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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. II. Band.

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gleichwohl in demselben Athem Nagt, daß das "vulg-us xrok-linia der Pro-
fessionisten" in seiner "angestammten unveräußerlichen Unfähigkeit, die köstliche
Perle seines Geistes, die sie in der philosophischen Literatur unserer Tage ver¬
graben finden wie der Hahn in der Fabel, zu würdigen und zu verwerthen",
die neue Frankfurter Weltweisheit nicht gebührend ehrte. Noch mehr aber er¬
staunen wir, wenn die Mittheilungen, welche uns der Verfasser über Schopen¬
hauers Leben macht, uns einen Charakter zeigen, den selbst das mildeste Urtheil
keinen edelgebildeten nennen würde, der fast in allen seinen Zügen abstößt, in
keinem Zuneigung erweckt, ja der, ohne die entschuldigende Erinnerung an die
Umstände angesehen, unter denen er sich entwickelte, dem gewöhnlichen Gefühl
geradezu verächtlich erscheinen muß. und wenn wir zu gleicher Zeit erfahren,
daß diese Persönlichkeit ein Genius ersten Ranges, ein hochbegnadigtcr Denker,
eine Art Halbgott gewesen ist, der aus allen Poren geistiges Licht vom hellsten
Glanz ausströmte, und dem wir darum tiefe Verehrung zu zollen haben.

Wir sehen's nicht, obwohl wir uns alle Mühe geben, aber wir müssen's
glauben, wenn wir nicht vorziehen wollen, zu dem " pi-okriiuln vulgus" der
Gwinncrschen Kraftsprache gerechnet zu werden. Wir fragen nach dem Grund
des uns zugemutheten Glaubens und finden in dem Buche, -wofern wir uns
nicht im Schlußkapitel auf phrenologischen Wege bekehren lassen wollen, kaum
eine andere der Berücksichtigung werthe Antwort als- er selbst, der Meister,
hat's gesagt. Da wir diesen Grund nicht wohl als zureichenden anzuerkennen
vermögen, so untersuchen wir das von Freundeshand gemalte Porträt noch¬
mals mit möglichster Gewissenhaftigkeit, aber das Resultat bleibt dasselbe: eine
Photographie, die nicht zu der Rctouche stimmt. Goldgrund um eine Grimasse,
moralische Gelbsucht für Beleuchtung von oben gehalten, ein Kopf, dessen nicht
gewöhnliche Größe Raum für manchen guten Einfall hat, und eine Brust so
schmal und dürftig, d.aß sie nicht einmal für die gewöhnlichsten Empfindungen
rechtschaffner Menschen, ja daß sie eigentlich fast nur Raum für die Eigen¬
liebe ihres Besitzers hat -- das Ganze ein Widerspruch, der unlösbar sein,
würde, wenn nicht zunächst die Erinnerung ausbälfe, daß in Glaubenssachen
die Vernunft aufhört, und daß es Augen gibt, welche das, was ein normal
organisirtes Auge fahlgelb oder aschgrau nennt, himmelblau oder rosenroth fin¬
den, und die deshalb in den Fall kommen können, Häßliches für schön zu
halten.

Oder wäre der Vorwurf, de.r darin liegt, etwa uns zurückzugeben? Lieder
wir selbst etwa an einem Fehler der Sehkraft, der uns umgekehrt das Schöne
häßlich erscheinen ließe? Der folgende Auszug aus der Gwinnerschen Schrift
mag darauf antworten.

Arthur Schopenhauer stammte aus einer angesehenen Danziger Fa¬
milie und wurde am 22. Februar 1738 geboren. Sein Vater, seinem Beruf


23*

gleichwohl in demselben Athem Nagt, daß das „vulg-us xrok-linia der Pro-
fessionisten" in seiner „angestammten unveräußerlichen Unfähigkeit, die köstliche
Perle seines Geistes, die sie in der philosophischen Literatur unserer Tage ver¬
graben finden wie der Hahn in der Fabel, zu würdigen und zu verwerthen",
die neue Frankfurter Weltweisheit nicht gebührend ehrte. Noch mehr aber er¬
staunen wir, wenn die Mittheilungen, welche uns der Verfasser über Schopen¬
hauers Leben macht, uns einen Charakter zeigen, den selbst das mildeste Urtheil
keinen edelgebildeten nennen würde, der fast in allen seinen Zügen abstößt, in
keinem Zuneigung erweckt, ja der, ohne die entschuldigende Erinnerung an die
Umstände angesehen, unter denen er sich entwickelte, dem gewöhnlichen Gefühl
geradezu verächtlich erscheinen muß. und wenn wir zu gleicher Zeit erfahren,
daß diese Persönlichkeit ein Genius ersten Ranges, ein hochbegnadigtcr Denker,
eine Art Halbgott gewesen ist, der aus allen Poren geistiges Licht vom hellsten
Glanz ausströmte, und dem wir darum tiefe Verehrung zu zollen haben.

Wir sehen's nicht, obwohl wir uns alle Mühe geben, aber wir müssen's
glauben, wenn wir nicht vorziehen wollen, zu dem „ pi-okriiuln vulgus" der
Gwinncrschen Kraftsprache gerechnet zu werden. Wir fragen nach dem Grund
des uns zugemutheten Glaubens und finden in dem Buche, -wofern wir uns
nicht im Schlußkapitel auf phrenologischen Wege bekehren lassen wollen, kaum
eine andere der Berücksichtigung werthe Antwort als- er selbst, der Meister,
hat's gesagt. Da wir diesen Grund nicht wohl als zureichenden anzuerkennen
vermögen, so untersuchen wir das von Freundeshand gemalte Porträt noch¬
mals mit möglichster Gewissenhaftigkeit, aber das Resultat bleibt dasselbe: eine
Photographie, die nicht zu der Rctouche stimmt. Goldgrund um eine Grimasse,
moralische Gelbsucht für Beleuchtung von oben gehalten, ein Kopf, dessen nicht
gewöhnliche Größe Raum für manchen guten Einfall hat, und eine Brust so
schmal und dürftig, d.aß sie nicht einmal für die gewöhnlichsten Empfindungen
rechtschaffner Menschen, ja daß sie eigentlich fast nur Raum für die Eigen¬
liebe ihres Besitzers hat — das Ganze ein Widerspruch, der unlösbar sein,
würde, wenn nicht zunächst die Erinnerung ausbälfe, daß in Glaubenssachen
die Vernunft aufhört, und daß es Augen gibt, welche das, was ein normal
organisirtes Auge fahlgelb oder aschgrau nennt, himmelblau oder rosenroth fin¬
den, und die deshalb in den Fall kommen können, Häßliches für schön zu
halten.

Oder wäre der Vorwurf, de.r darin liegt, etwa uns zurückzugeben? Lieder
wir selbst etwa an einem Fehler der Sehkraft, der uns umgekehrt das Schöne
häßlich erscheinen ließe? Der folgende Auszug aus der Gwinnerschen Schrift
mag darauf antworten.

Arthur Schopenhauer stammte aus einer angesehenen Danziger Fa¬
milie und wurde am 22. Februar 1738 geboren. Sein Vater, seinem Beruf


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[0187] gleichwohl in demselben Athem Nagt, daß das „vulg-us xrok-linia der Pro- fessionisten" in seiner „angestammten unveräußerlichen Unfähigkeit, die köstliche Perle seines Geistes, die sie in der philosophischen Literatur unserer Tage ver¬ graben finden wie der Hahn in der Fabel, zu würdigen und zu verwerthen", die neue Frankfurter Weltweisheit nicht gebührend ehrte. Noch mehr aber er¬ staunen wir, wenn die Mittheilungen, welche uns der Verfasser über Schopen¬ hauers Leben macht, uns einen Charakter zeigen, den selbst das mildeste Urtheil keinen edelgebildeten nennen würde, der fast in allen seinen Zügen abstößt, in keinem Zuneigung erweckt, ja der, ohne die entschuldigende Erinnerung an die Umstände angesehen, unter denen er sich entwickelte, dem gewöhnlichen Gefühl geradezu verächtlich erscheinen muß. und wenn wir zu gleicher Zeit erfahren, daß diese Persönlichkeit ein Genius ersten Ranges, ein hochbegnadigtcr Denker, eine Art Halbgott gewesen ist, der aus allen Poren geistiges Licht vom hellsten Glanz ausströmte, und dem wir darum tiefe Verehrung zu zollen haben. Wir sehen's nicht, obwohl wir uns alle Mühe geben, aber wir müssen's glauben, wenn wir nicht vorziehen wollen, zu dem „ pi-okriiuln vulgus" der Gwinncrschen Kraftsprache gerechnet zu werden. Wir fragen nach dem Grund des uns zugemutheten Glaubens und finden in dem Buche, -wofern wir uns nicht im Schlußkapitel auf phrenologischen Wege bekehren lassen wollen, kaum eine andere der Berücksichtigung werthe Antwort als- er selbst, der Meister, hat's gesagt. Da wir diesen Grund nicht wohl als zureichenden anzuerkennen vermögen, so untersuchen wir das von Freundeshand gemalte Porträt noch¬ mals mit möglichster Gewissenhaftigkeit, aber das Resultat bleibt dasselbe: eine Photographie, die nicht zu der Rctouche stimmt. Goldgrund um eine Grimasse, moralische Gelbsucht für Beleuchtung von oben gehalten, ein Kopf, dessen nicht gewöhnliche Größe Raum für manchen guten Einfall hat, und eine Brust so schmal und dürftig, d.aß sie nicht einmal für die gewöhnlichsten Empfindungen rechtschaffner Menschen, ja daß sie eigentlich fast nur Raum für die Eigen¬ liebe ihres Besitzers hat — das Ganze ein Widerspruch, der unlösbar sein, würde, wenn nicht zunächst die Erinnerung ausbälfe, daß in Glaubenssachen die Vernunft aufhört, und daß es Augen gibt, welche das, was ein normal organisirtes Auge fahlgelb oder aschgrau nennt, himmelblau oder rosenroth fin¬ den, und die deshalb in den Fall kommen können, Häßliches für schön zu halten. Oder wäre der Vorwurf, de.r darin liegt, etwa uns zurückzugeben? Lieder wir selbst etwa an einem Fehler der Sehkraft, der uns umgekehrt das Schöne häßlich erscheinen ließe? Der folgende Auszug aus der Gwinnerschen Schrift mag darauf antworten. Arthur Schopenhauer stammte aus einer angesehenen Danziger Fa¬ milie und wurde am 22. Februar 1738 geboren. Sein Vater, seinem Beruf 23*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_113779/187>, abgerufen am 06.01.2025.