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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. II. Band.

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reiche Reflexion, als die künstlerische Fähigkeit des Zeitalters finden wird, scheint
schon die Gegenwart sich klar zu sein; und wie wir oben Kaulbach kennen ge¬
lernt haben, läßt sich von der Geschichte ein anderes Urtheil nicht erwarten.
In München werden mit rüstiger Thätigkeit mancherlei historische Arbeiten für
öffentliche Bauten, das Athenäum und Müximilianeum, vorbereitet und ins
Werk gesetzt. Die Zukunft wird lehren, ob man dort Stoffe zu finden ver¬
standen, die beides zugleich sind, geschichtlich bedeutend und dem Maler günstig,
und -- was wichtiger ist -- ob man zur Ausführung die richtigen Kräfte be¬
rufen hat. In Wien war in der Ausschmückung des Arsenals eine der Kunst
nicht unwürdige Aufgabe gegeben; wir werden weiter unten auf Karl Rechts
Entwürfe zurückkommen und dabei das Verhältniß zwischen historischer und mo¬
numentaler Kunst zu berühren haben. Indessen hat sich der ursprüngliche
Plan zerschlagen. Die Arbeit ist den Händen des talentvollen Rahl, dem es
mit der Kunst Ernst und eine lebendig bildende Phantasie eigen ist, entzogen
und einem Künstler übergeben, von dem sich zweifeln läßt, ob er ihr gewachsen
sei. Schon dann, wenn die Verhältnisse günstig liegen, hat die monumentale
Kunst mit allerlei Schwierigkeiten, welche ihr das reflectirt nach innen gekehrte,
praktisch nach außen gerichtete Zeitalter entgegenhält, zu kämpfen; was soll erst
aus.ihr werden, wenn nun gar durch Bedenken und Rücksichten, die mit der
Kunst durchaus nichts zu schaffen haben, dann durch den Einfluß persönlicher
Interessen die rechten Kräfte von den großen öffentlichen Aufgaben zurückge¬
schoben werden, um der aufgedeckten Mittelmäßigkeit Platz zu machen!

Vorerst haben wir es noch mit den historischen Bildern im weitern Sinne
zu thun, welche die neueste Zeit geliefert hat. Es sind die Arbeiten, welche
einen Stoff behandeln, der wohl in das Buch der Geschichte eingezeichnet, aber
keine Handlung ist, die zu entscheidender That und Gegenthat sich zusammen¬
fäßt und eine Neue Wendung der Dinge begründet: große Individuen in sol¬
chen Momenten, da sie der folgenschweren Verwicklung erst entgegengehen, oder
den Rückschlag des harten Kampfes mit der widerstrebenden Welt auf ihr In¬
neres empfinden oder in der Stille des Privatlebens einfach menschlichen Stim¬
mungen sich hingeben; Vorgänge aus Specialgeschichten, die in ihrem Bereiche
nicht ohne Bedeutung sind, aber nur mittelbar in den großen Gang der Welt¬
dinge eingreifen, endlich Episoden aus welthistorischen Ereignissen. Zum eigent¬
lichen Sittenbilde zählen im Grunde diese Werke nicht; der historische Mensch
ist in ihnen noch nicht wieder in das Gattungsleben zurückversenkt, über das
er sich in seinem geschichtlichen Dasein erhoben hat, er bewegt sich gleichsam
zwischen beiden Kreisen, der Maler faßt ihn- auf dem Uebergange von einem
zum andern, und so ist auch diese Gattung der Kunst eine der Zwischenarten,
an denen es. wie schon oben bemerkt, die neue Zeit nicht fehlen läßt. Aber
natürlich ist hier, wo es sich nicht um die Bestimmtheit einer inhaltschweren


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reiche Reflexion, als die künstlerische Fähigkeit des Zeitalters finden wird, scheint
schon die Gegenwart sich klar zu sein; und wie wir oben Kaulbach kennen ge¬
lernt haben, läßt sich von der Geschichte ein anderes Urtheil nicht erwarten.
In München werden mit rüstiger Thätigkeit mancherlei historische Arbeiten für
öffentliche Bauten, das Athenäum und Müximilianeum, vorbereitet und ins
Werk gesetzt. Die Zukunft wird lehren, ob man dort Stoffe zu finden ver¬
standen, die beides zugleich sind, geschichtlich bedeutend und dem Maler günstig,
und — was wichtiger ist — ob man zur Ausführung die richtigen Kräfte be¬
rufen hat. In Wien war in der Ausschmückung des Arsenals eine der Kunst
nicht unwürdige Aufgabe gegeben; wir werden weiter unten auf Karl Rechts
Entwürfe zurückkommen und dabei das Verhältniß zwischen historischer und mo¬
numentaler Kunst zu berühren haben. Indessen hat sich der ursprüngliche
Plan zerschlagen. Die Arbeit ist den Händen des talentvollen Rahl, dem es
mit der Kunst Ernst und eine lebendig bildende Phantasie eigen ist, entzogen
und einem Künstler übergeben, von dem sich zweifeln läßt, ob er ihr gewachsen
sei. Schon dann, wenn die Verhältnisse günstig liegen, hat die monumentale
Kunst mit allerlei Schwierigkeiten, welche ihr das reflectirt nach innen gekehrte,
praktisch nach außen gerichtete Zeitalter entgegenhält, zu kämpfen; was soll erst
aus.ihr werden, wenn nun gar durch Bedenken und Rücksichten, die mit der
Kunst durchaus nichts zu schaffen haben, dann durch den Einfluß persönlicher
Interessen die rechten Kräfte von den großen öffentlichen Aufgaben zurückge¬
schoben werden, um der aufgedeckten Mittelmäßigkeit Platz zu machen!

Vorerst haben wir es noch mit den historischen Bildern im weitern Sinne
zu thun, welche die neueste Zeit geliefert hat. Es sind die Arbeiten, welche
einen Stoff behandeln, der wohl in das Buch der Geschichte eingezeichnet, aber
keine Handlung ist, die zu entscheidender That und Gegenthat sich zusammen¬
fäßt und eine Neue Wendung der Dinge begründet: große Individuen in sol¬
chen Momenten, da sie der folgenschweren Verwicklung erst entgegengehen, oder
den Rückschlag des harten Kampfes mit der widerstrebenden Welt auf ihr In¬
neres empfinden oder in der Stille des Privatlebens einfach menschlichen Stim¬
mungen sich hingeben; Vorgänge aus Specialgeschichten, die in ihrem Bereiche
nicht ohne Bedeutung sind, aber nur mittelbar in den großen Gang der Welt¬
dinge eingreifen, endlich Episoden aus welthistorischen Ereignissen. Zum eigent¬
lichen Sittenbilde zählen im Grunde diese Werke nicht; der historische Mensch
ist in ihnen noch nicht wieder in das Gattungsleben zurückversenkt, über das
er sich in seinem geschichtlichen Dasein erhoben hat, er bewegt sich gleichsam
zwischen beiden Kreisen, der Maler faßt ihn- auf dem Uebergange von einem
zum andern, und so ist auch diese Gattung der Kunst eine der Zwischenarten,
an denen es. wie schon oben bemerkt, die neue Zeit nicht fehlen läßt. Aber
natürlich ist hier, wo es sich nicht um die Bestimmtheit einer inhaltschweren


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_113779/219>, abgerufen am 06.01.2025.