Entscheidung
aus der Hand zu geben, was Napoleon verhindert, seine Truppen aus Rom
zurückzuziehen und die Situation zu klären, womit er eben auf ihre Beherr¬
schung verzichten würde.

Allein was auch immer die Ursache des Abbruchs der Verhandlungen ge¬
wesen sein mag, und wie resultatlos sie immer waren, so ist doch die bloße
Thatsache derselben vom höchsten Interesse, sie sind namentlich geeignet, auf
die Charaktere der handelnden Personen ein Helles Licht zu werfen. Vor Allem
auf die Persönlichkeit Antonelli's. Dieser erscheint -- vornehmlich in dem
Briefe Jsaia's vom 17. Febr., mag sich auch durch die Berichterstattung aus
zweiter Hand hier mancher ungenaue und übertriebene Ausdruck eingeschlichen
haben, -- als Italiener mit Leib und Seele, mit all der heimlichen Verschlagen¬
heit, welche die Diplomatie dieses Landes und nicht zum wenigsten dieses
Staates kennzeichnet, vorsichtig weniger auf freigebige Versprechungen als auf
sichere Garantien bedacht, dabei das eigene Interesse nicht vergessend, aber doch
zugleich nicht unempfänglich für das nationale Pathos, das selbst in die ge¬
heimen Gemächer des Vatikans, selbst in die Brust eines Antonelli einzudringen
vermochte und hier im Stande war, nicht blos hinter dem Rücken des gro߬
müthigen Beschützers Zettelungen anzuspinnen, sondern selbst so treue An¬
hänger, wie den armen Exkönig Franz, erbarmungslos aufzuopfern.

Höchst interessant ist sodann der Gegensatz, in welchem die Charaktere Ca-
vours und Ricasoli's erscheinen, wenn wir uns erinnern, in welcher Weise der
Letztere seinen Ausgleichungsvorschlag mit der Curie in Scene setzte. Cavour
trug kein Bedenken, während er von der Rednerbühne stets von der Noth¬
wendigkeit des Einverständnisses mit Frankreich sprach, mit dessen Umgehung
eine directe Verständigung mit der Curie anzubahnen, er verschmähte es nicht,
die Familie Antonelli bei ihrer verwundbarsten Seite zu fassen, er verschmähte
nicht die heimlichsten Wege, die unbedeutendsten, vielleicht zweideutigsten Werk-


dieser Dazwischenkunft nicht fremd war. Allein wenn auch Antonelli's Nach¬
giebigkeit Cavour gegenüber ernstlich gemeint war, so stand doch das letzte Wort
der Entscheidung bei Frankreich, dem in der That nichts unerwünschter sein
konnte, als ein friedliches Abkommen zwischen der päpstlichen und der italieni¬
schen Regierung: seine ganze Position in Rom, deren Stärke eben der fort¬
dauernde Zwiespalt zwischen dem Papst und Italien ist, wäre dadurch gefähr¬
det, ja unmöglich geworden, und bei dem stehenden Systeme Napoleons, jede
Entscheidung möglichst lange zu verschieben, so lange als möglich zwischen den
entgegenstehenden Principien zu laviren, um dadurch beide zu beherrschen, mußte
er bis auf diesen Tag Alles daran setzen, ein Arrangement zu hintertreiben,
das die Fortdauer der römischen Occupation zur Unmöglichkeit machen würde.
Es ist offenbar weniger die Rücksicht auf bestimmte gegenwärtige oder zukünf¬
tige Vortheile, als vielmehr ein instinctmäßiges Sichsträuben, die Entscheidung
aus der Hand zu geben, was Napoleon verhindert, seine Truppen aus Rom
zurückzuziehen und die Situation zu klären, womit er eben auf ihre Beherr¬
schung verzichten würde.

Allein was auch immer die Ursache des Abbruchs der Verhandlungen ge¬
wesen sein mag, und wie resultatlos sie immer waren, so ist doch die bloße
Thatsache derselben vom höchsten Interesse, sie sind namentlich geeignet, auf
die Charaktere der handelnden Personen ein Helles Licht zu werfen. Vor Allem
auf die Persönlichkeit Antonelli's. Dieser erscheint — vornehmlich in dem
Briefe Jsaia's vom 17. Febr., mag sich auch durch die Berichterstattung aus
zweiter Hand hier mancher ungenaue und übertriebene Ausdruck eingeschlichen
haben, — als Italiener mit Leib und Seele, mit all der heimlichen Verschlagen¬
heit, welche die Diplomatie dieses Landes und nicht zum wenigsten dieses
Staates kennzeichnet, vorsichtig weniger auf freigebige Versprechungen als auf
sichere Garantien bedacht, dabei das eigene Interesse nicht vergessend, aber doch
zugleich nicht unempfänglich für das nationale Pathos, das selbst in die ge¬
heimen Gemächer des Vatikans, selbst in die Brust eines Antonelli einzudringen
vermochte und hier im Stande war, nicht blos hinter dem Rücken des gro߬
müthigen Beschützers Zettelungen anzuspinnen, sondern selbst so treue An¬
hänger, wie den armen Exkönig Franz, erbarmungslos aufzuopfern.

Höchst interessant ist sodann der Gegensatz, in welchem die Charaktere Ca-
vours und Ricasoli's erscheinen, wenn wir uns erinnern, in welcher Weise der
Letztere seinen Ausgleichungsvorschlag mit der Curie in Scene setzte. Cavour
trug kein Bedenken, während er von der Rednerbühne stets von der Noth¬
wendigkeit des Einverständnisses mit Frankreich sprach, mit dessen Umgehung
eine directe Verständigung mit der Curie anzubahnen, er verschmähte es nicht,
die Familie Antonelli bei ihrer verwundbarsten Seite zu fassen, er verschmähte
nicht die heimlichsten Wege, die unbedeutendsten, vielleicht zweideutigsten Werk-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_113779/58>, abgerufen am 06.01.2025.