Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band.Aufgabe konnte Ingres seine ganze Kraft bewähren, und um die Verherrlichung Nicht ganz so glücklich ist die Komposition, und >n ihr zeigt sich die Aufgabe konnte Ingres seine ganze Kraft bewähren, und um die Verherrlichung Nicht ganz so glücklich ist die Komposition, und >n ihr zeigt sich die <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0081" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/112589"/> <p xml:id="ID_207" prev="#ID_206"> Aufgabe konnte Ingres seine ganze Kraft bewähren, und um die Verherrlichung<lb/> des Dichters durch die Verehrung der Männer aller Zeiten darzustellen, die<lb/> auf den Gebieten des geistigen Lebens die bahnbrechenden Anführer gewesen,<lb/> brauchte er nicht in eine bestimmte Periode zurückzugehen; vielmehr wurde<lb/> die ganze Vergangenheit zur lebendigen Gegenwart, welche die freischaffende<lb/> Phantasie ganz aus sich zu bilden hatte. In den hohen Gestalten ließ sich<lb/> mit dem individuellen Gepräge des Charakters eine stylvolle Form verbinden,<lb/> in der Anordnung der selige Friede einer idealen, über die Noth der Wirklich¬<lb/> keit erhobenen Beziehung sich ausdrücken. Der alte blinde Homer, ganz in<lb/> der Bedingtheit des realen Daseins und doch in ruhiger Größe aufgefaßt,<lb/> sitzt vor einem jonischen Tempel: eine freischwebende Victoria krönt ihn. zu<lb/> seinen Füßen ruhen die Jliade und die Odyssee als ewig schöne Gestalten.<lb/> Hinter ihm Orpheus, Linus und Musäus; auf der einen Seite Herodot und<lb/> d>e griechischen Tragiker, Demosthenes, Apelles mit Raphael — es ist für<lb/> JngrcS bezeichnend, daß jener diesen an der Hand herbeiführt, — Älclbmdes<lb/> mit Sappho, dann die römischen Dichter mit Dante, Lycurg und Pisistratus.<lb/> als Sammler der homerischen Gedichte, vorn auf dem tieferen Plane Tasso.<lb/> Shakspeare, Lafontaine. Mozart, Corneille und Poussaint. Auf der anderen<lb/> Seite Pindar voran mit der Lyra,- A»akrco», Plato und Sokrates. Phidias<lb/> mit dem Meißel. Perikles im Helm Aristoteles, Michel Angelo und Alexander;<lb/> wieder vorn und tiefer stehend Gluck und Camoens. Longin und Boileau,<lb/> Fenelon, Racine und Moliöre. Es ließe sich über diese Zusammenstellung von<lb/> großen Männern mit dem Künstler rechten: aber es zeigt sich doch in ihr die<lb/> Weite und Größe der Auffassung, die von ihrem idealen Standpunkte aus<lb/> auch die Vertreter der romantischen Poesie als Fortbilder der geistigen Ent¬<lb/> wicklung begreift. Von einem würdevollen Leben ruhig bewegt, wenden sich<lb/> die schöngebildetcn Gestalten dem greisen Sänger in mannigfaltiger Weise zu;<lb/> unbekümmert um den Beschauer ruhen sie fest und einfach auf sich, nur die<lb/> Franzosen des 17. Jahrhunderts sehen — wie denn das ganz recht ist — an¬<lb/> spruchsvoll aus dem Rahmen heraus. Dem Allegorischen der Darstellung hal¬<lb/> ten die lebendig charakterisirten Figuren glücklich das Gleichgewicht, Körper<lb/> und Gewandung sind mit großer Meisterschaft behandelt, selbst die idealen Ge¬<lb/> stalten der Ilias und der Odyssee haben eine gewisse natürliche Schönheit der<lb/> Form und Haltung.</p><lb/> <p xml:id="ID_208" next="#ID_209"> Nicht ganz so glücklich ist die Komposition, und >n ihr zeigt sich die<lb/> Achillesferse des Künstlers. Von einer durch tiefere Bezüge sich bildenden<lb/> Gruppirung ist keine Rede: in den Stellungen ziemlich gleichförmig dränge»<lb/> sich die großen Männer mehr um Homer, als sie ihn würdevoll umgeben,<lb/> und durch die Häufung der Figuren entsteht der Eindruck einer hastige» und<lb/> verworrenen Menge. Zwischen dieser ist die geflügelte Victoria wie hinein-</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0081]
Aufgabe konnte Ingres seine ganze Kraft bewähren, und um die Verherrlichung
des Dichters durch die Verehrung der Männer aller Zeiten darzustellen, die
auf den Gebieten des geistigen Lebens die bahnbrechenden Anführer gewesen,
brauchte er nicht in eine bestimmte Periode zurückzugehen; vielmehr wurde
die ganze Vergangenheit zur lebendigen Gegenwart, welche die freischaffende
Phantasie ganz aus sich zu bilden hatte. In den hohen Gestalten ließ sich
mit dem individuellen Gepräge des Charakters eine stylvolle Form verbinden,
in der Anordnung der selige Friede einer idealen, über die Noth der Wirklich¬
keit erhobenen Beziehung sich ausdrücken. Der alte blinde Homer, ganz in
der Bedingtheit des realen Daseins und doch in ruhiger Größe aufgefaßt,
sitzt vor einem jonischen Tempel: eine freischwebende Victoria krönt ihn. zu
seinen Füßen ruhen die Jliade und die Odyssee als ewig schöne Gestalten.
Hinter ihm Orpheus, Linus und Musäus; auf der einen Seite Herodot und
d>e griechischen Tragiker, Demosthenes, Apelles mit Raphael — es ist für
JngrcS bezeichnend, daß jener diesen an der Hand herbeiführt, — Älclbmdes
mit Sappho, dann die römischen Dichter mit Dante, Lycurg und Pisistratus.
als Sammler der homerischen Gedichte, vorn auf dem tieferen Plane Tasso.
Shakspeare, Lafontaine. Mozart, Corneille und Poussaint. Auf der anderen
Seite Pindar voran mit der Lyra,- A»akrco», Plato und Sokrates. Phidias
mit dem Meißel. Perikles im Helm Aristoteles, Michel Angelo und Alexander;
wieder vorn und tiefer stehend Gluck und Camoens. Longin und Boileau,
Fenelon, Racine und Moliöre. Es ließe sich über diese Zusammenstellung von
großen Männern mit dem Künstler rechten: aber es zeigt sich doch in ihr die
Weite und Größe der Auffassung, die von ihrem idealen Standpunkte aus
auch die Vertreter der romantischen Poesie als Fortbilder der geistigen Ent¬
wicklung begreift. Von einem würdevollen Leben ruhig bewegt, wenden sich
die schöngebildetcn Gestalten dem greisen Sänger in mannigfaltiger Weise zu;
unbekümmert um den Beschauer ruhen sie fest und einfach auf sich, nur die
Franzosen des 17. Jahrhunderts sehen — wie denn das ganz recht ist — an¬
spruchsvoll aus dem Rahmen heraus. Dem Allegorischen der Darstellung hal¬
ten die lebendig charakterisirten Figuren glücklich das Gleichgewicht, Körper
und Gewandung sind mit großer Meisterschaft behandelt, selbst die idealen Ge¬
stalten der Ilias und der Odyssee haben eine gewisse natürliche Schönheit der
Form und Haltung.
Nicht ganz so glücklich ist die Komposition, und >n ihr zeigt sich die
Achillesferse des Künstlers. Von einer durch tiefere Bezüge sich bildenden
Gruppirung ist keine Rede: in den Stellungen ziemlich gleichförmig dränge»
sich die großen Männer mehr um Homer, als sie ihn würdevoll umgeben,
und durch die Häufung der Figuren entsteht der Eindruck einer hastige» und
verworrenen Menge. Zwischen dieser ist die geflügelte Victoria wie hinein-
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