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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band.

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auf 500 Schritt niedergeschossen wurden. Ein Bekannter, der mit seiner ganzen
Familie zu mir geflüchtet war, wurde am ersten Osterfeiertage von zwei Wagen
feindlicher Schuhen auf der Landstraße verfolgt, er läuft quer übers Feld, die
Doppelflinte in der Hand, und nahe an der Stadt, bevor er sich in einen
Graben niederlegen konnte, erhält er einen Schuß; es war nur Schrot und
auf ziemlich weite Entfernung; er wirft sich hin, und als die ersten Verfolger
ihm näher kommen, springt er auf und macht eine Doublette, einem in die Augen,
dem andern in den Hinterkopf, denn er ist ein vortrefflicher Schütze. Von
den andern feindlichen Schützen wurden einige durch die Kngeln des Militärs
noch auf weite Entfernung erreicht. Wie diese Wagen mit Polen, so kam am
ersten Feiertag noch viel polnischer Zuzug in die Nähe der Stadt, aber keiner
wagte mehr anzugreifen. Mein Jäger Koiabars, die Bürger Rohr, Krüger,
Zieher und Karst schlossen sich den Füsilieren an. denn solche Zeit macht wild.
Noch jetzt, wenn wir auf dem Scheibenstand schießen, hört man von diesem
Gefecht sprechen, wie von einer Hasenjagd.

Unterdeß war ich mit meiner Familie nach Bromberg geflüchtet, entblößt
von allen Mitteln, meine Frau bekam aus Schreck und Angst das Fieber,
die Kinder lagen bis auf die Haut durchnäßt ohne Kleider in den Betten,
ich selbst war ohne alle Mittel, und dazu wußte ich nicht, wie es zu Hause
abgelaufen war. Es war ein Zustand verbissener Wuth, ich empfand tief
den Schimpf, daß ich aus meinem Hause hatte flüchten müssen. Ihn wollte
ich im Blut der Insurgenten abwaschen; ich meldete mich bei dem General
v. Wedell zum activen Dienst; bei ihm erhielt ich die ersten Nachrichten von
dem Kampfe in Se --. Jetzt war für mich, kein Halt mehr. Ais ich das
Nöthigste für meine arme Frau besorgt hatte, brach ich wieder auf, es war
am zweiten Feiertage. Ja Inowraclaw gab mir Rittmeister Schleinitz sechs
Dragoner und einen Unterofficier mit. Wir sahen mehrere Haufen Insur¬
genten, erlebten aber nichts; noch auf dem Wege trafen wir einen Berne Hu¬
saren, der Unteroffizier strich sich den Bart und zeigte mir, seine blutige Sä¬
belklinge. Mit den Husaren kam ich auf dem Amte an, und jeder von ihnen
wußte von dem Gefecht zu erzählen. In der Stadt, auf dem Amte war
Alles mit Militnirpostcn besetzt, überall, an Zäunen, Mauern und auf den
Straßen hing noch das Blut, aus einem Nebengebäude an meinem Hofe
wurden am andern Tage noch Leichen getragen. Mein Haus war voll von
Offizieren, zum Theil alte Bekannte. Das wenigstens war mir eine Freude.
Die Soldaten hatten eine recht hübsche Musik zusammengebracht und tanzten
mit unsern polnischen Mädchen Polka, daß es sauste. Die Dirnen waren
ganz toll auf die schmucken Husaren. Jetzt aber ging es auch schnell ans
Gericht; denn ein Negicrungscommissair wurde erwartet, und ein Mann in
Frack und Brille erschien in diesen aufgeregten Stunden als ein schlechter


auf 500 Schritt niedergeschossen wurden. Ein Bekannter, der mit seiner ganzen
Familie zu mir geflüchtet war, wurde am ersten Osterfeiertage von zwei Wagen
feindlicher Schuhen auf der Landstraße verfolgt, er läuft quer übers Feld, die
Doppelflinte in der Hand, und nahe an der Stadt, bevor er sich in einen
Graben niederlegen konnte, erhält er einen Schuß; es war nur Schrot und
auf ziemlich weite Entfernung; er wirft sich hin, und als die ersten Verfolger
ihm näher kommen, springt er auf und macht eine Doublette, einem in die Augen,
dem andern in den Hinterkopf, denn er ist ein vortrefflicher Schütze. Von
den andern feindlichen Schützen wurden einige durch die Kngeln des Militärs
noch auf weite Entfernung erreicht. Wie diese Wagen mit Polen, so kam am
ersten Feiertag noch viel polnischer Zuzug in die Nähe der Stadt, aber keiner
wagte mehr anzugreifen. Mein Jäger Koiabars, die Bürger Rohr, Krüger,
Zieher und Karst schlossen sich den Füsilieren an. denn solche Zeit macht wild.
Noch jetzt, wenn wir auf dem Scheibenstand schießen, hört man von diesem
Gefecht sprechen, wie von einer Hasenjagd.

Unterdeß war ich mit meiner Familie nach Bromberg geflüchtet, entblößt
von allen Mitteln, meine Frau bekam aus Schreck und Angst das Fieber,
die Kinder lagen bis auf die Haut durchnäßt ohne Kleider in den Betten,
ich selbst war ohne alle Mittel, und dazu wußte ich nicht, wie es zu Hause
abgelaufen war. Es war ein Zustand verbissener Wuth, ich empfand tief
den Schimpf, daß ich aus meinem Hause hatte flüchten müssen. Ihn wollte
ich im Blut der Insurgenten abwaschen; ich meldete mich bei dem General
v. Wedell zum activen Dienst; bei ihm erhielt ich die ersten Nachrichten von
dem Kampfe in Se —. Jetzt war für mich, kein Halt mehr. Ais ich das
Nöthigste für meine arme Frau besorgt hatte, brach ich wieder auf, es war
am zweiten Feiertage. Ja Inowraclaw gab mir Rittmeister Schleinitz sechs
Dragoner und einen Unterofficier mit. Wir sahen mehrere Haufen Insur¬
genten, erlebten aber nichts; noch auf dem Wege trafen wir einen Berne Hu¬
saren, der Unteroffizier strich sich den Bart und zeigte mir, seine blutige Sä¬
belklinge. Mit den Husaren kam ich auf dem Amte an, und jeder von ihnen
wußte von dem Gefecht zu erzählen. In der Stadt, auf dem Amte war
Alles mit Militnirpostcn besetzt, überall, an Zäunen, Mauern und auf den
Straßen hing noch das Blut, aus einem Nebengebäude an meinem Hofe
wurden am andern Tage noch Leichen getragen. Mein Haus war voll von
Offizieren, zum Theil alte Bekannte. Das wenigstens war mir eine Freude.
Die Soldaten hatten eine recht hübsche Musik zusammengebracht und tanzten
mit unsern polnischen Mädchen Polka, daß es sauste. Die Dirnen waren
ganz toll auf die schmucken Husaren. Jetzt aber ging es auch schnell ans
Gericht; denn ein Negicrungscommissair wurde erwartet, und ein Mann in
Frack und Brille erschien in diesen aufgeregten Stunden als ein schlechter


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_113241/181>, abgerufen am 28.12.2024.