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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band.

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packt mit Sachen und Lebensmitteln. Alles war mit Flüchtlingen aus Stadt
und Land angefüllt. Mein Amtmann Lachmann war mit meiner Frau und
den Kindern, mit den Gespannen und Leuten nach Bromberg gekommen,
Kleist dagegen war auf seinem Hengst mit den Husaren geritten, bei denen
ein Onkel von ihm Major war. Meine Frau harte eine ziemlich geräumige
Wohnung gefunden und kochte in großen Töpfen für Alle, die mit uns thei-
len wollten. Daß wir nicht Delicatessen aßen, kann man sich denken, aber
wir gaben es gern, und es ward freudig angenommen. Unter den Flücht¬
lingen aus unserer Gegend war eine Menge armer Handwerkerfamilien, die
schon zu Hause nur für den nächsten Tag hatten und denen es hier an aller
Hilfe fehlte. Wir thaten was nöthig war, meine Frau unterstützte mich nach
Kräften. Die Bürgerschaft in Bromberg war alarmltt. jeden Augenblick er¬
wartete man den Microslawsky. Wiederum umarmte ich Weib und Kind,
ging dann zum Obersten und meldete mich, daß ich binnen ewer Stunde mit
20 braven Leuten zum Dienste bereit sein werde. Dann ging ich zurück, der
Jäger wischte meine Waffen ab, in einer Stunde waren viele meiner alten
Jungen von Se -- beisammen. Ich will nicht sagen, daß wir ein impo-
sant.es-Corps waren, aber wir standen unsern Mann, Jeder wußte, was er
von den Andern zu halten hatte. Um 10 Uhr Abends aber kamen bessere
Nachrichten, Hirschfeld hatte sich mit seinem Corps zwischen den Mieroslawsty
und Bromberg gestellt, bei Wreschen hatten die königlichen Truppen einen
glänzenden Sieg erfochten und hingen sich dem Microslawsky an die Fersen;
Hirschfeld beabsichtigte ihn nach Russisch-Polen zu werfen.

. Am Tage darauf mußte ich nach Inowraclaw zur Wahl. Ais ich dort
ankam, war Alles gestopft voll von Militär, es war die Hirschfeld'sche mobile
Colonne. im Gavzen 4000 Mann. Die Artillerie stand auf dem Kasernen¬
hof. Ich wollte einen Bekannten, Lieutenant Noack von der Artillerie, aus¬
suchen und trat an einen Bombardier, der neben den Kanonen stand. Ich
kam mit ihm ins Gespräch und er erzählte mir von Wreschen, von seinem
Lieutenant und von seiner Kanone. "Ja," sagte er, "gleich als wir auf¬
führen, schössen uns die Insurgenten einen Trompeter und ein Vovderpfcrd
todt; unser erster und zweiter Schuß traf nicht, da ritt der Herr Lieutenant
bis dicht an das feindliche Geschütz und sagte: ""Es sind so und so viel Ga¬
loppsprünge, also so und so viel Schritt, nehmen Sie mehr Aufsatz."" Der
nächste Schuß vou uns zerstörte das Geschütz, und schon beim dritten Schuß
rissen sie aus, und wir mit Paßkugeln schräg durch die Bataillone, sie fielen
immer auf Wagenspurbreite. Noch eine Attaque machte die Kavallerie der
Insurgenten, 17 blieben aus den ersten Schuß. Sieben Jahre habe ich das
Geschütz im Frieden bedient, und immer dachte ich, wenn es nur ein Mal
im Ernst probirt werden könnte. Ich habe immer viel von ihm gehalten.


packt mit Sachen und Lebensmitteln. Alles war mit Flüchtlingen aus Stadt
und Land angefüllt. Mein Amtmann Lachmann war mit meiner Frau und
den Kindern, mit den Gespannen und Leuten nach Bromberg gekommen,
Kleist dagegen war auf seinem Hengst mit den Husaren geritten, bei denen
ein Onkel von ihm Major war. Meine Frau harte eine ziemlich geräumige
Wohnung gefunden und kochte in großen Töpfen für Alle, die mit uns thei-
len wollten. Daß wir nicht Delicatessen aßen, kann man sich denken, aber
wir gaben es gern, und es ward freudig angenommen. Unter den Flücht¬
lingen aus unserer Gegend war eine Menge armer Handwerkerfamilien, die
schon zu Hause nur für den nächsten Tag hatten und denen es hier an aller
Hilfe fehlte. Wir thaten was nöthig war, meine Frau unterstützte mich nach
Kräften. Die Bürgerschaft in Bromberg war alarmltt. jeden Augenblick er¬
wartete man den Microslawsky. Wiederum umarmte ich Weib und Kind,
ging dann zum Obersten und meldete mich, daß ich binnen ewer Stunde mit
20 braven Leuten zum Dienste bereit sein werde. Dann ging ich zurück, der
Jäger wischte meine Waffen ab, in einer Stunde waren viele meiner alten
Jungen von Se — beisammen. Ich will nicht sagen, daß wir ein impo-
sant.es-Corps waren, aber wir standen unsern Mann, Jeder wußte, was er
von den Andern zu halten hatte. Um 10 Uhr Abends aber kamen bessere
Nachrichten, Hirschfeld hatte sich mit seinem Corps zwischen den Mieroslawsty
und Bromberg gestellt, bei Wreschen hatten die königlichen Truppen einen
glänzenden Sieg erfochten und hingen sich dem Microslawsky an die Fersen;
Hirschfeld beabsichtigte ihn nach Russisch-Polen zu werfen.

. Am Tage darauf mußte ich nach Inowraclaw zur Wahl. Ais ich dort
ankam, war Alles gestopft voll von Militär, es war die Hirschfeld'sche mobile
Colonne. im Gavzen 4000 Mann. Die Artillerie stand auf dem Kasernen¬
hof. Ich wollte einen Bekannten, Lieutenant Noack von der Artillerie, aus¬
suchen und trat an einen Bombardier, der neben den Kanonen stand. Ich
kam mit ihm ins Gespräch und er erzählte mir von Wreschen, von seinem
Lieutenant und von seiner Kanone. „Ja," sagte er, „gleich als wir auf¬
führen, schössen uns die Insurgenten einen Trompeter und ein Vovderpfcrd
todt; unser erster und zweiter Schuß traf nicht, da ritt der Herr Lieutenant
bis dicht an das feindliche Geschütz und sagte: „„Es sind so und so viel Ga¬
loppsprünge, also so und so viel Schritt, nehmen Sie mehr Aufsatz."" Der
nächste Schuß vou uns zerstörte das Geschütz, und schon beim dritten Schuß
rissen sie aus, und wir mit Paßkugeln schräg durch die Bataillone, sie fielen
immer auf Wagenspurbreite. Noch eine Attaque machte die Kavallerie der
Insurgenten, 17 blieben aus den ersten Schuß. Sieben Jahre habe ich das
Geschütz im Frieden bedient, und immer dachte ich, wenn es nur ein Mal
im Ernst probirt werden könnte. Ich habe immer viel von ihm gehalten.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_113241/183>, abgerufen am 28.12.2024.