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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. II. Band.

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den Monats- "der Wochenblättern, und viele Familien, welche auf kein Tages¬
blatt abonniren, empfangen zweimal monatlich die "nationalen Jahrbücher"
oder den "Russischen Boten", welche, wie der "Zeitgenosse" und die "Allgemeine
Lesebibliothek," in jedem Heft einen Rückblick auf politische und literarische Er¬
eignisse bringen. Diese Revüen besitzen den Aortheil, daß sie alle von gebil¬
deten Leuten geschrieben werden und daß sie zwar auch unter Censur, aber
nicht unter dem directen Einfluß der Regierung erscheinen wie die cigemlicheu
Zeitungen.

Die genannten Organe enthalten etwa so viel Lesestoff wie die englischen
Reviews und müssen, da sie sehr billig sind, eine außerordentlich starke Ver¬
breitung haben. Der "Russische Bote" bringt alle vierzehn Tage ein Heft von
durchschnittlich 360 Seiten groß Octav und kostet jährlich nicht mehr als 15
Rubel, der "Zeitgenosse", eine Monatsschrift, deren Hefte circa 700 Seiten ent¬
halten, ist ungefähr zu demselben Preis zu haben.

In Betreff des Inhalts hängen diese Zeitschriften noch ziemlich stark vom
Ausland ab, doch wird von den bessern bereits viel Eignes geliefert. Auffal¬
lend ist die Aufmerksamkeit, mit welcher sie namentlich die einzelnen Erschei¬
nungen der englischen Literatur verfolgen, und die Art, wie sie sich diese zum
Muster dienen lassen. "Wir finden in ihnen", sagt Edwards, "keinen frivolen
Feuillctonismus, keine unnatürliche Romanschreiberei, und zu gleicher Zeit keine
Mystik, keine Empfindelei, sondern Novellen und Erzählungen aus der Erfah¬
rung geschöpft, Charakterskizzen, Satiren auf Beamte und verschiedenartige
Mifibräuche der Regierung, Artikel über die Hilfsquellen des Landes, seine frü¬
here Geschichte und seine künftige Entwickelung".^)

Um näher zu zeigen, was diese Zeitschriften enthalten, gibt unser Bericht¬
erstatter eine Uebersicht über den Inhalt verschiedener Hefte von vier der be¬
deutendsten unter denselben.

Der "Zeitgenosse", von Puschkin gegründet und jeizt von Nekrasoff und
Panacff herausgegeben, enthielt im ersten Jahr des Krimkriegs an Novellen
und Erzählungen zwei Beiträge: "Die beiden Freunde" und "Mumunia" von
dem auch in Deutschland bekannten talentvollen Turgucneff, zwei fernere von
Panaeff: "das arme Mädchen" und "Experimente mit russischen Philistern,"
dann die humoristische Novelle "Fanfaron, ein Beispiel unsrer Philister" von
Pisemski, "das Tagebuch eines Neitervffiziers während des Türkenkriegs von
1828", endlich Uebersetzungen von Dickens' "Bleathouse", Thackeray's "Der Ball
von Mrs. Perkins", "Eine Reise nach Paris", "Die Abenteuer des Major Ga-



") Wir bemerken, daß die Russen sich hier namentlich Dickens, noch mehr aber TlmckcriN)
zum Muster genommen bilden, dessen Lebcnsanschciuumi. ihnen besonders zuzusagen scheint.
D. Red.

den Monats- »der Wochenblättern, und viele Familien, welche auf kein Tages¬
blatt abonniren, empfangen zweimal monatlich die „nationalen Jahrbücher"
oder den „Russischen Boten", welche, wie der „Zeitgenosse" und die „Allgemeine
Lesebibliothek," in jedem Heft einen Rückblick auf politische und literarische Er¬
eignisse bringen. Diese Revüen besitzen den Aortheil, daß sie alle von gebil¬
deten Leuten geschrieben werden und daß sie zwar auch unter Censur, aber
nicht unter dem directen Einfluß der Regierung erscheinen wie die cigemlicheu
Zeitungen.

Die genannten Organe enthalten etwa so viel Lesestoff wie die englischen
Reviews und müssen, da sie sehr billig sind, eine außerordentlich starke Ver¬
breitung haben. Der „Russische Bote" bringt alle vierzehn Tage ein Heft von
durchschnittlich 360 Seiten groß Octav und kostet jährlich nicht mehr als 15
Rubel, der „Zeitgenosse", eine Monatsschrift, deren Hefte circa 700 Seiten ent¬
halten, ist ungefähr zu demselben Preis zu haben.

In Betreff des Inhalts hängen diese Zeitschriften noch ziemlich stark vom
Ausland ab, doch wird von den bessern bereits viel Eignes geliefert. Auffal¬
lend ist die Aufmerksamkeit, mit welcher sie namentlich die einzelnen Erschei¬
nungen der englischen Literatur verfolgen, und die Art, wie sie sich diese zum
Muster dienen lassen. „Wir finden in ihnen", sagt Edwards, „keinen frivolen
Feuillctonismus, keine unnatürliche Romanschreiberei, und zu gleicher Zeit keine
Mystik, keine Empfindelei, sondern Novellen und Erzählungen aus der Erfah¬
rung geschöpft, Charakterskizzen, Satiren auf Beamte und verschiedenartige
Mifibräuche der Regierung, Artikel über die Hilfsquellen des Landes, seine frü¬
here Geschichte und seine künftige Entwickelung".^)

Um näher zu zeigen, was diese Zeitschriften enthalten, gibt unser Bericht¬
erstatter eine Uebersicht über den Inhalt verschiedener Hefte von vier der be¬
deutendsten unter denselben.

Der „Zeitgenosse", von Puschkin gegründet und jeizt von Nekrasoff und
Panacff herausgegeben, enthielt im ersten Jahr des Krimkriegs an Novellen
und Erzählungen zwei Beiträge: „Die beiden Freunde" und „Mumunia" von
dem auch in Deutschland bekannten talentvollen Turgucneff, zwei fernere von
Panaeff: „das arme Mädchen" und „Experimente mit russischen Philistern,"
dann die humoristische Novelle „Fanfaron, ein Beispiel unsrer Philister" von
Pisemski, „das Tagebuch eines Neitervffiziers während des Türkenkriegs von
1828", endlich Uebersetzungen von Dickens' „Bleathouse", Thackeray's „Der Ball
von Mrs. Perkins", „Eine Reise nach Paris", „Die Abenteuer des Major Ga-



") Wir bemerken, daß die Russen sich hier namentlich Dickens, noch mehr aber TlmckcriN)
zum Muster genommen bilden, dessen Lebcnsanschciuumi. ihnen besonders zuzusagen scheint.
D. Red.
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[0346] den Monats- »der Wochenblättern, und viele Familien, welche auf kein Tages¬ blatt abonniren, empfangen zweimal monatlich die „nationalen Jahrbücher" oder den „Russischen Boten", welche, wie der „Zeitgenosse" und die „Allgemeine Lesebibliothek," in jedem Heft einen Rückblick auf politische und literarische Er¬ eignisse bringen. Diese Revüen besitzen den Aortheil, daß sie alle von gebil¬ deten Leuten geschrieben werden und daß sie zwar auch unter Censur, aber nicht unter dem directen Einfluß der Regierung erscheinen wie die cigemlicheu Zeitungen. Die genannten Organe enthalten etwa so viel Lesestoff wie die englischen Reviews und müssen, da sie sehr billig sind, eine außerordentlich starke Ver¬ breitung haben. Der „Russische Bote" bringt alle vierzehn Tage ein Heft von durchschnittlich 360 Seiten groß Octav und kostet jährlich nicht mehr als 15 Rubel, der „Zeitgenosse", eine Monatsschrift, deren Hefte circa 700 Seiten ent¬ halten, ist ungefähr zu demselben Preis zu haben. In Betreff des Inhalts hängen diese Zeitschriften noch ziemlich stark vom Ausland ab, doch wird von den bessern bereits viel Eignes geliefert. Auffal¬ lend ist die Aufmerksamkeit, mit welcher sie namentlich die einzelnen Erschei¬ nungen der englischen Literatur verfolgen, und die Art, wie sie sich diese zum Muster dienen lassen. „Wir finden in ihnen", sagt Edwards, „keinen frivolen Feuillctonismus, keine unnatürliche Romanschreiberei, und zu gleicher Zeit keine Mystik, keine Empfindelei, sondern Novellen und Erzählungen aus der Erfah¬ rung geschöpft, Charakterskizzen, Satiren auf Beamte und verschiedenartige Mifibräuche der Regierung, Artikel über die Hilfsquellen des Landes, seine frü¬ here Geschichte und seine künftige Entwickelung".^) Um näher zu zeigen, was diese Zeitschriften enthalten, gibt unser Bericht¬ erstatter eine Uebersicht über den Inhalt verschiedener Hefte von vier der be¬ deutendsten unter denselben. Der „Zeitgenosse", von Puschkin gegründet und jeizt von Nekrasoff und Panacff herausgegeben, enthielt im ersten Jahr des Krimkriegs an Novellen und Erzählungen zwei Beiträge: „Die beiden Freunde" und „Mumunia" von dem auch in Deutschland bekannten talentvollen Turgucneff, zwei fernere von Panaeff: „das arme Mädchen" und „Experimente mit russischen Philistern," dann die humoristische Novelle „Fanfaron, ein Beispiel unsrer Philister" von Pisemski, „das Tagebuch eines Neitervffiziers während des Türkenkriegs von 1828", endlich Uebersetzungen von Dickens' „Bleathouse", Thackeray's „Der Ball von Mrs. Perkins", „Eine Reise nach Paris", „Die Abenteuer des Major Ga- ") Wir bemerken, daß die Russen sich hier namentlich Dickens, noch mehr aber TlmckcriN) zum Muster genommen bilden, dessen Lebcnsanschciuumi. ihnen besonders zuzusagen scheint. D. Red.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_113779/346>, abgerufen am 06.01.2025.