Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Schelcher zu vervollständigen. Als starken Ausdrücken abhold und überdies
nur entfernt an der Sache betheiligt. würden wir es in diesem Fall dem
Geschmack der Leser überlassen, welchen von den Häuptern der beiden Haupt¬
parteien der Priester und der Finanzmänner sie sich auf die rechte, welchen
sie sich auf die linke Seite denken wollen. Indeß scheint das Bild unsres
französischen Eiferers ein klein wenig zu hinken. Prüfen wir es drum. Ver-
gegenwärtigen wir uns den Dulder von Golgatha vor der Zeit seiner Kreu¬
zigung, und lassen wir uns daneben von Liverani den Stellvertreter desselben
in Rom malen. Der Anfang scheint nicht sehr für uns zu sprechen, aber
erwarten wir das Ende der Charakteristik.

"Unschuld und Sittenreinheit, Liebe zu den heiligen Bräuchen, Leichtig¬
keit und Anmuth der Sprache, die Kunst aus dem Stegreif zu sprechen, die
Salbung und Sanftmuth der Geberden beim Gebet, ein Wohlklang des
Gesanges, eine erhabene Majestät in den Functionen am Altar, der Eifer,
mit dem er an viele Dinge zur Ehre Gottes (die Concordate und jetzt
die Heiligsprechung der japanesischen Märtyrer z. B.) ging, ohne selbst
die gewagtesten (das Dogma von der unbefleckten Empfängnis, Mariens
z. B.) zu fürchten -- das ist ein kleines Bild der Vorzüge unseres Pius.
Keine Begünstigung von Verwandten, kein Schatten von Habgier oder Sucht
nach dem Ansammeln von Schätzen, der Werth von Gold und Silber nur
gekannt, sofern es in die Hände der Armen oder zu Schmuck und Zier des
Heiligthums absticht. Unermüdliche Geduld, Gehör zu geben und Zutritt zu
gestatten, zugleich aber starkes Interesse für die unbedeutendsten Kleinigkeiten
und die niedrigsten Klatschgeschichten. Beurtheilung der Menschen und Dinge
mehr nach dem Aeußeren und den zufälligen Umständen, als nach ihrem Wesen.
Zugänglichkeit für üble Eindrücke und schlimme Vorurtheile, zäh und jäh bei
Entschluß und Entscheidung, ebenso hartnäckig im Widerwillen, leicht gewonnen
vermöge plötzlicher Zuneigungen und vom Genie. Argloses Zurschautragen an¬
genehmer und widerwärtiger Eindrücke, verborgenster Herzensregungen in der
Miene, was doch gleichbedeutend ist mit Ueberlassung der Schlüssel zu dem¬
selben an Schurken und höfische Schlauköpfe, welche sein Inneres auf seiner
Stirn lesen. Daher in seiner Gegenwart allezeit feucht stierende Augen, halb
geöffnete L'Ppen. gebogene Hälse, halb angespannte Muskeln, stete Bereit¬
schaft, dahin zu eilen, wohin das erhabene Antlitz des Papstes sich neigt und
mit Lobhudelei seine Begehren zu wiederholen, sollten sie auch den Unter¬
gang herbeiführen. Ein rasch fertiger Richter über den Werth Anderer, aber
mehr nach Schein und Haltung, nach dem sokratischen Gesicht, dem kahlen
Kops, der wohltönenden Stimme, als nach Gaben des Geists und der Seele;
abgeneigt, seine Gunst dem zuzuwenden, der sie nicht gut zu bewahren weiß,
und darum voll Mißtrauen und Verdacht dem Ehrlichen, unvorsichtig und


Schelcher zu vervollständigen. Als starken Ausdrücken abhold und überdies
nur entfernt an der Sache betheiligt. würden wir es in diesem Fall dem
Geschmack der Leser überlassen, welchen von den Häuptern der beiden Haupt¬
parteien der Priester und der Finanzmänner sie sich auf die rechte, welchen
sie sich auf die linke Seite denken wollen. Indeß scheint das Bild unsres
französischen Eiferers ein klein wenig zu hinken. Prüfen wir es drum. Ver-
gegenwärtigen wir uns den Dulder von Golgatha vor der Zeit seiner Kreu¬
zigung, und lassen wir uns daneben von Liverani den Stellvertreter desselben
in Rom malen. Der Anfang scheint nicht sehr für uns zu sprechen, aber
erwarten wir das Ende der Charakteristik.

„Unschuld und Sittenreinheit, Liebe zu den heiligen Bräuchen, Leichtig¬
keit und Anmuth der Sprache, die Kunst aus dem Stegreif zu sprechen, die
Salbung und Sanftmuth der Geberden beim Gebet, ein Wohlklang des
Gesanges, eine erhabene Majestät in den Functionen am Altar, der Eifer,
mit dem er an viele Dinge zur Ehre Gottes (die Concordate und jetzt
die Heiligsprechung der japanesischen Märtyrer z. B.) ging, ohne selbst
die gewagtesten (das Dogma von der unbefleckten Empfängnis, Mariens
z. B.) zu fürchten — das ist ein kleines Bild der Vorzüge unseres Pius.
Keine Begünstigung von Verwandten, kein Schatten von Habgier oder Sucht
nach dem Ansammeln von Schätzen, der Werth von Gold und Silber nur
gekannt, sofern es in die Hände der Armen oder zu Schmuck und Zier des
Heiligthums absticht. Unermüdliche Geduld, Gehör zu geben und Zutritt zu
gestatten, zugleich aber starkes Interesse für die unbedeutendsten Kleinigkeiten
und die niedrigsten Klatschgeschichten. Beurtheilung der Menschen und Dinge
mehr nach dem Aeußeren und den zufälligen Umständen, als nach ihrem Wesen.
Zugänglichkeit für üble Eindrücke und schlimme Vorurtheile, zäh und jäh bei
Entschluß und Entscheidung, ebenso hartnäckig im Widerwillen, leicht gewonnen
vermöge plötzlicher Zuneigungen und vom Genie. Argloses Zurschautragen an¬
genehmer und widerwärtiger Eindrücke, verborgenster Herzensregungen in der
Miene, was doch gleichbedeutend ist mit Ueberlassung der Schlüssel zu dem¬
selben an Schurken und höfische Schlauköpfe, welche sein Inneres auf seiner
Stirn lesen. Daher in seiner Gegenwart allezeit feucht stierende Augen, halb
geöffnete L'Ppen. gebogene Hälse, halb angespannte Muskeln, stete Bereit¬
schaft, dahin zu eilen, wohin das erhabene Antlitz des Papstes sich neigt und
mit Lobhudelei seine Begehren zu wiederholen, sollten sie auch den Unter¬
gang herbeiführen. Ein rasch fertiger Richter über den Werth Anderer, aber
mehr nach Schein und Haltung, nach dem sokratischen Gesicht, dem kahlen
Kops, der wohltönenden Stimme, als nach Gaben des Geists und der Seele;
abgeneigt, seine Gunst dem zuzuwenden, der sie nicht gut zu bewahren weiß,
und darum voll Mißtrauen und Verdacht dem Ehrlichen, unvorsichtig und


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0350" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/113592"/>
          <p xml:id="ID_1066" prev="#ID_1065"> Schelcher zu vervollständigen. Als starken Ausdrücken abhold und überdies<lb/>
nur entfernt an der Sache betheiligt. würden wir es in diesem Fall dem<lb/>
Geschmack der Leser überlassen, welchen von den Häuptern der beiden Haupt¬<lb/>
parteien der Priester und der Finanzmänner sie sich auf die rechte, welchen<lb/>
sie sich auf die linke Seite denken wollen. Indeß scheint das Bild unsres<lb/>
französischen Eiferers ein klein wenig zu hinken. Prüfen wir es drum. Ver-<lb/>
gegenwärtigen wir uns den Dulder von Golgatha vor der Zeit seiner Kreu¬<lb/>
zigung, und lassen wir uns daneben von Liverani den Stellvertreter desselben<lb/>
in Rom malen. Der Anfang scheint nicht sehr für uns zu sprechen, aber<lb/>
erwarten wir das Ende der Charakteristik.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1067" next="#ID_1068"> &#x201E;Unschuld und Sittenreinheit, Liebe zu den heiligen Bräuchen, Leichtig¬<lb/>
keit und Anmuth der Sprache, die Kunst aus dem Stegreif zu sprechen, die<lb/>
Salbung und Sanftmuth der Geberden beim Gebet, ein Wohlklang des<lb/>
Gesanges, eine erhabene Majestät in den Functionen am Altar, der Eifer,<lb/>
mit dem er an viele Dinge zur Ehre Gottes (die Concordate und jetzt<lb/>
die Heiligsprechung der japanesischen Märtyrer z.  B.) ging, ohne selbst<lb/>
die gewagtesten (das Dogma von der unbefleckten Empfängnis, Mariens<lb/>
z. B.) zu fürchten &#x2014; das ist ein kleines Bild der Vorzüge unseres Pius.<lb/>
Keine Begünstigung von Verwandten, kein Schatten von Habgier oder Sucht<lb/>
nach dem Ansammeln von Schätzen, der Werth von Gold und Silber nur<lb/>
gekannt, sofern es in die Hände der Armen oder zu Schmuck und Zier des<lb/>
Heiligthums absticht. Unermüdliche Geduld, Gehör zu geben und Zutritt zu<lb/>
gestatten, zugleich aber starkes Interesse für die unbedeutendsten Kleinigkeiten<lb/>
und die niedrigsten Klatschgeschichten. Beurtheilung der Menschen und Dinge<lb/>
mehr nach dem Aeußeren und den zufälligen Umständen, als nach ihrem Wesen.<lb/>
Zugänglichkeit für üble Eindrücke und schlimme Vorurtheile, zäh und jäh bei<lb/>
Entschluß und Entscheidung, ebenso hartnäckig im Widerwillen, leicht gewonnen<lb/>
vermöge plötzlicher Zuneigungen und vom Genie. Argloses Zurschautragen an¬<lb/>
genehmer und widerwärtiger Eindrücke, verborgenster Herzensregungen in der<lb/>
Miene, was doch gleichbedeutend ist mit Ueberlassung der Schlüssel zu dem¬<lb/>
selben an Schurken und höfische Schlauköpfe, welche sein Inneres auf seiner<lb/>
Stirn lesen.  Daher in seiner Gegenwart allezeit feucht stierende Augen, halb<lb/>
geöffnete L'Ppen. gebogene Hälse, halb angespannte Muskeln, stete Bereit¬<lb/>
schaft, dahin zu eilen, wohin das erhabene Antlitz des Papstes sich neigt und<lb/>
mit Lobhudelei seine Begehren zu wiederholen, sollten sie auch den Unter¬<lb/>
gang herbeiführen.  Ein rasch fertiger Richter über den Werth Anderer, aber<lb/>
mehr nach Schein und Haltung, nach dem sokratischen Gesicht, dem kahlen<lb/>
Kops, der wohltönenden Stimme, als nach Gaben des Geists und der Seele;<lb/>
abgeneigt, seine Gunst dem zuzuwenden, der sie nicht gut zu bewahren weiß,<lb/>
und darum voll Mißtrauen und Verdacht dem Ehrlichen, unvorsichtig und</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0350] Schelcher zu vervollständigen. Als starken Ausdrücken abhold und überdies nur entfernt an der Sache betheiligt. würden wir es in diesem Fall dem Geschmack der Leser überlassen, welchen von den Häuptern der beiden Haupt¬ parteien der Priester und der Finanzmänner sie sich auf die rechte, welchen sie sich auf die linke Seite denken wollen. Indeß scheint das Bild unsres französischen Eiferers ein klein wenig zu hinken. Prüfen wir es drum. Ver- gegenwärtigen wir uns den Dulder von Golgatha vor der Zeit seiner Kreu¬ zigung, und lassen wir uns daneben von Liverani den Stellvertreter desselben in Rom malen. Der Anfang scheint nicht sehr für uns zu sprechen, aber erwarten wir das Ende der Charakteristik. „Unschuld und Sittenreinheit, Liebe zu den heiligen Bräuchen, Leichtig¬ keit und Anmuth der Sprache, die Kunst aus dem Stegreif zu sprechen, die Salbung und Sanftmuth der Geberden beim Gebet, ein Wohlklang des Gesanges, eine erhabene Majestät in den Functionen am Altar, der Eifer, mit dem er an viele Dinge zur Ehre Gottes (die Concordate und jetzt die Heiligsprechung der japanesischen Märtyrer z. B.) ging, ohne selbst die gewagtesten (das Dogma von der unbefleckten Empfängnis, Mariens z. B.) zu fürchten — das ist ein kleines Bild der Vorzüge unseres Pius. Keine Begünstigung von Verwandten, kein Schatten von Habgier oder Sucht nach dem Ansammeln von Schätzen, der Werth von Gold und Silber nur gekannt, sofern es in die Hände der Armen oder zu Schmuck und Zier des Heiligthums absticht. Unermüdliche Geduld, Gehör zu geben und Zutritt zu gestatten, zugleich aber starkes Interesse für die unbedeutendsten Kleinigkeiten und die niedrigsten Klatschgeschichten. Beurtheilung der Menschen und Dinge mehr nach dem Aeußeren und den zufälligen Umständen, als nach ihrem Wesen. Zugänglichkeit für üble Eindrücke und schlimme Vorurtheile, zäh und jäh bei Entschluß und Entscheidung, ebenso hartnäckig im Widerwillen, leicht gewonnen vermöge plötzlicher Zuneigungen und vom Genie. Argloses Zurschautragen an¬ genehmer und widerwärtiger Eindrücke, verborgenster Herzensregungen in der Miene, was doch gleichbedeutend ist mit Ueberlassung der Schlüssel zu dem¬ selben an Schurken und höfische Schlauköpfe, welche sein Inneres auf seiner Stirn lesen. Daher in seiner Gegenwart allezeit feucht stierende Augen, halb geöffnete L'Ppen. gebogene Hälse, halb angespannte Muskeln, stete Bereit¬ schaft, dahin zu eilen, wohin das erhabene Antlitz des Papstes sich neigt und mit Lobhudelei seine Begehren zu wiederholen, sollten sie auch den Unter¬ gang herbeiführen. Ein rasch fertiger Richter über den Werth Anderer, aber mehr nach Schein und Haltung, nach dem sokratischen Gesicht, dem kahlen Kops, der wohltönenden Stimme, als nach Gaben des Geists und der Seele; abgeneigt, seine Gunst dem zuzuwenden, der sie nicht gut zu bewahren weiß, und darum voll Mißtrauen und Verdacht dem Ehrlichen, unvorsichtig und

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_113241
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_113241/350
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_113241/350>, abgerufen am 28.12.2024.