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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band.

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Staaten der westlichen Hemisphäre. Die Bereinigten Staaten
mischen sich nicht in die politischen Streitigkeiten der Mächte Europas, legen
der Ausbreitung des Systems der heiligen Allianz in Europa kein Hinderniß
entgegen, sehen sich aber bedroht, wenn eine europäische Macht sich irgend¬
wie in die Geschicke einer der neucrstandcnen Republiken Amerikas mengt,
und werden namentlich auf keinen Fall zugebe", daß eine Co alitio n euro¬
päischer Mächte die freien Entschlüsse dieser Republiken zu beeinträchtigen un¬
ternimmt.

Später, als Amerika sich mehr zu fühlen begann, wurde diesen voll¬
kommen verständigen und gerechten Sätzen eine schärfere Fassung und eine
weitere Ausdehnung gegeben, und es wurden Stimmen laut, die jede weitere
Erwerbung europäischer Mächte auf amerikanischem Boden, jedes Vorgehen
derselben gegen eine amerikanische Regierung für nicht zu duldende Unbill er¬
klärten und zwar nicht sowohl, weil man darin eine Bedrohung der Gegenwart,
als weil man darin eine Beeinträchtigung der Zukunft Amerikas, d. h. der
Hoffnung sah, einmal Mexico und die mittelamerikanischen Staaten der Union
einzuverleiben und den ganzen westlichen Continent zu beherrschen.

Noch später war das Selbstgefühl Bieler sogar so weit gewachsen, daß sie
schon an die Möglichkeit einer Einmischung Amerikas in europäische Politik
zu glauben ansingen und mit Eiser für den Gedankeir Kossuths sprachen, die
Bereinigten Staaten sollten, sich zur Solidarität der Interessen aller
freien oder nach Freiheit strebenden Nationen bekennend, den Satz
"interverrttou lor uoQ-lo.tLivMtic>u"iii das Programm ihrer auswärtigen Po¬
litik aufnehmen, d. h. sich, zunächst auf diplomatischem Wege. verbitten, daß
bei einem Aufstand in Europa oder sonstwo, der Befreiung von despotischer
Gewalt bezwecke, eine fremde Macht (wie in Ungarn Nußland, in Italien
Oestreich) zu dessen Unterdrückung mitwirke. Die Sache drang damals (135 t)
nicht durch, doch hatte sie im Volke eine ziemlich starke Partei für sich, und
nicht undenkbar ist. daß im nächsten Jahrhundert die Monroe-Doctrin in
dieser erweiterten Gestalt von einem Präsidenten der Union adopiirt worden
wäre und in der Geschichte eine Rolle gespielt hätte. Inzwischen haben sich
die Vereinigten Staaten in veruneinigte Staaten verwandelt, und was sehen
Wir jetzt?

Wir sehen eine Koalition europäischer Mächte Flotten und Landtruppen
gegen den größten jener republikanischen Nachbarstaaten der Union in Be¬
wegung setzen, zunächst nur, um Genugthuung für erlittene Unbill zu neh¬
men und einen lässigen Schuldner mit Gewalt zur Erfüllung seiner Ver¬
pflichtungen zu nöthigen. Dann aber -- so sagt wenigstens das Gerücht von
Spanien, und wir dürfen im Hinblick auf die Unterstützung der klerikalen
Partei Mexicos durch diese Macht und auf die Wiedereinverleibung der Re-


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Staaten der westlichen Hemisphäre. Die Bereinigten Staaten
mischen sich nicht in die politischen Streitigkeiten der Mächte Europas, legen
der Ausbreitung des Systems der heiligen Allianz in Europa kein Hinderniß
entgegen, sehen sich aber bedroht, wenn eine europäische Macht sich irgend¬
wie in die Geschicke einer der neucrstandcnen Republiken Amerikas mengt,
und werden namentlich auf keinen Fall zugebe», daß eine Co alitio n euro¬
päischer Mächte die freien Entschlüsse dieser Republiken zu beeinträchtigen un¬
ternimmt.

Später, als Amerika sich mehr zu fühlen begann, wurde diesen voll¬
kommen verständigen und gerechten Sätzen eine schärfere Fassung und eine
weitere Ausdehnung gegeben, und es wurden Stimmen laut, die jede weitere
Erwerbung europäischer Mächte auf amerikanischem Boden, jedes Vorgehen
derselben gegen eine amerikanische Regierung für nicht zu duldende Unbill er¬
klärten und zwar nicht sowohl, weil man darin eine Bedrohung der Gegenwart,
als weil man darin eine Beeinträchtigung der Zukunft Amerikas, d. h. der
Hoffnung sah, einmal Mexico und die mittelamerikanischen Staaten der Union
einzuverleiben und den ganzen westlichen Continent zu beherrschen.

Noch später war das Selbstgefühl Bieler sogar so weit gewachsen, daß sie
schon an die Möglichkeit einer Einmischung Amerikas in europäische Politik
zu glauben ansingen und mit Eiser für den Gedankeir Kossuths sprachen, die
Bereinigten Staaten sollten, sich zur Solidarität der Interessen aller
freien oder nach Freiheit strebenden Nationen bekennend, den Satz
„interverrttou lor uoQ-lo.tLivMtic>u"iii das Programm ihrer auswärtigen Po¬
litik aufnehmen, d. h. sich, zunächst auf diplomatischem Wege. verbitten, daß
bei einem Aufstand in Europa oder sonstwo, der Befreiung von despotischer
Gewalt bezwecke, eine fremde Macht (wie in Ungarn Nußland, in Italien
Oestreich) zu dessen Unterdrückung mitwirke. Die Sache drang damals (135 t)
nicht durch, doch hatte sie im Volke eine ziemlich starke Partei für sich, und
nicht undenkbar ist. daß im nächsten Jahrhundert die Monroe-Doctrin in
dieser erweiterten Gestalt von einem Präsidenten der Union adopiirt worden
wäre und in der Geschichte eine Rolle gespielt hätte. Inzwischen haben sich
die Vereinigten Staaten in veruneinigte Staaten verwandelt, und was sehen
Wir jetzt?

Wir sehen eine Koalition europäischer Mächte Flotten und Landtruppen
gegen den größten jener republikanischen Nachbarstaaten der Union in Be¬
wegung setzen, zunächst nur, um Genugthuung für erlittene Unbill zu neh¬
men und einen lässigen Schuldner mit Gewalt zur Erfüllung seiner Ver¬
pflichtungen zu nöthigen. Dann aber — so sagt wenigstens das Gerücht von
Spanien, und wir dürfen im Hinblick auf die Unterstützung der klerikalen
Partei Mexicos durch diese Macht und auf die Wiedereinverleibung der Re-


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[0187] Staaten der westlichen Hemisphäre. Die Bereinigten Staaten mischen sich nicht in die politischen Streitigkeiten der Mächte Europas, legen der Ausbreitung des Systems der heiligen Allianz in Europa kein Hinderniß entgegen, sehen sich aber bedroht, wenn eine europäische Macht sich irgend¬ wie in die Geschicke einer der neucrstandcnen Republiken Amerikas mengt, und werden namentlich auf keinen Fall zugebe», daß eine Co alitio n euro¬ päischer Mächte die freien Entschlüsse dieser Republiken zu beeinträchtigen un¬ ternimmt. Später, als Amerika sich mehr zu fühlen begann, wurde diesen voll¬ kommen verständigen und gerechten Sätzen eine schärfere Fassung und eine weitere Ausdehnung gegeben, und es wurden Stimmen laut, die jede weitere Erwerbung europäischer Mächte auf amerikanischem Boden, jedes Vorgehen derselben gegen eine amerikanische Regierung für nicht zu duldende Unbill er¬ klärten und zwar nicht sowohl, weil man darin eine Bedrohung der Gegenwart, als weil man darin eine Beeinträchtigung der Zukunft Amerikas, d. h. der Hoffnung sah, einmal Mexico und die mittelamerikanischen Staaten der Union einzuverleiben und den ganzen westlichen Continent zu beherrschen. Noch später war das Selbstgefühl Bieler sogar so weit gewachsen, daß sie schon an die Möglichkeit einer Einmischung Amerikas in europäische Politik zu glauben ansingen und mit Eiser für den Gedankeir Kossuths sprachen, die Bereinigten Staaten sollten, sich zur Solidarität der Interessen aller freien oder nach Freiheit strebenden Nationen bekennend, den Satz „interverrttou lor uoQ-lo.tLivMtic>u"iii das Programm ihrer auswärtigen Po¬ litik aufnehmen, d. h. sich, zunächst auf diplomatischem Wege. verbitten, daß bei einem Aufstand in Europa oder sonstwo, der Befreiung von despotischer Gewalt bezwecke, eine fremde Macht (wie in Ungarn Nußland, in Italien Oestreich) zu dessen Unterdrückung mitwirke. Die Sache drang damals (135 t) nicht durch, doch hatte sie im Volke eine ziemlich starke Partei für sich, und nicht undenkbar ist. daß im nächsten Jahrhundert die Monroe-Doctrin in dieser erweiterten Gestalt von einem Präsidenten der Union adopiirt worden wäre und in der Geschichte eine Rolle gespielt hätte. Inzwischen haben sich die Vereinigten Staaten in veruneinigte Staaten verwandelt, und was sehen Wir jetzt? Wir sehen eine Koalition europäischer Mächte Flotten und Landtruppen gegen den größten jener republikanischen Nachbarstaaten der Union in Be¬ wegung setzen, zunächst nur, um Genugthuung für erlittene Unbill zu neh¬ men und einen lässigen Schuldner mit Gewalt zur Erfüllung seiner Ver¬ pflichtungen zu nöthigen. Dann aber — so sagt wenigstens das Gerücht von Spanien, und wir dürfen im Hinblick auf die Unterstützung der klerikalen Partei Mexicos durch diese Macht und auf die Wiedereinverleibung der Re- 23 *

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_113241/187>, abgerufen am 23.07.2024.