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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band.

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Und wenn der Kaiser von Frankreich sich veranlaßt sehen sollte, die Kräfte >der
preußische" Regierung, Heer und Finanzen prüfend.zu wägen, so wird er Lei¬
nen Rechnungsfehler begehen, wenn er die Gescheitheit, Opferfähigkeit und
den stolz -des preußischen Volks als eine schwer abzuschätzende Größe betrach¬
tet, welche den besten Ealcul über den Hausen -werfen mag.

Der Deutsche ist dem Franzosen gegenüber seit Jahrhunderten in d^r
unbequemen Lage, auf der Defensive zu stehen. Die vielgotheitte Nation, mit
kräftigerem Gefüge des Geistes, aber geringerer Energie .des Momentes, gegen¬
über ejner an Land und Menschenzahl nicht umfangreichern, aber stark.concen-
tnrten, fest geschlossenen, durch eine große Hauptstadt und einen einheitlichen
Willen beherrschten. Nicht nur in der Politik, sondern eben so sehr in Literatur,
Kunst, socialen Fragen gibt es dem Deutschen keinen genaueren Gradmesser seiner
steigenden und sinkenden Kraft, als den französischen Einfluß. -Sobald.in -irgend
einem Gehler geistiger und materieller Interessen das eigene.Leben/Störungen
erfährt'.und die kräftige Produktion -gehemmt wird, steigt der .Einfluß der ent¬
sprechenden französischen Lebensäußerungen. Diese.eigenthümliche Einwirkung
ist überall und zu jeder Zeit sichtbar, von der Lectüre unserer Liechbibtiotheken.
-den Stücken unserer -Bühne un-d dem Interesse-an dem Pariser-Salon.bi.s
-zu.den Fnbrikwaaren und den Beziehungen der Staaten unter einander. Mir
Deutsche sind durchaus nicht ungerecht gegen die hohen Leistungen -franzö-
.stscher Wissenschaft und .die süchtige .rührige,,Kraft 'des französischen Volkes,
.aber für uns ist ein massenhaftes Eindringen irgend einer französischen Le-
bensfunction bis jetzt so ost schädlich , gewesen, und so viele.unserer größten
Fortschritte sind -durch Siege über eine zeitweilige französische Einwilkung.bezeichnst.
daß w>r seit zwe'hundert Jahren, seit wir un.s aus einem Chaos von Blut und
Verderben heraufgearbeitet haben, gewöhnt sind, Alles, was uns von Paris
aus geboten wird, sobald sich ihm unsere Tagesstimmung .mit .gewohnter
Empfänglichkeit hingibt, mißtrauisch zu betrachten.

Schon aus diesem Grunde ist, ganz abgesehen von-der unruhigen, ver¬
suchenden Politik des Kaisers, das erwachende, nationale.Leben .der-,Deut.sah,en
sich seines Gegensatzes zu der französischen Politik wohl bewußt, .und, nicht >dör
Kaiser allein, jede kräftige Regierung -Frankreichs wird Mühe haben, den
Argwohn der deutschen Nation gegen ihre Pläne-zu beschwichtigen.

Es ist natürlich, daß dieser Gegensatz von den-Preußen am lebhaftesten
- empfunden wird, weil bei> ihnen das politische Selbstgefühl verhältnißmäßig
am meisten ausgebildet "se. W>r sind keine Gegner>des Kaisers, wir lieben ihn nicht,
wir hassen ihn auch nicht; wir sind geneigt, seinen-klugen Sinn mit-Achtung zu
betrachten, wir sind ebenfalls geneigt, seinemnufregenden,Egoismus zu.mißtrauen.
Er vermag schwerlich unsere Zuneigung für sich zu.gewinnen,, er vermag, schwer¬
lich unsere Furcht zu erregen. Er ist uns aber sehr-lehrreich geworden.




Und wenn der Kaiser von Frankreich sich veranlaßt sehen sollte, die Kräfte >der
preußische» Regierung, Heer und Finanzen prüfend.zu wägen, so wird er Lei¬
nen Rechnungsfehler begehen, wenn er die Gescheitheit, Opferfähigkeit und
den stolz -des preußischen Volks als eine schwer abzuschätzende Größe betrach¬
tet, welche den besten Ealcul über den Hausen -werfen mag.

Der Deutsche ist dem Franzosen gegenüber seit Jahrhunderten in d^r
unbequemen Lage, auf der Defensive zu stehen. Die vielgotheitte Nation, mit
kräftigerem Gefüge des Geistes, aber geringerer Energie .des Momentes, gegen¬
über ejner an Land und Menschenzahl nicht umfangreichern, aber stark.concen-
tnrten, fest geschlossenen, durch eine große Hauptstadt und einen einheitlichen
Willen beherrschten. Nicht nur in der Politik, sondern eben so sehr in Literatur,
Kunst, socialen Fragen gibt es dem Deutschen keinen genaueren Gradmesser seiner
steigenden und sinkenden Kraft, als den französischen Einfluß. -Sobald.in -irgend
einem Gehler geistiger und materieller Interessen das eigene.Leben/Störungen
erfährt'.und die kräftige Produktion -gehemmt wird, steigt der .Einfluß der ent¬
sprechenden französischen Lebensäußerungen. Diese.eigenthümliche Einwirkung
ist überall und zu jeder Zeit sichtbar, von der Lectüre unserer Liechbibtiotheken.
-den Stücken unserer -Bühne un-d dem Interesse-an dem Pariser-Salon.bi.s
-zu.den Fnbrikwaaren und den Beziehungen der Staaten unter einander. Mir
Deutsche sind durchaus nicht ungerecht gegen die hohen Leistungen -franzö-
.stscher Wissenschaft und .die süchtige .rührige,,Kraft 'des französischen Volkes,
.aber für uns ist ein massenhaftes Eindringen irgend einer französischen Le-
bensfunction bis jetzt so ost schädlich , gewesen, und so viele.unserer größten
Fortschritte sind -durch Siege über eine zeitweilige französische Einwilkung.bezeichnst.
daß w>r seit zwe'hundert Jahren, seit wir un.s aus einem Chaos von Blut und
Verderben heraufgearbeitet haben, gewöhnt sind, Alles, was uns von Paris
aus geboten wird, sobald sich ihm unsere Tagesstimmung .mit .gewohnter
Empfänglichkeit hingibt, mißtrauisch zu betrachten.

Schon aus diesem Grunde ist, ganz abgesehen von-der unruhigen, ver¬
suchenden Politik des Kaisers, das erwachende, nationale.Leben .der-,Deut.sah,en
sich seines Gegensatzes zu der französischen Politik wohl bewußt, .und, nicht >dör
Kaiser allein, jede kräftige Regierung -Frankreichs wird Mühe haben, den
Argwohn der deutschen Nation gegen ihre Pläne-zu beschwichtigen.

Es ist natürlich, daß dieser Gegensatz von den-Preußen am lebhaftesten
- empfunden wird, weil bei> ihnen das politische Selbstgefühl verhältnißmäßig
am meisten ausgebildet »se. W>r sind keine Gegner>des Kaisers, wir lieben ihn nicht,
wir hassen ihn auch nicht; wir sind geneigt, seinen-klugen Sinn mit-Achtung zu
betrachten, wir sind ebenfalls geneigt, seinemnufregenden,Egoismus zu.mißtrauen.
Er vermag schwerlich unsere Zuneigung für sich zu.gewinnen,, er vermag, schwer¬
lich unsere Furcht zu erregen. Er ist uns aber sehr-lehrreich geworden.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_113241/14>, abgerufen am 23.07.2024.