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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. II. Band.

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Wörterbücher, z. B, das von Zarncke und Müller unter Ma" hätten ihm Material
für eine noch größere Zahl von Citaten gegeben -- er hat auch frühere Unter¬
suchungen, zugängliche Kupferwerke sorglich benutzt und sich bauverständig auf
den erhaltenen Trümmern alter Burgen zu orientiren gesucht. Die kleine Schrift
ist deshalb eine bequeme Hilfe zur Lectüre mittelalterlicher Schriftsteller, auch
der deutschen Dichter, obgleich der Verfasser nicht als Kundiger der alten Sprache
geschrieben h.at.

Aber ein wesentlicher Umstand ist dem Verfasser entgangen, oder doch nicht
in das reckte Licht gesetzt worden. Das Bild einer Herrenburg um 1200, wie
er dasselbe construirt, stimmt nicht zu den Anschauungen, welche die volkstüm¬
lichen Dichter jener Zeit von der Beschaffenheit eines Herrenhofes hinterlassen
haben. Zumal in den Nibelungen ist weder der Hofhalt der Burgunden noch
König Etzels in einer Ritterburg unterzubringen, und wenn auch als Wohnung
der Brunhild eine Burg mit 86 Thürmen genannt wird, so ist doch dieser Sitz
der nordischen Schlachtenjungfrau den deutschen Volkssängern des 12. Jahr¬
hunderts fremdartig und unheimisch, und mit der Handlung, welche dort ver¬
läuft, haben Mauer, Thürme und der Saal von grünen Marmelstein nichts zu
thun. Der Verfasser der vorliegenden Schrift aber zieht die Nibelungen eifrig
in Citaten heran, um das Bild seiner romanischen Hofburg deutlich zu machen,
er verwirrt dadurch seine Darstellung und irrt vielleicht den Leser des großen
deutschen Volksgedichtes.

Es gab nämlich seit dem Beginn des Mittelalters zwei ganz ver¬
schiedene Constructionen für einen Herrensitz, den römischen Castellbau und
den urdeutschen Hofbau. Vielleicht hatten die Deutschen bereits als sie
die Römer kennen lernten, einen oder den andern festen Steinsitz mit Thürmen,
einfache Fortisicationen auf Anhöhen; zuverlässig ahmten sie schon vor der Völker¬
wanderung die römischen Befestigungsbauten nach und nisteten in den eroberten.
Die Einrichtung dieser römischen Castelle ist uns nicht unbekannt, vom einsanken
Wartthurm mit seiner Pallisadenumkleidung und vorspringenden Gallerie im
oberen Stockwerk bis zum vielthürmigen Festungsbau vermögen wir das Haupt-
säcklichste ihrer Construction nachzuweisen. Noch in den letzten Jahren hat
Kellers sorgfältige Untersuchung der Schweizer Castelle viele Einzelheiten ver-
ständlick gemacht, die Fügung der Mauern, die Einrichtung der Thürme mit
Vorrathskammern, Fallthüren, Dach und Zinnen, den Hausbau innerhalb der
Burg mit mehren Stockwerken übereinander. Ostgothen und Franken, Karolinger
und Sachscnkaiser führten ihre Befestigungen nach dem Muster der römischen
auf, sie ließen wohl auch darin einen Palast nach römischer Weise durch fremde
Baumeister aufführen. Castelle und Burgen nach Römcrbrauch zeigten ihre dicken
Mauern und viereckigen Thürme häufig im Süden und Westen Deutschlands, als
neure Forts auch an der Elbe und darüber hinaus. Aber bis nach dem Jahr


Wörterbücher, z. B, das von Zarncke und Müller unter Ma« hätten ihm Material
für eine noch größere Zahl von Citaten gegeben — er hat auch frühere Unter¬
suchungen, zugängliche Kupferwerke sorglich benutzt und sich bauverständig auf
den erhaltenen Trümmern alter Burgen zu orientiren gesucht. Die kleine Schrift
ist deshalb eine bequeme Hilfe zur Lectüre mittelalterlicher Schriftsteller, auch
der deutschen Dichter, obgleich der Verfasser nicht als Kundiger der alten Sprache
geschrieben h.at.

Aber ein wesentlicher Umstand ist dem Verfasser entgangen, oder doch nicht
in das reckte Licht gesetzt worden. Das Bild einer Herrenburg um 1200, wie
er dasselbe construirt, stimmt nicht zu den Anschauungen, welche die volkstüm¬
lichen Dichter jener Zeit von der Beschaffenheit eines Herrenhofes hinterlassen
haben. Zumal in den Nibelungen ist weder der Hofhalt der Burgunden noch
König Etzels in einer Ritterburg unterzubringen, und wenn auch als Wohnung
der Brunhild eine Burg mit 86 Thürmen genannt wird, so ist doch dieser Sitz
der nordischen Schlachtenjungfrau den deutschen Volkssängern des 12. Jahr¬
hunderts fremdartig und unheimisch, und mit der Handlung, welche dort ver¬
läuft, haben Mauer, Thürme und der Saal von grünen Marmelstein nichts zu
thun. Der Verfasser der vorliegenden Schrift aber zieht die Nibelungen eifrig
in Citaten heran, um das Bild seiner romanischen Hofburg deutlich zu machen,
er verwirrt dadurch seine Darstellung und irrt vielleicht den Leser des großen
deutschen Volksgedichtes.

Es gab nämlich seit dem Beginn des Mittelalters zwei ganz ver¬
schiedene Constructionen für einen Herrensitz, den römischen Castellbau und
den urdeutschen Hofbau. Vielleicht hatten die Deutschen bereits als sie
die Römer kennen lernten, einen oder den andern festen Steinsitz mit Thürmen,
einfache Fortisicationen auf Anhöhen; zuverlässig ahmten sie schon vor der Völker¬
wanderung die römischen Befestigungsbauten nach und nisteten in den eroberten.
Die Einrichtung dieser römischen Castelle ist uns nicht unbekannt, vom einsanken
Wartthurm mit seiner Pallisadenumkleidung und vorspringenden Gallerie im
oberen Stockwerk bis zum vielthürmigen Festungsbau vermögen wir das Haupt-
säcklichste ihrer Construction nachzuweisen. Noch in den letzten Jahren hat
Kellers sorgfältige Untersuchung der Schweizer Castelle viele Einzelheiten ver-
ständlick gemacht, die Fügung der Mauern, die Einrichtung der Thürme mit
Vorrathskammern, Fallthüren, Dach und Zinnen, den Hausbau innerhalb der
Burg mit mehren Stockwerken übereinander. Ostgothen und Franken, Karolinger
und Sachscnkaiser führten ihre Befestigungen nach dem Muster der römischen
auf, sie ließen wohl auch darin einen Palast nach römischer Weise durch fremde
Baumeister aufführen. Castelle und Burgen nach Römcrbrauch zeigten ihre dicken
Mauern und viereckigen Thürme häufig im Süden und Westen Deutschlands, als
neure Forts auch an der Elbe und darüber hinaus. Aber bis nach dem Jahr


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[0236] Wörterbücher, z. B, das von Zarncke und Müller unter Ma« hätten ihm Material für eine noch größere Zahl von Citaten gegeben — er hat auch frühere Unter¬ suchungen, zugängliche Kupferwerke sorglich benutzt und sich bauverständig auf den erhaltenen Trümmern alter Burgen zu orientiren gesucht. Die kleine Schrift ist deshalb eine bequeme Hilfe zur Lectüre mittelalterlicher Schriftsteller, auch der deutschen Dichter, obgleich der Verfasser nicht als Kundiger der alten Sprache geschrieben h.at. Aber ein wesentlicher Umstand ist dem Verfasser entgangen, oder doch nicht in das reckte Licht gesetzt worden. Das Bild einer Herrenburg um 1200, wie er dasselbe construirt, stimmt nicht zu den Anschauungen, welche die volkstüm¬ lichen Dichter jener Zeit von der Beschaffenheit eines Herrenhofes hinterlassen haben. Zumal in den Nibelungen ist weder der Hofhalt der Burgunden noch König Etzels in einer Ritterburg unterzubringen, und wenn auch als Wohnung der Brunhild eine Burg mit 86 Thürmen genannt wird, so ist doch dieser Sitz der nordischen Schlachtenjungfrau den deutschen Volkssängern des 12. Jahr¬ hunderts fremdartig und unheimisch, und mit der Handlung, welche dort ver¬ läuft, haben Mauer, Thürme und der Saal von grünen Marmelstein nichts zu thun. Der Verfasser der vorliegenden Schrift aber zieht die Nibelungen eifrig in Citaten heran, um das Bild seiner romanischen Hofburg deutlich zu machen, er verwirrt dadurch seine Darstellung und irrt vielleicht den Leser des großen deutschen Volksgedichtes. Es gab nämlich seit dem Beginn des Mittelalters zwei ganz ver¬ schiedene Constructionen für einen Herrensitz, den römischen Castellbau und den urdeutschen Hofbau. Vielleicht hatten die Deutschen bereits als sie die Römer kennen lernten, einen oder den andern festen Steinsitz mit Thürmen, einfache Fortisicationen auf Anhöhen; zuverlässig ahmten sie schon vor der Völker¬ wanderung die römischen Befestigungsbauten nach und nisteten in den eroberten. Die Einrichtung dieser römischen Castelle ist uns nicht unbekannt, vom einsanken Wartthurm mit seiner Pallisadenumkleidung und vorspringenden Gallerie im oberen Stockwerk bis zum vielthürmigen Festungsbau vermögen wir das Haupt- säcklichste ihrer Construction nachzuweisen. Noch in den letzten Jahren hat Kellers sorgfältige Untersuchung der Schweizer Castelle viele Einzelheiten ver- ständlick gemacht, die Fügung der Mauern, die Einrichtung der Thürme mit Vorrathskammern, Fallthüren, Dach und Zinnen, den Hausbau innerhalb der Burg mit mehren Stockwerken übereinander. Ostgothen und Franken, Karolinger und Sachscnkaiser führten ihre Befestigungen nach dem Muster der römischen auf, sie ließen wohl auch darin einen Palast nach römischer Weise durch fremde Baumeister aufführen. Castelle und Burgen nach Römcrbrauch zeigten ihre dicken Mauern und viereckigen Thürme häufig im Süden und Westen Deutschlands, als neure Forts auch an der Elbe und darüber hinaus. Aber bis nach dem Jahr

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_113779/236>, abgerufen am 06.01.2025.