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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band.

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aufzurauschen. Ungezogene lyrische Dichter, anonyme Journalartikel wußten
den strengen Preßgesetzen des Bundes zu trotzen. Auch der Klatsch des Hofes
wurde rücksichtsloser und begehrter. Jedes schnelle Wort, das den Lippen des
Königs oder eines Prinzen entfloh, jede kleine Familienscene erhielt eine unver-
hältnißmäßige Bedeutung, die Urtheile überZdie Höchsten des Staates waren
genau so, wie das Wesen der Menschen in solcher Zeit, argwöhnisch und
kleinlich. Die Fürsten selbst erfuhren Stimmungen und Bedürfnisse des Volks
wieder nur durch das Geschwätz der Hofkreise, oder durch die Berichte ser"
oller Beamten. Fast nie hatten sie Gelegenheit, die eigenen UeberzeuGungen
mit einer fremden, unabhängigen Ueberzeugung zu messen.

Recht deutlich wird die gefährliche Lage der preußischen Königsfamilie,
wenn man sich an eine Missethat erinnert, welche das Leben Friedrich Wil¬
helms des Vierte" bedrohte. Zu allen Zeiten ist die Majestät der Regenten den An¬
fällen einzelner Verrückter und Verkehrter mehr ausgesetzt gewesen, als der
Mann in bescheidener Erdenstellung. Aber bei dem Attentat des Thebens war
nicht blos die That, sondern auch die Haltung des Publicums, der Gebildeten,
ja der vornehmen Gesellschaft gräulich. Ueber Charakter und Motive des
Verbrechers, die Empfindungen des Königs wurde mit einem wahrhaft bos¬
haften Interesse verhandelt, dem Verbrecher wurde eine Theilnahme gegönnt,
welche für die Person des Königs höchst beleidigend war. Lieder wurden ver¬
fertigt -- sie sind nicht im Volke entstanden -- in denen mit einer unbehag¬
lichen Roheit sich Spott und Witz gegen das Opfer, nicht gegen den Mörder
kehrte, und solche Lieder wurden in den Familien der Hofleute, der höchsten
Beamten abgeschrieben, von Geheimräthen und Excellenzen colvortirt, in den
Ministerien heimlich gelesen, im Volke gesungen. So tief war das Königthum
vor 1848 gesunken, so sehr war seine hohe Stellung verdorben, daß eine
Alles zerstörende Revolution unvermeidlich erschien; die Klügeren erwarteten,
die Besseren fürchteten sie. -- Man vergleiche mit jenem Attentat ein anderes
nahe liegendes, man vergleiche die Haltung der Presse und des Volkes da¬
mals und im vergangenen Jahre! -- Doch es war ein Unterschied in der
Tagesbeliebtheit der beiden Monarchen! Das ist wahr, ein Unterschied von
vielen Graden, Aber in der Haltung der Nation war kein Unterschied nach
Graden, sondern es war ein durchaus und radiccU verschiedenes Ge"
bahren. Die Preußen vor 1848 benahmen sich wie Unfreie, welche heimlich
die Faust ballen und kalt oder schadenfroh die Gefahr ihres Gebieters be¬
spötteln, die Preußen' und Deutschen von 1861 zeigten ihrem Fürsten die Hal¬
tung, die herzliche Theilnahme, den sittlichen Zorn freier Männer. Und diesen
großen Fortschritt zu einer edlen PopularMt und einem gesunden Ver¬
hältniß zwischen Fürst und Volk verdanken die Hohenzollern dem Getöse des
Jahres 1848. Dies Jahr hat grade den Besten der Familie die größten


aufzurauschen. Ungezogene lyrische Dichter, anonyme Journalartikel wußten
den strengen Preßgesetzen des Bundes zu trotzen. Auch der Klatsch des Hofes
wurde rücksichtsloser und begehrter. Jedes schnelle Wort, das den Lippen des
Königs oder eines Prinzen entfloh, jede kleine Familienscene erhielt eine unver-
hältnißmäßige Bedeutung, die Urtheile überZdie Höchsten des Staates waren
genau so, wie das Wesen der Menschen in solcher Zeit, argwöhnisch und
kleinlich. Die Fürsten selbst erfuhren Stimmungen und Bedürfnisse des Volks
wieder nur durch das Geschwätz der Hofkreise, oder durch die Berichte ser»
oller Beamten. Fast nie hatten sie Gelegenheit, die eigenen UeberzeuGungen
mit einer fremden, unabhängigen Ueberzeugung zu messen.

Recht deutlich wird die gefährliche Lage der preußischen Königsfamilie,
wenn man sich an eine Missethat erinnert, welche das Leben Friedrich Wil¬
helms des Vierte» bedrohte. Zu allen Zeiten ist die Majestät der Regenten den An¬
fällen einzelner Verrückter und Verkehrter mehr ausgesetzt gewesen, als der
Mann in bescheidener Erdenstellung. Aber bei dem Attentat des Thebens war
nicht blos die That, sondern auch die Haltung des Publicums, der Gebildeten,
ja der vornehmen Gesellschaft gräulich. Ueber Charakter und Motive des
Verbrechers, die Empfindungen des Königs wurde mit einem wahrhaft bos¬
haften Interesse verhandelt, dem Verbrecher wurde eine Theilnahme gegönnt,
welche für die Person des Königs höchst beleidigend war. Lieder wurden ver¬
fertigt — sie sind nicht im Volke entstanden — in denen mit einer unbehag¬
lichen Roheit sich Spott und Witz gegen das Opfer, nicht gegen den Mörder
kehrte, und solche Lieder wurden in den Familien der Hofleute, der höchsten
Beamten abgeschrieben, von Geheimräthen und Excellenzen colvortirt, in den
Ministerien heimlich gelesen, im Volke gesungen. So tief war das Königthum
vor 1848 gesunken, so sehr war seine hohe Stellung verdorben, daß eine
Alles zerstörende Revolution unvermeidlich erschien; die Klügeren erwarteten,
die Besseren fürchteten sie. — Man vergleiche mit jenem Attentat ein anderes
nahe liegendes, man vergleiche die Haltung der Presse und des Volkes da¬
mals und im vergangenen Jahre! — Doch es war ein Unterschied in der
Tagesbeliebtheit der beiden Monarchen! Das ist wahr, ein Unterschied von
vielen Graden, Aber in der Haltung der Nation war kein Unterschied nach
Graden, sondern es war ein durchaus und radiccU verschiedenes Ge«
bahren. Die Preußen vor 1848 benahmen sich wie Unfreie, welche heimlich
die Faust ballen und kalt oder schadenfroh die Gefahr ihres Gebieters be¬
spötteln, die Preußen' und Deutschen von 1861 zeigten ihrem Fürsten die Hal¬
tung, die herzliche Theilnahme, den sittlichen Zorn freier Männer. Und diesen
großen Fortschritt zu einer edlen PopularMt und einem gesunden Ver¬
hältniß zwischen Fürst und Volk verdanken die Hohenzollern dem Getöse des
Jahres 1848. Dies Jahr hat grade den Besten der Familie die größten


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[0440] aufzurauschen. Ungezogene lyrische Dichter, anonyme Journalartikel wußten den strengen Preßgesetzen des Bundes zu trotzen. Auch der Klatsch des Hofes wurde rücksichtsloser und begehrter. Jedes schnelle Wort, das den Lippen des Königs oder eines Prinzen entfloh, jede kleine Familienscene erhielt eine unver- hältnißmäßige Bedeutung, die Urtheile überZdie Höchsten des Staates waren genau so, wie das Wesen der Menschen in solcher Zeit, argwöhnisch und kleinlich. Die Fürsten selbst erfuhren Stimmungen und Bedürfnisse des Volks wieder nur durch das Geschwätz der Hofkreise, oder durch die Berichte ser» oller Beamten. Fast nie hatten sie Gelegenheit, die eigenen UeberzeuGungen mit einer fremden, unabhängigen Ueberzeugung zu messen. Recht deutlich wird die gefährliche Lage der preußischen Königsfamilie, wenn man sich an eine Missethat erinnert, welche das Leben Friedrich Wil¬ helms des Vierte» bedrohte. Zu allen Zeiten ist die Majestät der Regenten den An¬ fällen einzelner Verrückter und Verkehrter mehr ausgesetzt gewesen, als der Mann in bescheidener Erdenstellung. Aber bei dem Attentat des Thebens war nicht blos die That, sondern auch die Haltung des Publicums, der Gebildeten, ja der vornehmen Gesellschaft gräulich. Ueber Charakter und Motive des Verbrechers, die Empfindungen des Königs wurde mit einem wahrhaft bos¬ haften Interesse verhandelt, dem Verbrecher wurde eine Theilnahme gegönnt, welche für die Person des Königs höchst beleidigend war. Lieder wurden ver¬ fertigt — sie sind nicht im Volke entstanden — in denen mit einer unbehag¬ lichen Roheit sich Spott und Witz gegen das Opfer, nicht gegen den Mörder kehrte, und solche Lieder wurden in den Familien der Hofleute, der höchsten Beamten abgeschrieben, von Geheimräthen und Excellenzen colvortirt, in den Ministerien heimlich gelesen, im Volke gesungen. So tief war das Königthum vor 1848 gesunken, so sehr war seine hohe Stellung verdorben, daß eine Alles zerstörende Revolution unvermeidlich erschien; die Klügeren erwarteten, die Besseren fürchteten sie. — Man vergleiche mit jenem Attentat ein anderes nahe liegendes, man vergleiche die Haltung der Presse und des Volkes da¬ mals und im vergangenen Jahre! — Doch es war ein Unterschied in der Tagesbeliebtheit der beiden Monarchen! Das ist wahr, ein Unterschied von vielen Graden, Aber in der Haltung der Nation war kein Unterschied nach Graden, sondern es war ein durchaus und radiccU verschiedenes Ge« bahren. Die Preußen vor 1848 benahmen sich wie Unfreie, welche heimlich die Faust ballen und kalt oder schadenfroh die Gefahr ihres Gebieters be¬ spötteln, die Preußen' und Deutschen von 1861 zeigten ihrem Fürsten die Hal¬ tung, die herzliche Theilnahme, den sittlichen Zorn freier Männer. Und diesen großen Fortschritt zu einer edlen PopularMt und einem gesunden Ver¬ hältniß zwischen Fürst und Volk verdanken die Hohenzollern dem Getöse des Jahres 1848. Dies Jahr hat grade den Besten der Familie die größten

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_113241/440>, abgerufen am 23.07.2024.