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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band.

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Von den Vorlagen des Ministers des Innern betrifft die wichtigste die
ländliche Polizeiverwalrung in den sechs östlichen Provinzen. Der Grund¬
gedanke dieses Entwurfs geht dahin, die gutsherrliche Polizei, welche mit dem
Wegfall aller Grundlagen, worauf sie beruhte, ihre Wurzeln verloren hat.
aufzuheben und dagegen die Ausübung der Polizeigewalt auf dein Lande
als ein Ehrenamt solchen Männern zu übertragen, welche innerhalb ihres
Bezirkes sich der allgemeinen Achtung erfreuen und sich durch Gemeinsinn
auszeichnen. -- El" anderer Entwurf bezweckt die Ablösung des ganz unzeit¬
gemäß gewordenen Erbschulzeniustituts. -- Endlich ist noch zu erwähnen,
daß eine Vorlage des Justizministers, betreffend die Anklagebefugniß des Ver¬
letzten im Slrafverfqhren, die Tendenz hat, das bisherige Anklagemonopol
des Staaisanwalts zu beschränken.

Während durch alle diese Vorlagen unsere Aufmerksamkeit vorzugsweise
nach innen gerichtet war, hat uns Graf Rechberg ganz unerwartet durch
einen Faschingsscherz erfreut, nämlich durch die Veröffentlichung seiner De¬
pesche vom 5. Novbr. v. I., in welcher er seine Gedanken über das Bun-
desreformproject des Herrn v. Reuse entwickelt. Der Kern seiner Auslassung
geht dahin, daß Oestreich allenfalls ein Allemal mit Preußen im Präsidium
der Bundesversammlung zugestehen könne, aber nur unter der Bedingung,
daß Preußen ihm dagegen seinen ganzen Besitzstand garantire. Die Depesche
macht einen ähnlichen Eindruck, wie gewöhnlich die Allocutionen des Papstes.
Man hat die Empfindung, in eine ganz andere Welt oder in ein ganz an¬
deres Jahrhundert zu gerathen. Das Präsidium in der Bundesversammlung
ist ein völlig werthloses Ding. Graf Nechberg muß in einer heiteren Laune
gewesen sein, als er die Stellung des Bundestagspräsidenten mit der des
Präsidenten der Vereinigten Staaten von Nordamerika verglich. Der Bun-
destagspräsident hat weder ein Recht der Sanction der Bundesbeschlüsse, noch
ein Veto, noch irgend eine Art von executiver Gewalt, noch hat er irgend
eine Befugniß von politischer Bedeutung. Er hat nur die formelle Gcschäfts-
lcitung am Bunde. Kein Hahn würde danach krähen, wenn morgen das
Bundesprüsidium an Hessen-Homburg oder an Lückeburg überginge. Für
Preußen ist ein Allemal mit Oestreich keinen Heller werth. Und dieses ganz
werthlose Angebot soll ein Aequivalent sein für eine Garantie des gegen¬
wärtigen östreichischen Besitzstandes? Das soll der Preis sein, um welchen
wir uns in den bodenlosen Ruin der östreichischen Zustände mit verwickeln
? lassen!




Verantwortlicher Redacteur: Dr. Moritz Busch.
Verlag von F. L. Hcrbig. -- Druck von C, E. Elbert in Leipzig.

Von den Vorlagen des Ministers des Innern betrifft die wichtigste die
ländliche Polizeiverwalrung in den sechs östlichen Provinzen. Der Grund¬
gedanke dieses Entwurfs geht dahin, die gutsherrliche Polizei, welche mit dem
Wegfall aller Grundlagen, worauf sie beruhte, ihre Wurzeln verloren hat.
aufzuheben und dagegen die Ausübung der Polizeigewalt auf dein Lande
als ein Ehrenamt solchen Männern zu übertragen, welche innerhalb ihres
Bezirkes sich der allgemeinen Achtung erfreuen und sich durch Gemeinsinn
auszeichnen. — El» anderer Entwurf bezweckt die Ablösung des ganz unzeit¬
gemäß gewordenen Erbschulzeniustituts. — Endlich ist noch zu erwähnen,
daß eine Vorlage des Justizministers, betreffend die Anklagebefugniß des Ver¬
letzten im Slrafverfqhren, die Tendenz hat, das bisherige Anklagemonopol
des Staaisanwalts zu beschränken.

Während durch alle diese Vorlagen unsere Aufmerksamkeit vorzugsweise
nach innen gerichtet war, hat uns Graf Rechberg ganz unerwartet durch
einen Faschingsscherz erfreut, nämlich durch die Veröffentlichung seiner De¬
pesche vom 5. Novbr. v. I., in welcher er seine Gedanken über das Bun-
desreformproject des Herrn v. Reuse entwickelt. Der Kern seiner Auslassung
geht dahin, daß Oestreich allenfalls ein Allemal mit Preußen im Präsidium
der Bundesversammlung zugestehen könne, aber nur unter der Bedingung,
daß Preußen ihm dagegen seinen ganzen Besitzstand garantire. Die Depesche
macht einen ähnlichen Eindruck, wie gewöhnlich die Allocutionen des Papstes.
Man hat die Empfindung, in eine ganz andere Welt oder in ein ganz an¬
deres Jahrhundert zu gerathen. Das Präsidium in der Bundesversammlung
ist ein völlig werthloses Ding. Graf Nechberg muß in einer heiteren Laune
gewesen sein, als er die Stellung des Bundestagspräsidenten mit der des
Präsidenten der Vereinigten Staaten von Nordamerika verglich. Der Bun-
destagspräsident hat weder ein Recht der Sanction der Bundesbeschlüsse, noch
ein Veto, noch irgend eine Art von executiver Gewalt, noch hat er irgend
eine Befugniß von politischer Bedeutung. Er hat nur die formelle Gcschäfts-
lcitung am Bunde. Kein Hahn würde danach krähen, wenn morgen das
Bundesprüsidium an Hessen-Homburg oder an Lückeburg überginge. Für
Preußen ist ein Allemal mit Oestreich keinen Heller werth. Und dieses ganz
werthlose Angebot soll ein Aequivalent sein für eine Garantie des gegen¬
wärtigen östreichischen Besitzstandes? Das soll der Preis sein, um welchen
wir uns in den bodenlosen Ruin der östreichischen Zustände mit verwickeln
? lassen!




Verantwortlicher Redacteur: Dr. Moritz Busch.
Verlag von F. L. Hcrbig. — Druck von C, E. Elbert in Leipzig.
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[0248] Von den Vorlagen des Ministers des Innern betrifft die wichtigste die ländliche Polizeiverwalrung in den sechs östlichen Provinzen. Der Grund¬ gedanke dieses Entwurfs geht dahin, die gutsherrliche Polizei, welche mit dem Wegfall aller Grundlagen, worauf sie beruhte, ihre Wurzeln verloren hat. aufzuheben und dagegen die Ausübung der Polizeigewalt auf dein Lande als ein Ehrenamt solchen Männern zu übertragen, welche innerhalb ihres Bezirkes sich der allgemeinen Achtung erfreuen und sich durch Gemeinsinn auszeichnen. — El» anderer Entwurf bezweckt die Ablösung des ganz unzeit¬ gemäß gewordenen Erbschulzeniustituts. — Endlich ist noch zu erwähnen, daß eine Vorlage des Justizministers, betreffend die Anklagebefugniß des Ver¬ letzten im Slrafverfqhren, die Tendenz hat, das bisherige Anklagemonopol des Staaisanwalts zu beschränken. Während durch alle diese Vorlagen unsere Aufmerksamkeit vorzugsweise nach innen gerichtet war, hat uns Graf Rechberg ganz unerwartet durch einen Faschingsscherz erfreut, nämlich durch die Veröffentlichung seiner De¬ pesche vom 5. Novbr. v. I., in welcher er seine Gedanken über das Bun- desreformproject des Herrn v. Reuse entwickelt. Der Kern seiner Auslassung geht dahin, daß Oestreich allenfalls ein Allemal mit Preußen im Präsidium der Bundesversammlung zugestehen könne, aber nur unter der Bedingung, daß Preußen ihm dagegen seinen ganzen Besitzstand garantire. Die Depesche macht einen ähnlichen Eindruck, wie gewöhnlich die Allocutionen des Papstes. Man hat die Empfindung, in eine ganz andere Welt oder in ein ganz an¬ deres Jahrhundert zu gerathen. Das Präsidium in der Bundesversammlung ist ein völlig werthloses Ding. Graf Nechberg muß in einer heiteren Laune gewesen sein, als er die Stellung des Bundestagspräsidenten mit der des Präsidenten der Vereinigten Staaten von Nordamerika verglich. Der Bun- destagspräsident hat weder ein Recht der Sanction der Bundesbeschlüsse, noch ein Veto, noch irgend eine Art von executiver Gewalt, noch hat er irgend eine Befugniß von politischer Bedeutung. Er hat nur die formelle Gcschäfts- lcitung am Bunde. Kein Hahn würde danach krähen, wenn morgen das Bundesprüsidium an Hessen-Homburg oder an Lückeburg überginge. Für Preußen ist ein Allemal mit Oestreich keinen Heller werth. Und dieses ganz werthlose Angebot soll ein Aequivalent sein für eine Garantie des gegen¬ wärtigen östreichischen Besitzstandes? Das soll der Preis sein, um welchen wir uns in den bodenlosen Ruin der östreichischen Zustände mit verwickeln ? lassen! Verantwortlicher Redacteur: Dr. Moritz Busch. Verlag von F. L. Hcrbig. — Druck von C, E. Elbert in Leipzig.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_113241/248>, abgerufen am 26.06.2024.