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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band.

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Haupt der Kirche mit den übrigen souverainen als Macht zu Macht auf
diplomatischem Wege verhandeln kann. Wird ihm dies Recht in seiner geist¬
lichen Eigenschaft, unabhängig von seiner weltlichen Stellung, garantirt, so
kann die Freiheit seiner Stellung offenbar nur dadurch gewinnen, wenn er
einen Besitz aufgibt, den er nur durch die Hilfe einer fremden Macht be¬
haupten kann, und der an demselben Tage, an dem der letzte Soldat der
Schutzmacht die heilige Stadt verläßt, durch einen einzigen Anstoß in Trüm¬
mer fallen würde.

Stellt man die römische Frage so, wie sie in der That gestellt werden
muß: Welche der drei Mächte, Oestreich, Frankreich, Italien, eignet sich am
meisten dazu, die Schutzmacht des Papstes zu sein? -- so kann die Antwort
kaum zweifelhaft erscheinen. Italien würde aus Rücksicht auf die übrige ka¬
tholische Welt zu der zartesten Behandlung seines Verhältnisses zu dem Ober¬
haupte der Kirche genöthigt sein. Italien ist ferner, wie Guizot dies, frei¬
lich ohne die richtigen Schlüsse daraus zu ziehen, selbst erörtert, seiner Na¬
tur nach aus eine Defensivstellung angewiesen. Abgesehen von seinem ge¬
fährlichen, und den europäischen Frieden in viel höherem Grade als die Ver¬
wickelungen der römischen Frage bedrohenden Streben "ach Lenetien, könnte
es nur noch daran denken, aus die Schweiz eine Pression auszuüben, eine
Gesahr, die mir nicht zu gering anschlagen, die aber den Satz unangetastet
läßt, daß das Papstthum unter Piemont's Schutz weniger in Gefahr ist. zu
politischen Diensten gezwungen zu werden, und befähigter, sich ganz der Lei¬
tung der Kirche hinzugeben, als unter "dem Drucke, den Oestreich und Frank¬
reich auf dasselbe auszuüben bemüht sind.

Werfen wir nun im Folgenden noch einen Blick auf die rein politische
Seite der italienischen Frage.

Guizot unterscheidet an der italienischen Bewegung eine berechtigte und
eine unberechtigte Seite. Berechtigt erscheint ihm der Wunsch der Italiener,
sich von der Fremdherrschaft zu befreien, unberechtigt das Streben nach po¬
litischer Einheit, sowohl weil dasselbe im Widersprüche mit dem Völkerrechte,
als auch mit der Natur der Dinge, den historisch-geographischen Verhältnissen
des Landes und dem Charakter -der Nation stehe.

Gewiß steht Alles, was seit-einer Reese von Jahren in Italien geschehen
ist, in schreienden Widerspruche mit den Bestimmungen des Völkerrechtes.
Die nachträgliche Bestätigung des Geschehenen durch die sogenannten allge¬
meinen Abstimmungen, weit entfernt, die vollendeten Thatsschen zu legalisiren,
drückt ihnen nur den Stempel eines Princips auf, welches bedenklicher und
compromittirender für die Sache der Italiener ist, als die Thatsachen selbst.
Wir fragen aber: War es etwa ein legitimes Verfahren, Oestreich die Lom¬
bardei zu entreißen, auf die dasselbe nicht schlechtere Ansprüche hatte, als die


Haupt der Kirche mit den übrigen souverainen als Macht zu Macht auf
diplomatischem Wege verhandeln kann. Wird ihm dies Recht in seiner geist¬
lichen Eigenschaft, unabhängig von seiner weltlichen Stellung, garantirt, so
kann die Freiheit seiner Stellung offenbar nur dadurch gewinnen, wenn er
einen Besitz aufgibt, den er nur durch die Hilfe einer fremden Macht be¬
haupten kann, und der an demselben Tage, an dem der letzte Soldat der
Schutzmacht die heilige Stadt verläßt, durch einen einzigen Anstoß in Trüm¬
mer fallen würde.

Stellt man die römische Frage so, wie sie in der That gestellt werden
muß: Welche der drei Mächte, Oestreich, Frankreich, Italien, eignet sich am
meisten dazu, die Schutzmacht des Papstes zu sein? — so kann die Antwort
kaum zweifelhaft erscheinen. Italien würde aus Rücksicht auf die übrige ka¬
tholische Welt zu der zartesten Behandlung seines Verhältnisses zu dem Ober¬
haupte der Kirche genöthigt sein. Italien ist ferner, wie Guizot dies, frei¬
lich ohne die richtigen Schlüsse daraus zu ziehen, selbst erörtert, seiner Na¬
tur nach aus eine Defensivstellung angewiesen. Abgesehen von seinem ge¬
fährlichen, und den europäischen Frieden in viel höherem Grade als die Ver¬
wickelungen der römischen Frage bedrohenden Streben »ach Lenetien, könnte
es nur noch daran denken, aus die Schweiz eine Pression auszuüben, eine
Gesahr, die mir nicht zu gering anschlagen, die aber den Satz unangetastet
läßt, daß das Papstthum unter Piemont's Schutz weniger in Gefahr ist. zu
politischen Diensten gezwungen zu werden, und befähigter, sich ganz der Lei¬
tung der Kirche hinzugeben, als unter »dem Drucke, den Oestreich und Frank¬
reich auf dasselbe auszuüben bemüht sind.

Werfen wir nun im Folgenden noch einen Blick auf die rein politische
Seite der italienischen Frage.

Guizot unterscheidet an der italienischen Bewegung eine berechtigte und
eine unberechtigte Seite. Berechtigt erscheint ihm der Wunsch der Italiener,
sich von der Fremdherrschaft zu befreien, unberechtigt das Streben nach po¬
litischer Einheit, sowohl weil dasselbe im Widersprüche mit dem Völkerrechte,
als auch mit der Natur der Dinge, den historisch-geographischen Verhältnissen
des Landes und dem Charakter -der Nation stehe.

Gewiß steht Alles, was seit-einer Reese von Jahren in Italien geschehen
ist, in schreienden Widerspruche mit den Bestimmungen des Völkerrechtes.
Die nachträgliche Bestätigung des Geschehenen durch die sogenannten allge¬
meinen Abstimmungen, weit entfernt, die vollendeten Thatsschen zu legalisiren,
drückt ihnen nur den Stempel eines Princips auf, welches bedenklicher und
compromittirender für die Sache der Italiener ist, als die Thatsachen selbst.
Wir fragen aber: War es etwa ein legitimes Verfahren, Oestreich die Lom¬
bardei zu entreißen, auf die dasselbe nicht schlechtere Ansprüche hatte, als die


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[0316] Haupt der Kirche mit den übrigen souverainen als Macht zu Macht auf diplomatischem Wege verhandeln kann. Wird ihm dies Recht in seiner geist¬ lichen Eigenschaft, unabhängig von seiner weltlichen Stellung, garantirt, so kann die Freiheit seiner Stellung offenbar nur dadurch gewinnen, wenn er einen Besitz aufgibt, den er nur durch die Hilfe einer fremden Macht be¬ haupten kann, und der an demselben Tage, an dem der letzte Soldat der Schutzmacht die heilige Stadt verläßt, durch einen einzigen Anstoß in Trüm¬ mer fallen würde. Stellt man die römische Frage so, wie sie in der That gestellt werden muß: Welche der drei Mächte, Oestreich, Frankreich, Italien, eignet sich am meisten dazu, die Schutzmacht des Papstes zu sein? — so kann die Antwort kaum zweifelhaft erscheinen. Italien würde aus Rücksicht auf die übrige ka¬ tholische Welt zu der zartesten Behandlung seines Verhältnisses zu dem Ober¬ haupte der Kirche genöthigt sein. Italien ist ferner, wie Guizot dies, frei¬ lich ohne die richtigen Schlüsse daraus zu ziehen, selbst erörtert, seiner Na¬ tur nach aus eine Defensivstellung angewiesen. Abgesehen von seinem ge¬ fährlichen, und den europäischen Frieden in viel höherem Grade als die Ver¬ wickelungen der römischen Frage bedrohenden Streben »ach Lenetien, könnte es nur noch daran denken, aus die Schweiz eine Pression auszuüben, eine Gesahr, die mir nicht zu gering anschlagen, die aber den Satz unangetastet läßt, daß das Papstthum unter Piemont's Schutz weniger in Gefahr ist. zu politischen Diensten gezwungen zu werden, und befähigter, sich ganz der Lei¬ tung der Kirche hinzugeben, als unter »dem Drucke, den Oestreich und Frank¬ reich auf dasselbe auszuüben bemüht sind. Werfen wir nun im Folgenden noch einen Blick auf die rein politische Seite der italienischen Frage. Guizot unterscheidet an der italienischen Bewegung eine berechtigte und eine unberechtigte Seite. Berechtigt erscheint ihm der Wunsch der Italiener, sich von der Fremdherrschaft zu befreien, unberechtigt das Streben nach po¬ litischer Einheit, sowohl weil dasselbe im Widersprüche mit dem Völkerrechte, als auch mit der Natur der Dinge, den historisch-geographischen Verhältnissen des Landes und dem Charakter -der Nation stehe. Gewiß steht Alles, was seit-einer Reese von Jahren in Italien geschehen ist, in schreienden Widerspruche mit den Bestimmungen des Völkerrechtes. Die nachträgliche Bestätigung des Geschehenen durch die sogenannten allge¬ meinen Abstimmungen, weit entfernt, die vollendeten Thatsschen zu legalisiren, drückt ihnen nur den Stempel eines Princips auf, welches bedenklicher und compromittirender für die Sache der Italiener ist, als die Thatsachen selbst. Wir fragen aber: War es etwa ein legitimes Verfahren, Oestreich die Lom¬ bardei zu entreißen, auf die dasselbe nicht schlechtere Ansprüche hatte, als die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_113241/316>, abgerufen am 23.07.2024.