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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band.

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geübt, römische Triumphbogen haben die Motive für die Portalbautcn in
Avignon, Vaison, Pernes u. s. w. abgegeben, die römische Porte d'Arroux zu
Autun das ängstlich befolgte Muster für die Decoration der Kathedrale gelie¬
fert. Und nicht auf einzelne Fälle beschränkt sich diese unmittelbare Einwirkung
der Antike, der Charakter weitverbreiteter Localsiyle, wie, um bei den Ländern
diesseits der Alpen zu bleiben, jene der Provence, Languedocs und Burgunds,
wird durch diese unmittelbare Nachahmung der Antike bestimmt, so daß wir
an derselben ein wichtiges und nicht täuschendes Merkmal für die geographische
Einordnung eines Mittelalterlichen Bauwerkes besitzen. Man Muß freilich zu¬
geben, daß der Einfluß der Antike nicht durch alle Zeiten des Mittelalters die
gleiche Stärke bewahrt, aber gerade dieser Umstand spricht dafür, daß die An¬
tike ein lebendiges Element in der mittelalterlichen Kunstentwicklung bildete.
Während die Zeiten, die unmittelbar die karolingische Pertode berühren,
überall die Unfähigkeit verrathen, sich von der römischen Tradition vollständig
loszusagen, aber gleichsam nur mürrisch und widerwillig den Fußtapfen der al¬
ten Welteroberer folgen, ermannt sich das elfte Jahrhundert besonders in' sei¬
ner zweiten Hälfte zu einer größeren Selbständigkeit Aett wägt, unbeirrt von
aller Tradition, auf Kosten des Formgefühls den in dieser Zeit erst erstarkten neuen
Gedanken einen künstlerischen Ausdruck zu geben. Kaum ist aber die Freude,
neue Gedanken zu bilden und einen selbständigen frischen Inhalt der Kunst zu¬
zuführen, befriedigt worden, so regt sich auch schon wieder der Formsinn,
Mit der Belebung des letzteren erwacht aber auch in der zweiten Hälfte des
zwölften Jahrhunderts die Sehnsucht nach der Antike und der Eifer sie wieder
zu beleben, der wenigstens in Italien nicht mehr ausstirbt. So allgemein und
tief wurzelnd ist dieser ick Laufe des zwölften Jahrhunderts Lern classischen
Alterthum zugewendete Sinn, daß wir, um den spätromanischen Styl por den
früheren Und späteren Kunstweisen zu unterscheiden, kein auffälligeres Merkmal
hervorheben können, als eben diese erste Renaissance.

Wenn nicht äußere Gründe, urkundliche Nachrichten uns bestimmten, Nicht
in einem, sondern in unzähligen Fällen würden wir ein Bauwerk bald dem alt-
christlichen Zeitalter, bald dem.fünfzehnten Jahrhundert zuschreiben, -- so scharf
und Mächtig prägt sich in demselben die Nachbildung der Antike aus, -- das denn
doch, wie z. B. das Baptisterium in Florenz, den angeblich barbarischen Jahr¬
hunderten des tieferen Mittelalters angehört. Wie in der Architektur, so ge¬
hen auch in der Sculptur die Spuren der classischen Kunst während des
Mittelalters nicht vollständig Verloren. Noch hat sich kein Forscher die Müde
genommen, die mannigfachen Gesichtstypen röManischer Sculptmwerke auf ihre
gemeinsame Wurzel zurückzuführen, dre Gcwandwürfe. die Faltenmotive zu prü¬
fen; gewiß würde er überall zuerst auf unbewußte, im zwölften Jahrhundert
namentlich über auf bewußte und beabsichtigte NachbilduUgen der Antike stoßen.


geübt, römische Triumphbogen haben die Motive für die Portalbautcn in
Avignon, Vaison, Pernes u. s. w. abgegeben, die römische Porte d'Arroux zu
Autun das ängstlich befolgte Muster für die Decoration der Kathedrale gelie¬
fert. Und nicht auf einzelne Fälle beschränkt sich diese unmittelbare Einwirkung
der Antike, der Charakter weitverbreiteter Localsiyle, wie, um bei den Ländern
diesseits der Alpen zu bleiben, jene der Provence, Languedocs und Burgunds,
wird durch diese unmittelbare Nachahmung der Antike bestimmt, so daß wir
an derselben ein wichtiges und nicht täuschendes Merkmal für die geographische
Einordnung eines Mittelalterlichen Bauwerkes besitzen. Man Muß freilich zu¬
geben, daß der Einfluß der Antike nicht durch alle Zeiten des Mittelalters die
gleiche Stärke bewahrt, aber gerade dieser Umstand spricht dafür, daß die An¬
tike ein lebendiges Element in der mittelalterlichen Kunstentwicklung bildete.
Während die Zeiten, die unmittelbar die karolingische Pertode berühren,
überall die Unfähigkeit verrathen, sich von der römischen Tradition vollständig
loszusagen, aber gleichsam nur mürrisch und widerwillig den Fußtapfen der al¬
ten Welteroberer folgen, ermannt sich das elfte Jahrhundert besonders in' sei¬
ner zweiten Hälfte zu einer größeren Selbständigkeit Aett wägt, unbeirrt von
aller Tradition, auf Kosten des Formgefühls den in dieser Zeit erst erstarkten neuen
Gedanken einen künstlerischen Ausdruck zu geben. Kaum ist aber die Freude,
neue Gedanken zu bilden und einen selbständigen frischen Inhalt der Kunst zu¬
zuführen, befriedigt worden, so regt sich auch schon wieder der Formsinn,
Mit der Belebung des letzteren erwacht aber auch in der zweiten Hälfte des
zwölften Jahrhunderts die Sehnsucht nach der Antike und der Eifer sie wieder
zu beleben, der wenigstens in Italien nicht mehr ausstirbt. So allgemein und
tief wurzelnd ist dieser ick Laufe des zwölften Jahrhunderts Lern classischen
Alterthum zugewendete Sinn, daß wir, um den spätromanischen Styl por den
früheren Und späteren Kunstweisen zu unterscheiden, kein auffälligeres Merkmal
hervorheben können, als eben diese erste Renaissance.

Wenn nicht äußere Gründe, urkundliche Nachrichten uns bestimmten, Nicht
in einem, sondern in unzähligen Fällen würden wir ein Bauwerk bald dem alt-
christlichen Zeitalter, bald dem.fünfzehnten Jahrhundert zuschreiben, — so scharf
und Mächtig prägt sich in demselben die Nachbildung der Antike aus, — das denn
doch, wie z. B. das Baptisterium in Florenz, den angeblich barbarischen Jahr¬
hunderten des tieferen Mittelalters angehört. Wie in der Architektur, so ge¬
hen auch in der Sculptur die Spuren der classischen Kunst während des
Mittelalters nicht vollständig Verloren. Noch hat sich kein Forscher die Müde
genommen, die mannigfachen Gesichtstypen röManischer Sculptmwerke auf ihre
gemeinsame Wurzel zurückzuführen, dre Gcwandwürfe. die Faltenmotive zu prü¬
fen; gewiß würde er überall zuerst auf unbewußte, im zwölften Jahrhundert
namentlich über auf bewußte und beabsichtigte NachbilduUgen der Antike stoßen.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_113241/499>, abgerufen am 28.12.2024.