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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band.

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nehmen, daß von ihm auf alle Fülle ein wohlüberlegtes und billiges Urtheil
abgegeben werden würde.

Faßt der Präsident den Streit als rein politische Frage auf. so wird er
sich in der Verlegenheit, in der er sich offenbar befindet, aller Wahrscheinlich¬
keit nach an den Senat wenden. Durch den ersten Artikel der Unionsver¬
fassung ist das amerikanische Oberhaus der Executive als Rath für den
Abschluß von Verträgen und die Ernennung von Gesandten beigesellt'. In
Folge davon hat sich dasselbe eine Art von Oberaufsicht über diplomatische
Angelegenheiten erworben. Der Senat hat einen stündigen Ausschuß zur Be¬
gutachtung solcher Angelegenheiten, der zwar nicht beschließende Befugniß be¬
sitzt, aber indirect großen Einfluß übt. Es ist daher,,sehr möglich, daß der
Präsident sich an dieses diplomatische Comite wendet und, indem er. wie bis¬
her, immer, seine persönliche Verantwortlichkeit auf ein Minimum vermindert,
nach dessen Ausspruch seine Schritte bemißt. Wie dieser Ausspruch lauten
würde, ist nicht wohl zu errathen, da wir nicht genau wissen, welcher Geist
im Senat regiert, seit die Vertreter des Südens ausgeschieden sind. Eins
aber Pissen wir mit Sicherheit, und das ist dem Frieden günstig. Der Se¬
nat bewies bisher von den beiden Hälften des Congresses stets die meiste
Einsicht, er enthielt bisher die gewiegtesten Politiker des Landes, und kein
aus solchen Politikern zusammengesetzter Ausschuß kann im jetzigen Augenblick
Krieg mit England wünschen. . ' ,> , >,> um.immr.

Die wenigsten Aussichten auf gütliche Beilegung des Zwistes gewährt
dje dritte Möglichkeit, die nämlich, daß der Präsident sich nach der Ansicht des
Repräsentantenhauses richtet, welches bereits durch eine Resolution das Ver¬
fahren des Capitän Wildes, gutgeheißen hat. In England wäre eine der¬
artige Erklärung des Unterhauses Richtschnur sür das Ministerium gewesen.
In Amerika ist dies nicht der Fall. Indeß hat die Kundgebung doch eine
sehr beachtenswerthe Seite. Das Repräsentantenhaus ist der Ausdruck der
öffentlichen Meinung, allerdings nicht der Meinung des gebildeten und in¬
telligenten Theils der Bevölkerung, sondern der des rohen, rein aus das, was
füx, die unmittelbare Gegenwart praktisch scheint, gerichteten Haufens, der in
Amerika herrscht oder doch die Herrschenden vielfach bestimmt. Der Prüsident
braucht sich an die Ansicht der Vertretung dieser Masse nicht zu kehren, da er
nickte,wie. M Minister in parlamentarischen Staaten genöthigt ist. ivor deren
Willen zurückzutreten. Aber die Frage ist. ob Lincoln die Unpopiilantüt nicht
mehr fürchtet als den Zorn Englands,, ja ob er von einem Eingehen auf die
Forderung des letztern nicht mehr ^zu fürchten hat, als bloße Unbeliebtheit bei'
dem lautesten und lebhaftesten Theil seiner Mitbürger..

Man sollte meinen, daß Niemand in Amerika unter den jetzigen Umstün¬
den den Wunsch hegen könnte, mit England in Krieg verwickelt zu we.rderr.!


nehmen, daß von ihm auf alle Fülle ein wohlüberlegtes und billiges Urtheil
abgegeben werden würde.

Faßt der Präsident den Streit als rein politische Frage auf. so wird er
sich in der Verlegenheit, in der er sich offenbar befindet, aller Wahrscheinlich¬
keit nach an den Senat wenden. Durch den ersten Artikel der Unionsver¬
fassung ist das amerikanische Oberhaus der Executive als Rath für den
Abschluß von Verträgen und die Ernennung von Gesandten beigesellt'. In
Folge davon hat sich dasselbe eine Art von Oberaufsicht über diplomatische
Angelegenheiten erworben. Der Senat hat einen stündigen Ausschuß zur Be¬
gutachtung solcher Angelegenheiten, der zwar nicht beschließende Befugniß be¬
sitzt, aber indirect großen Einfluß übt. Es ist daher,,sehr möglich, daß der
Präsident sich an dieses diplomatische Comite wendet und, indem er. wie bis¬
her, immer, seine persönliche Verantwortlichkeit auf ein Minimum vermindert,
nach dessen Ausspruch seine Schritte bemißt. Wie dieser Ausspruch lauten
würde, ist nicht wohl zu errathen, da wir nicht genau wissen, welcher Geist
im Senat regiert, seit die Vertreter des Südens ausgeschieden sind. Eins
aber Pissen wir mit Sicherheit, und das ist dem Frieden günstig. Der Se¬
nat bewies bisher von den beiden Hälften des Congresses stets die meiste
Einsicht, er enthielt bisher die gewiegtesten Politiker des Landes, und kein
aus solchen Politikern zusammengesetzter Ausschuß kann im jetzigen Augenblick
Krieg mit England wünschen. . ' ,> , >,> um.immr.

Die wenigsten Aussichten auf gütliche Beilegung des Zwistes gewährt
dje dritte Möglichkeit, die nämlich, daß der Präsident sich nach der Ansicht des
Repräsentantenhauses richtet, welches bereits durch eine Resolution das Ver¬
fahren des Capitän Wildes, gutgeheißen hat. In England wäre eine der¬
artige Erklärung des Unterhauses Richtschnur sür das Ministerium gewesen.
In Amerika ist dies nicht der Fall. Indeß hat die Kundgebung doch eine
sehr beachtenswerthe Seite. Das Repräsentantenhaus ist der Ausdruck der
öffentlichen Meinung, allerdings nicht der Meinung des gebildeten und in¬
telligenten Theils der Bevölkerung, sondern der des rohen, rein aus das, was
füx, die unmittelbare Gegenwart praktisch scheint, gerichteten Haufens, der in
Amerika herrscht oder doch die Herrschenden vielfach bestimmt. Der Prüsident
braucht sich an die Ansicht der Vertretung dieser Masse nicht zu kehren, da er
nickte,wie. M Minister in parlamentarischen Staaten genöthigt ist. ivor deren
Willen zurückzutreten. Aber die Frage ist. ob Lincoln die Unpopiilantüt nicht
mehr fürchtet als den Zorn Englands,, ja ob er von einem Eingehen auf die
Forderung des letztern nicht mehr ^zu fürchten hat, als bloße Unbeliebtheit bei'
dem lautesten und lebhaftesten Theil seiner Mitbürger..

Man sollte meinen, daß Niemand in Amerika unter den jetzigen Umstün¬
den den Wunsch hegen könnte, mit England in Krieg verwickelt zu we.rderr.!


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_113241/90>, abgerufen am 23.07.2024.