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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band.

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vollen Segeln und mit der englischen Flagge geschmückt so dahin fliegen zu
sehen. Aller Zuschauer Segenswünsche begleiteten es. Es waren ein Offizier
und 40 Jäger vom Krockowschen Freicorps als Besatzung und ein aus Kö¬
nigsberg angekommener Courier darauf, ein Offizier von der Artillerie, der
bei dieser Gelegenheit dem Gouverneur Depeschen bringen sollte. Das Schiff
war mit 300 Centnern Pulver und 500 Scheffeln Hafer beladen. Anfangs
ging Alles gut, aber als die Corvette in die Biegung der Weichsel beim Holm
einbog, schien es mit einem Male, als ob sie still stände. Die Sonne stand
uns entgegen und blendete. Es wurde hin und her geredet, es steht, sagten
die Einen, es geht, die Andern, und da auch ich mit der größten Spannung
dem Schauspiel zusah und ebenfalls von der Sonne geblendet war. die
mein Urtheil zweifelhaft machte, entfuhr mir der unbesonnene Ausdruck: "ach.
die verdammte Sonne!" -- Das hörte unser alter Regimentsarzt or. Mayer,
der mich ungeheuer herunter machte über meine Gotteslästerung, wie er es
nannte, ich hätte wohl noch nie über die größte Wohlthat Gottes gegen die
Menschen nachgedacht, sonst würde ich nicht so unvernünftig sprechen. Der
alte Mann hatte Recht, ich schämte mich, und er hat es mir später, als ich
ihm sagte, daß ich mir gar nichts dabei gedacht, und um Verzeihung bat.
verziehen. Unter der Zeit dauerte der Streit über das Gehen oder Stehen
des Schiffes fort, bis plötzlich dem Zweifel durch das Herunterlassen der eng¬
lischen Flagge ein Ende gemacht wurde. "Ach. und die Depeschen," hieß
es, "wenn der Offizier nur die in's Wasser würfe!" Er hatte das vergessen,
und so wurden sie dem Marschall Lefevre übergeben. Wie man so etwas
außer Acht lassen, so den Kopf verlieren kann, begreife ich heute so wenig
wie damals, als ich noch ein Kind war. Aus den Depeschen erfuhr der
Marschall, und durch Zusendung derselben bald auch der Gouverneur, daß
Danzig Seitens der Armee gar nichts zu hoffen habe und unser guter, da¬
mals so unglücklicher König die Festung ihrem Schicksal überlassen müsse.
So war denn nun die letzte Hoffnung vernichtet, und am 24. Mai trat der
Gouverneur in Capitulations-Verhandlungen. Am 25. Mai wurde die Ca.
pitulntwn abgeschlossen. Es war. wie ich gehört, dieselbe Capitulation, die
General Kaikrcutd demselben Marschall Lefevre bei der Uebergabe von Mainz
in der Nheincampagne bewilligt halte; damals standen sie sich im umgekehrten
Verhältniß gegenüber. Die Truppen durften mit klingendem Spiel, fliegenden
Fahnen, Waffen und den Regiments - Kanonen mit brennender Lunte nebst
Pulverwagen nbmarschiren und wurden bis an unsere Vorposten in 5 Tage-
Märschen durch die frische Nehrung gebracht. Die Garnison verpflichtete sich,
ein Jahr lang nicht gegen Frankreich zu dienen.

Die beiden Forts Fahrwasser und Weichselmünde waren nicht in der
Capitulation eingeschlossen, die Commandanten derselben mußten daher eine


vollen Segeln und mit der englischen Flagge geschmückt so dahin fliegen zu
sehen. Aller Zuschauer Segenswünsche begleiteten es. Es waren ein Offizier
und 40 Jäger vom Krockowschen Freicorps als Besatzung und ein aus Kö¬
nigsberg angekommener Courier darauf, ein Offizier von der Artillerie, der
bei dieser Gelegenheit dem Gouverneur Depeschen bringen sollte. Das Schiff
war mit 300 Centnern Pulver und 500 Scheffeln Hafer beladen. Anfangs
ging Alles gut, aber als die Corvette in die Biegung der Weichsel beim Holm
einbog, schien es mit einem Male, als ob sie still stände. Die Sonne stand
uns entgegen und blendete. Es wurde hin und her geredet, es steht, sagten
die Einen, es geht, die Andern, und da auch ich mit der größten Spannung
dem Schauspiel zusah und ebenfalls von der Sonne geblendet war. die
mein Urtheil zweifelhaft machte, entfuhr mir der unbesonnene Ausdruck: „ach.
die verdammte Sonne!" — Das hörte unser alter Regimentsarzt or. Mayer,
der mich ungeheuer herunter machte über meine Gotteslästerung, wie er es
nannte, ich hätte wohl noch nie über die größte Wohlthat Gottes gegen die
Menschen nachgedacht, sonst würde ich nicht so unvernünftig sprechen. Der
alte Mann hatte Recht, ich schämte mich, und er hat es mir später, als ich
ihm sagte, daß ich mir gar nichts dabei gedacht, und um Verzeihung bat.
verziehen. Unter der Zeit dauerte der Streit über das Gehen oder Stehen
des Schiffes fort, bis plötzlich dem Zweifel durch das Herunterlassen der eng¬
lischen Flagge ein Ende gemacht wurde. „Ach. und die Depeschen," hieß
es, „wenn der Offizier nur die in's Wasser würfe!" Er hatte das vergessen,
und so wurden sie dem Marschall Lefevre übergeben. Wie man so etwas
außer Acht lassen, so den Kopf verlieren kann, begreife ich heute so wenig
wie damals, als ich noch ein Kind war. Aus den Depeschen erfuhr der
Marschall, und durch Zusendung derselben bald auch der Gouverneur, daß
Danzig Seitens der Armee gar nichts zu hoffen habe und unser guter, da¬
mals so unglücklicher König die Festung ihrem Schicksal überlassen müsse.
So war denn nun die letzte Hoffnung vernichtet, und am 24. Mai trat der
Gouverneur in Capitulations-Verhandlungen. Am 25. Mai wurde die Ca.
pitulntwn abgeschlossen. Es war. wie ich gehört, dieselbe Capitulation, die
General Kaikrcutd demselben Marschall Lefevre bei der Uebergabe von Mainz
in der Nheincampagne bewilligt halte; damals standen sie sich im umgekehrten
Verhältniß gegenüber. Die Truppen durften mit klingendem Spiel, fliegenden
Fahnen, Waffen und den Regiments - Kanonen mit brennender Lunte nebst
Pulverwagen nbmarschiren und wurden bis an unsere Vorposten in 5 Tage-
Märschen durch die frische Nehrung gebracht. Die Garnison verpflichtete sich,
ein Jahr lang nicht gegen Frankreich zu dienen.

Die beiden Forts Fahrwasser und Weichselmünde waren nicht in der
Capitulation eingeschlossen, die Commandanten derselben mußten daher eine


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_113241/66>, abgerufen am 23.07.2024.