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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. II. Band.

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cirenden Norden und dem weinbaucndcn Süden, zwischen der Rübe und dem
Zuckerrohr. Kaum verklungen ist in dem Saale des gesetzgebenden Körpers zu
Paris der letzte heftige Wuthausbruch einiger Industriellen aus Rouen und
Lille gegen den Handelsvertrag mit England, dem sie die Wirkung aller Plagen
Aegyptens andichteten, weil er die Einfuhr englischer Fabrikate von den Ver¬
boten oder Verbotszöllen befreite. Der Streit entgegengesetzter Interessen gegen
einander und gegen das Gemeinwohl wird sich überall hören und fühlen lassen,
aber er wird auch in jedem geordneten Staate eine der Einsicht und dem
Bildungsgrade der Gesellschaft entsprechende Lösung durch die Organe der
Gesetzgebung und Verwaltung finden. Hat ein System oder ein Act der Ver¬
kehrs- und Handelspolitik die Sanction der Factoren der Gesetzgebung erhalten,
so bleiben sie in Kraft, bis auf gleichem Wege eine Abänderung erfolgt. Kein
Theil des politischen Staatsganzen wird daran denken, sich dem allgemeinen
Gesetze zu entziehen, oder gegen dessen Anwendung Einsprache zu erheben. Die
handelspolitische Sonderstellung, die Trennung durch Zollschranken einzelner
Städte und Provinzen desselben Staates gehört der Vergangenheit an, einer
unfertigen Biidungsperivde, höchstens ist sie noch denkbar bei Staatengruppcn,
die nichts mit einander gemein haben als das Oberhaupt, wie Schweden und
Norwegen, wie früher Ungarn und Oestreich, oder bei einem Mutterlande und
seinen entlegenen Kolonien oder sonstigen Besitzungen. Dies gilt nicht allein
für.den Einheitsstaat, sondern auch für mehr oder weniger selbstständige, aber in
einem Bunde vereinigte Staaten. Die Verfassung der Nordamerikanischen
Union überträgt der Centralgewalt die gesetzliche Regelung des Zvllwcscns,
und je nach dem Grade des Einflusses der nördlichen oder südlichen In¬
teressen schwankte der Tarif zwischen höhern und niederen Sätzen; aber wie sie
auch sein mochten, sie galten für die gesammte Union, kein Staat dürfte
sich denselben entziehen, so lange er nicht, wie dies jetzt von den Südstaaten ge¬
schehen ist. das gemeinsame politische Band mit Gewalt zerriß. Die schweizerische
Eidgenossenschaft erkennt als einen der größten Vorzüge der Verfassung von
1848 die Zvlleinheit, durch welche es möglich geworden ist, die zahlreichen und
lästigen Binnenzölle aufzuheben. Beide Staatcnvcrbände aber, der amerikanische
wie der schweizerische, haben in den Zolleinnahmen die Hauptauelle ihrer Bun¬
desfinanzen zur Bestreitung der Ausgaben für ihre Bundeszwecke. Nur in
Deutschland ist jeder, auch der kleinste Bundesstaat, berechtigt, eine selbständige
Handelspolitik zu treiben und seine Grenzen mit einer Svndermauth auszu¬
statten. Da jedoch die Verhältnisse den meisten Bundesstaaten nicht mehr ge¬
statten, von diesem Ausflusse ihrer Souveränetät Gebrauch zu machen, so haben
sie sich durch Verträge zu einem größern Handclsgebiete zusammen gethan, aber
immer nur auf eine Zeit von zwölf Jahren und unter der Bedingung, daß
alle Beschlüsse über Modificationen der vereinbarten Bestimmungen einstimmig


cirenden Norden und dem weinbaucndcn Süden, zwischen der Rübe und dem
Zuckerrohr. Kaum verklungen ist in dem Saale des gesetzgebenden Körpers zu
Paris der letzte heftige Wuthausbruch einiger Industriellen aus Rouen und
Lille gegen den Handelsvertrag mit England, dem sie die Wirkung aller Plagen
Aegyptens andichteten, weil er die Einfuhr englischer Fabrikate von den Ver¬
boten oder Verbotszöllen befreite. Der Streit entgegengesetzter Interessen gegen
einander und gegen das Gemeinwohl wird sich überall hören und fühlen lassen,
aber er wird auch in jedem geordneten Staate eine der Einsicht und dem
Bildungsgrade der Gesellschaft entsprechende Lösung durch die Organe der
Gesetzgebung und Verwaltung finden. Hat ein System oder ein Act der Ver¬
kehrs- und Handelspolitik die Sanction der Factoren der Gesetzgebung erhalten,
so bleiben sie in Kraft, bis auf gleichem Wege eine Abänderung erfolgt. Kein
Theil des politischen Staatsganzen wird daran denken, sich dem allgemeinen
Gesetze zu entziehen, oder gegen dessen Anwendung Einsprache zu erheben. Die
handelspolitische Sonderstellung, die Trennung durch Zollschranken einzelner
Städte und Provinzen desselben Staates gehört der Vergangenheit an, einer
unfertigen Biidungsperivde, höchstens ist sie noch denkbar bei Staatengruppcn,
die nichts mit einander gemein haben als das Oberhaupt, wie Schweden und
Norwegen, wie früher Ungarn und Oestreich, oder bei einem Mutterlande und
seinen entlegenen Kolonien oder sonstigen Besitzungen. Dies gilt nicht allein
für.den Einheitsstaat, sondern auch für mehr oder weniger selbstständige, aber in
einem Bunde vereinigte Staaten. Die Verfassung der Nordamerikanischen
Union überträgt der Centralgewalt die gesetzliche Regelung des Zvllwcscns,
und je nach dem Grade des Einflusses der nördlichen oder südlichen In¬
teressen schwankte der Tarif zwischen höhern und niederen Sätzen; aber wie sie
auch sein mochten, sie galten für die gesammte Union, kein Staat dürfte
sich denselben entziehen, so lange er nicht, wie dies jetzt von den Südstaaten ge¬
schehen ist. das gemeinsame politische Band mit Gewalt zerriß. Die schweizerische
Eidgenossenschaft erkennt als einen der größten Vorzüge der Verfassung von
1848 die Zvlleinheit, durch welche es möglich geworden ist, die zahlreichen und
lästigen Binnenzölle aufzuheben. Beide Staatcnvcrbände aber, der amerikanische
wie der schweizerische, haben in den Zolleinnahmen die Hauptauelle ihrer Bun¬
desfinanzen zur Bestreitung der Ausgaben für ihre Bundeszwecke. Nur in
Deutschland ist jeder, auch der kleinste Bundesstaat, berechtigt, eine selbständige
Handelspolitik zu treiben und seine Grenzen mit einer Svndermauth auszu¬
statten. Da jedoch die Verhältnisse den meisten Bundesstaaten nicht mehr ge¬
statten, von diesem Ausflusse ihrer Souveränetät Gebrauch zu machen, so haben
sie sich durch Verträge zu einem größern Handclsgebiete zusammen gethan, aber
immer nur auf eine Zeit von zwölf Jahren und unter der Bedingung, daß
alle Beschlüsse über Modificationen der vereinbarten Bestimmungen einstimmig


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_113779/156>, abgerufen am 06.01.2025.