Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. II. Band.die selbständige Schönheit der idealen Darstellung, die malerische Erscheinung ") Den Bilder" ist neuerdings in einem süddeutschen Blatte von der gewandten Feder eines sonst eifrigen Verfechters des Realismus die verdiente Anerkennung geworden: solche Kri¬ tiken, ehrenvoll für beide, den Künstler wie den Schriftsteller -- der übrigens die Auswüchse des Realismus nie vertreten hat -- sind wohl geeignet, die beiden Richtungen einander zu nähern. Wie willkürlich übrigens die Kunstkritik noch hier und da zu Werke geht, das zeigt eine unschuldige Anmerkung der Redaction zu dem Aufsätze- die Zeichnung der Bilder lasse Manches zu wünschen übrig. Gerade die Form ist ihr Vorzug, aber man findet noch immer an einigen Orten die Zeichnung auch des Gemäldes einerseits im geschnittenen Umrisse, dem scharfen "eisernen Faden", der die ausfüllende Materie wie ein Geländer umgibt, andrerseits in einem üppig ausgeprägten MuSkelwese". Grenzboten II. 1L62. 28
die selbständige Schönheit der idealen Darstellung, die malerische Erscheinung ") Den Bilder» ist neuerdings in einem süddeutschen Blatte von der gewandten Feder eines sonst eifrigen Verfechters des Realismus die verdiente Anerkennung geworden: solche Kri¬ tiken, ehrenvoll für beide, den Künstler wie den Schriftsteller — der übrigens die Auswüchse des Realismus nie vertreten hat — sind wohl geeignet, die beiden Richtungen einander zu nähern. Wie willkürlich übrigens die Kunstkritik noch hier und da zu Werke geht, das zeigt eine unschuldige Anmerkung der Redaction zu dem Aufsätze- die Zeichnung der Bilder lasse Manches zu wünschen übrig. Gerade die Form ist ihr Vorzug, aber man findet noch immer an einigen Orten die Zeichnung auch des Gemäldes einerseits im geschnittenen Umrisse, dem scharfen „eisernen Faden", der die ausfüllende Materie wie ein Geländer umgibt, andrerseits in einem üppig ausgeprägten MuSkelwese». Grenzboten II. 1L62. 28
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die selbständige Schönheit der idealen Darstellung, die malerische Erscheinung
der vollkommenen menschlichen Gestalt, so ist sie auf dem besten Wege, der
Kunst selber den Abschied zu geben. Und es ist ein arges Mißverständniß,
wenn man die reine, ungebrochene, ungetrübte Schönheit für unpersönlich und
inhaltlos erklärt. Die ächte Schönheit ist immer eine gehaltvolle Persönlichkeit;
denn sie ist vom Leben erfüllt, bis in die Fingerspitzen, bis in die Hautfläche',
ja in dieser scheint es noch warm und flüssig zu pulsiren, und ebendeshalb ist
über die Gestalt zugleich der seelenvolle Hauch einer ganz erscheinenden und
doch in sie versenkten Innerlichkeit ausgegossen. Dazu ist freilich nothwendig,
daß der Künstler in der Form und Mvdellirung — welche die Färbung als
mitwirkendes Element in sich hereinnehmen muß — den Schein eines Lebens
erreiche, das zugleich individuelle Natur und durch die breite, ideale, alles Un¬
wesentliche tilgende Behandlung vollendete Gestalt ist: ein sinnlichvolles und
zugleich ganz reines Leben. Und dies hat Berdells, soweit es unter den ein¬
mal gegebenen Zeitbedingungen möglich ist, erreicht.*) Wer solchen Künstlern
vorwerfen wollte, nicht reichhaltigere Motive gewählt zu haben, der sehe zu,
daß ihnen die Ausschmückung öffentlicher Räume übertragen werde; gerade in
den größern Aufgaben wird ihre gestaltende Kraft sich zeigen, und was ihr allen¬
falls an letzter Durchbildung noch fehlt, erreichen. — Auf eine vorwiegende
Ausbildung des Kolorits, welche selbst auf Kosten der Form die üppige, farben-
glühende Fülle des Lebens hervorhebt, ist es in den Werken A. Feuerbachs
abgesehen. Man sieht, daß sich der Künstler mit den Venetianern und Rubens
vertraut gemacht hat, und daß er sich — immer auf dem Boden der idealen An¬
schauung — bald ihre heitere und festliche Auffassung, wie in den Kindergrup¬
pen, bald Mehr die tiefe verhaltene Gluth eines stimmungsvoll in sich zusam¬
mengefaßten Lebens, wie un „Dante mit den edlen Frauen aus Ravenna", zu
eigen zu machen sucht. Gelingt es ihm, die alte Kunst zum freien Eigenthum
in sich zu verarbeiten, in der Färbung zum Maß der Harmonie, in der Form
zu einer größeren Strenge und Reinheit durchzudringen, so wird er bald zu
den besten Vertretern seiner Richtung zählen.
") Den Bilder» ist neuerdings in einem süddeutschen Blatte von der gewandten Feder
eines sonst eifrigen Verfechters des Realismus die verdiente Anerkennung geworden: solche Kri¬
tiken, ehrenvoll für beide, den Künstler wie den Schriftsteller — der übrigens die Auswüchse
des Realismus nie vertreten hat — sind wohl geeignet, die beiden Richtungen einander zu
nähern. Wie willkürlich übrigens die Kunstkritik noch hier und da zu Werke geht, das zeigt
eine unschuldige Anmerkung der Redaction zu dem Aufsätze- die Zeichnung der Bilder lasse
Manches zu wünschen übrig. Gerade die Form ist ihr Vorzug, aber man findet noch immer
an einigen Orten die Zeichnung auch des Gemäldes einerseits im geschnittenen Umrisse, dem
scharfen „eisernen Faden", der die ausfüllende Materie wie ein Geländer umgibt, andrerseits
in einem üppig ausgeprägten MuSkelwese».
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