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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band.

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Er hatte ein Rappier wie einen Bratspieß an der Seite und zwei schlechte
Pistolen im Gürtel. "Aber mit diesen Instrumenten gegen russische Batterien
zu fechten, bist du denn verrückt geworden?" So schwatzte ich mit ihm, in¬
dem er sein Pferd am Zügel hielt. Wenige Augenblicke darauf kam der
zweite, der dritte, der vierte Pole hereingeritten, Mieroslawski saß wieder
auf seine Mähre auf, so jagten sie in die Stadt. Ich aber sagte ihnen beim
Abschiede: Ich merke, das ist der Ruf zum Aufruhr gegen Preußen; macht
eure Dummheiten, wo ihr wollt, verschont Ser--, wenn wir Freunde blei¬
ben sollen, hier gebe ich es nicht zu.*)

Am Abend des Tages war die ganze polnische Bevölkerung der Umge¬
gend unter Waffen, mit polnischen Cocarden und rothen Fahnen. Der Markt
der Stadt war voll Leute, viele Deutsche trugen die Cocarde aus Angst vor
Kopfschmerzen, ich habe mich nicht erniedrigt. Am nächsten Morgen ging
ich ohne Cocarde auf den Markt; ich war bereit, dem die Zähne einzuschla¬
gen, der mich insultirt hätte; ich sprach einige Worte zu Ehren unseres Kö¬
nigs und brachte ihm ein Hoch aus, Alles stimmte-ein. Kaum aber war
ich nach Hause gekommen, so hörte ich auch schon den Lärmen aus der
Stadt. Man hatte die preußischen Adler abgerissen und beschimpft. Jeder
Deutsche war voll Zorn und Schrecken, in mir kochte daS Blut. Da kamen
einige deutsche Bürger und meldeten mir: Jetzt ist' ausgerufen worden, alle
Deutsche sollen die Waffen aus die Hauptwache bringen, alle Ein- und Aus-
gange der Stadt sind besetzt.

Da schien es mir die höchste Zeit zu sein. Gewiß wären wir einzeln
in der Stadt überfallen und uns die Waffen abgenommen worden. Ich
schickte heimlich in die Stadt, die beherzter Deutschen sollten sich mit ihren
Büchsen sofort bei mir sammeln; meine Vorwerke ließ ich durch reitende Boten
benachrichtigen, ebenso wie die deutschen Bauergemeinden. Als die Boten ab¬
geritten waren, trat ich an meinen Wasfcnschrank, hing die Jagdtasche, um,
untersuchte uoch einmal die Pistolen, steckte den Nickfängcr zu mir und zog
von meiner Doppelflinte das Schrot und setzte ein Paar Kugeln in die Läuse.
Da kam meine Frau hereingestürzt, das Kleinste auf dem Arm. die andern
Kinder hingen weinend an den Kleidern. Sie warfen sich vor mir nieder,
die Kinder umfaßten mir die Knie und baten mich, von meinem Vorhaben
abzustehen. Es war ein trauriger Moment, ich küßte sie, bat sie, nicht auf
den Hof zu kommen, das Haus zu verriegeln, und empfahl sie dem Schutz
des allmächtigen Gottes. Noch einmal küßte ich jedes Kind, und dann mit
einem Sprunge zur Thür hinaus auf die Rampe. Mit starker Stimme rief
ich dreimal nach meinen Leuten, aus allen Thüren stürzten sie heraus, bald war



') Der Hof des großen Dominiums liegt dicht bei der Stadt.

Er hatte ein Rappier wie einen Bratspieß an der Seite und zwei schlechte
Pistolen im Gürtel. „Aber mit diesen Instrumenten gegen russische Batterien
zu fechten, bist du denn verrückt geworden?" So schwatzte ich mit ihm, in¬
dem er sein Pferd am Zügel hielt. Wenige Augenblicke darauf kam der
zweite, der dritte, der vierte Pole hereingeritten, Mieroslawski saß wieder
auf seine Mähre auf, so jagten sie in die Stadt. Ich aber sagte ihnen beim
Abschiede: Ich merke, das ist der Ruf zum Aufruhr gegen Preußen; macht
eure Dummheiten, wo ihr wollt, verschont Ser—, wenn wir Freunde blei¬
ben sollen, hier gebe ich es nicht zu.*)

Am Abend des Tages war die ganze polnische Bevölkerung der Umge¬
gend unter Waffen, mit polnischen Cocarden und rothen Fahnen. Der Markt
der Stadt war voll Leute, viele Deutsche trugen die Cocarde aus Angst vor
Kopfschmerzen, ich habe mich nicht erniedrigt. Am nächsten Morgen ging
ich ohne Cocarde auf den Markt; ich war bereit, dem die Zähne einzuschla¬
gen, der mich insultirt hätte; ich sprach einige Worte zu Ehren unseres Kö¬
nigs und brachte ihm ein Hoch aus, Alles stimmte-ein. Kaum aber war
ich nach Hause gekommen, so hörte ich auch schon den Lärmen aus der
Stadt. Man hatte die preußischen Adler abgerissen und beschimpft. Jeder
Deutsche war voll Zorn und Schrecken, in mir kochte daS Blut. Da kamen
einige deutsche Bürger und meldeten mir: Jetzt ist' ausgerufen worden, alle
Deutsche sollen die Waffen aus die Hauptwache bringen, alle Ein- und Aus-
gange der Stadt sind besetzt.

Da schien es mir die höchste Zeit zu sein. Gewiß wären wir einzeln
in der Stadt überfallen und uns die Waffen abgenommen worden. Ich
schickte heimlich in die Stadt, die beherzter Deutschen sollten sich mit ihren
Büchsen sofort bei mir sammeln; meine Vorwerke ließ ich durch reitende Boten
benachrichtigen, ebenso wie die deutschen Bauergemeinden. Als die Boten ab¬
geritten waren, trat ich an meinen Wasfcnschrank, hing die Jagdtasche, um,
untersuchte uoch einmal die Pistolen, steckte den Nickfängcr zu mir und zog
von meiner Doppelflinte das Schrot und setzte ein Paar Kugeln in die Läuse.
Da kam meine Frau hereingestürzt, das Kleinste auf dem Arm. die andern
Kinder hingen weinend an den Kleidern. Sie warfen sich vor mir nieder,
die Kinder umfaßten mir die Knie und baten mich, von meinem Vorhaben
abzustehen. Es war ein trauriger Moment, ich küßte sie, bat sie, nicht auf
den Hof zu kommen, das Haus zu verriegeln, und empfahl sie dem Schutz
des allmächtigen Gottes. Noch einmal küßte ich jedes Kind, und dann mit
einem Sprunge zur Thür hinaus auf die Rampe. Mit starker Stimme rief
ich dreimal nach meinen Leuten, aus allen Thüren stürzten sie heraus, bald war



') Der Hof des großen Dominiums liegt dicht bei der Stadt.
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[0170] Er hatte ein Rappier wie einen Bratspieß an der Seite und zwei schlechte Pistolen im Gürtel. „Aber mit diesen Instrumenten gegen russische Batterien zu fechten, bist du denn verrückt geworden?" So schwatzte ich mit ihm, in¬ dem er sein Pferd am Zügel hielt. Wenige Augenblicke darauf kam der zweite, der dritte, der vierte Pole hereingeritten, Mieroslawski saß wieder auf seine Mähre auf, so jagten sie in die Stadt. Ich aber sagte ihnen beim Abschiede: Ich merke, das ist der Ruf zum Aufruhr gegen Preußen; macht eure Dummheiten, wo ihr wollt, verschont Ser—, wenn wir Freunde blei¬ ben sollen, hier gebe ich es nicht zu.*) Am Abend des Tages war die ganze polnische Bevölkerung der Umge¬ gend unter Waffen, mit polnischen Cocarden und rothen Fahnen. Der Markt der Stadt war voll Leute, viele Deutsche trugen die Cocarde aus Angst vor Kopfschmerzen, ich habe mich nicht erniedrigt. Am nächsten Morgen ging ich ohne Cocarde auf den Markt; ich war bereit, dem die Zähne einzuschla¬ gen, der mich insultirt hätte; ich sprach einige Worte zu Ehren unseres Kö¬ nigs und brachte ihm ein Hoch aus, Alles stimmte-ein. Kaum aber war ich nach Hause gekommen, so hörte ich auch schon den Lärmen aus der Stadt. Man hatte die preußischen Adler abgerissen und beschimpft. Jeder Deutsche war voll Zorn und Schrecken, in mir kochte daS Blut. Da kamen einige deutsche Bürger und meldeten mir: Jetzt ist' ausgerufen worden, alle Deutsche sollen die Waffen aus die Hauptwache bringen, alle Ein- und Aus- gange der Stadt sind besetzt. Da schien es mir die höchste Zeit zu sein. Gewiß wären wir einzeln in der Stadt überfallen und uns die Waffen abgenommen worden. Ich schickte heimlich in die Stadt, die beherzter Deutschen sollten sich mit ihren Büchsen sofort bei mir sammeln; meine Vorwerke ließ ich durch reitende Boten benachrichtigen, ebenso wie die deutschen Bauergemeinden. Als die Boten ab¬ geritten waren, trat ich an meinen Wasfcnschrank, hing die Jagdtasche, um, untersuchte uoch einmal die Pistolen, steckte den Nickfängcr zu mir und zog von meiner Doppelflinte das Schrot und setzte ein Paar Kugeln in die Läuse. Da kam meine Frau hereingestürzt, das Kleinste auf dem Arm. die andern Kinder hingen weinend an den Kleidern. Sie warfen sich vor mir nieder, die Kinder umfaßten mir die Knie und baten mich, von meinem Vorhaben abzustehen. Es war ein trauriger Moment, ich küßte sie, bat sie, nicht auf den Hof zu kommen, das Haus zu verriegeln, und empfahl sie dem Schutz des allmächtigen Gottes. Noch einmal küßte ich jedes Kind, und dann mit einem Sprunge zur Thür hinaus auf die Rampe. Mit starker Stimme rief ich dreimal nach meinen Leuten, aus allen Thüren stürzten sie heraus, bald war ') Der Hof des großen Dominiums liegt dicht bei der Stadt.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_113241/170>, abgerufen am 23.07.2024.