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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band.

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Ständen von 1831 nicht nur ganz gut regieren, sondern es kamen auch
treffliche Gesetze zu Stande, ein Gemeindegesetz, Ablösung der Frohn-
den, der Feudallasten, der Zehnten, sogar ein Preßgesetz ohne vorbeu¬
gende Censur! Die Verfassung von 1813 wurde von den Flecken der zwan¬
ziger Jahre gesäubert und in ihrer ursprünglichen Reinheit wieder hergestellt.
Die liberale Kanuner bewilligte ein weit höheres Militär-Budget als ihre
Vorgängerin von 1821, aber sie brachte dafür auch Besseres mit nach
Hause.

Was 1831 begonnen war, wurde zum Theil erst 1833 vollendet; !inzwischen
erhob sich abermals die Reaction, diesmal nicht von der Regierung, sondern
vom Bundestage. Er vernichtete das Preßgesetz, erhörte die Klagen der
Standes- und Grundherrn gegen die Ablösungen, schüchterte den Regenten
ein, kostete dem guten Minister Winter das Leben, und brachte das reactio-
näre Ministerium Blittersdorff an das Nuder. Die Fehde zwischen diesem
Minister und den Ständen entbrannte und zog sich auch nach seinem Rücktritte
hin bis 1846. Zweimal griff die Regierung zu dem Mittel der Kammer¬
auslösung, beide Male bekam es ihr schlecht. Die Neuwahlen verstärkten
1842 und 1846 die linke Seite des Hauses, obgleich bei dem Wahlkampfe
von 1846 die Regierung sogar mit den Ultramontanen sich verbündet hatte!
Schon 1843 war der fünfundzwanzigste Jahrestag der Verfassung mit einer
Theilnahme und Begeisterung gefeiert worden, welche keine Zweifel ließ, daß
das Volk entschlossen sei, diese Errungenschaft festzuhalten.

Blittersdorff war abgetreten; es folgte das milde Ministerium Bekk. das
schwere Jahr 1848, in welchem d,e Kummer fest zur Regierung stand. Keine con-
stituirende Versammlung, keine Verfassungsrevision wurde zugelassen. Der Aufstand
von 1849 stürzte nicht nur die Negierung, sondern vertrieb auch die Kammern.
Preußische und Reichstruppen stellten beide wieder her. Bald darauf gelangte,
in jugendlichem Alter, Großherzog Friedrich zur Negierung. Gleichzeitig er¬
hoben in der oberrheinischen Kirchenprovinz die Bischöfe den Streit gegen die
Landesherren über die Stellung und die Rechte der katholischen Kirche im
Staate. Das damalige Ministerium bestieg anfänglich das hohe Roß der
politisch-polizeilichen Staatsraison, siel bald herunter auf den Boden der
Scene von Olmütz, auf welchem es die regierungstreuen Geistlichen dem Erz-
bischofe zur Bestrafung auslieferte, verhandelte Jahre lang mit Rom über
einen Vertrag (Concordate schließt Rom nur mit katholischen Fürsten), dessen
Inhalt die Dynastie wie das Volk , gleichmäßig erschreckte. Der Kirchenstreit
hatte für Baden das Gute, daß er die erschlafften Gemüther wieder zur
Theilnahme an öffentlichen Dingen anregte. Man wendete sich an die Kam-
mern. Diese lieferten zunächst dem Ministerium tüchtige Kräfte, Lamey und
Stahel an die Stelle der früheren Mittelmäßigkeiten, und dann die nöthige


Ständen von 1831 nicht nur ganz gut regieren, sondern es kamen auch
treffliche Gesetze zu Stande, ein Gemeindegesetz, Ablösung der Frohn-
den, der Feudallasten, der Zehnten, sogar ein Preßgesetz ohne vorbeu¬
gende Censur! Die Verfassung von 1813 wurde von den Flecken der zwan¬
ziger Jahre gesäubert und in ihrer ursprünglichen Reinheit wieder hergestellt.
Die liberale Kanuner bewilligte ein weit höheres Militär-Budget als ihre
Vorgängerin von 1821, aber sie brachte dafür auch Besseres mit nach
Hause.

Was 1831 begonnen war, wurde zum Theil erst 1833 vollendet; !inzwischen
erhob sich abermals die Reaction, diesmal nicht von der Regierung, sondern
vom Bundestage. Er vernichtete das Preßgesetz, erhörte die Klagen der
Standes- und Grundherrn gegen die Ablösungen, schüchterte den Regenten
ein, kostete dem guten Minister Winter das Leben, und brachte das reactio-
näre Ministerium Blittersdorff an das Nuder. Die Fehde zwischen diesem
Minister und den Ständen entbrannte und zog sich auch nach seinem Rücktritte
hin bis 1846. Zweimal griff die Regierung zu dem Mittel der Kammer¬
auslösung, beide Male bekam es ihr schlecht. Die Neuwahlen verstärkten
1842 und 1846 die linke Seite des Hauses, obgleich bei dem Wahlkampfe
von 1846 die Regierung sogar mit den Ultramontanen sich verbündet hatte!
Schon 1843 war der fünfundzwanzigste Jahrestag der Verfassung mit einer
Theilnahme und Begeisterung gefeiert worden, welche keine Zweifel ließ, daß
das Volk entschlossen sei, diese Errungenschaft festzuhalten.

Blittersdorff war abgetreten; es folgte das milde Ministerium Bekk. das
schwere Jahr 1848, in welchem d,e Kummer fest zur Regierung stand. Keine con-
stituirende Versammlung, keine Verfassungsrevision wurde zugelassen. Der Aufstand
von 1849 stürzte nicht nur die Negierung, sondern vertrieb auch die Kammern.
Preußische und Reichstruppen stellten beide wieder her. Bald darauf gelangte,
in jugendlichem Alter, Großherzog Friedrich zur Negierung. Gleichzeitig er¬
hoben in der oberrheinischen Kirchenprovinz die Bischöfe den Streit gegen die
Landesherren über die Stellung und die Rechte der katholischen Kirche im
Staate. Das damalige Ministerium bestieg anfänglich das hohe Roß der
politisch-polizeilichen Staatsraison, siel bald herunter auf den Boden der
Scene von Olmütz, auf welchem es die regierungstreuen Geistlichen dem Erz-
bischofe zur Bestrafung auslieferte, verhandelte Jahre lang mit Rom über
einen Vertrag (Concordate schließt Rom nur mit katholischen Fürsten), dessen
Inhalt die Dynastie wie das Volk , gleichmäßig erschreckte. Der Kirchenstreit
hatte für Baden das Gute, daß er die erschlafften Gemüther wieder zur
Theilnahme an öffentlichen Dingen anregte. Man wendete sich an die Kam-
mern. Diese lieferten zunächst dem Ministerium tüchtige Kräfte, Lamey und
Stahel an die Stelle der früheren Mittelmäßigkeiten, und dann die nöthige


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[0512] Ständen von 1831 nicht nur ganz gut regieren, sondern es kamen auch treffliche Gesetze zu Stande, ein Gemeindegesetz, Ablösung der Frohn- den, der Feudallasten, der Zehnten, sogar ein Preßgesetz ohne vorbeu¬ gende Censur! Die Verfassung von 1813 wurde von den Flecken der zwan¬ ziger Jahre gesäubert und in ihrer ursprünglichen Reinheit wieder hergestellt. Die liberale Kanuner bewilligte ein weit höheres Militär-Budget als ihre Vorgängerin von 1821, aber sie brachte dafür auch Besseres mit nach Hause. Was 1831 begonnen war, wurde zum Theil erst 1833 vollendet; !inzwischen erhob sich abermals die Reaction, diesmal nicht von der Regierung, sondern vom Bundestage. Er vernichtete das Preßgesetz, erhörte die Klagen der Standes- und Grundherrn gegen die Ablösungen, schüchterte den Regenten ein, kostete dem guten Minister Winter das Leben, und brachte das reactio- näre Ministerium Blittersdorff an das Nuder. Die Fehde zwischen diesem Minister und den Ständen entbrannte und zog sich auch nach seinem Rücktritte hin bis 1846. Zweimal griff die Regierung zu dem Mittel der Kammer¬ auslösung, beide Male bekam es ihr schlecht. Die Neuwahlen verstärkten 1842 und 1846 die linke Seite des Hauses, obgleich bei dem Wahlkampfe von 1846 die Regierung sogar mit den Ultramontanen sich verbündet hatte! Schon 1843 war der fünfundzwanzigste Jahrestag der Verfassung mit einer Theilnahme und Begeisterung gefeiert worden, welche keine Zweifel ließ, daß das Volk entschlossen sei, diese Errungenschaft festzuhalten. Blittersdorff war abgetreten; es folgte das milde Ministerium Bekk. das schwere Jahr 1848, in welchem d,e Kummer fest zur Regierung stand. Keine con- stituirende Versammlung, keine Verfassungsrevision wurde zugelassen. Der Aufstand von 1849 stürzte nicht nur die Negierung, sondern vertrieb auch die Kammern. Preußische und Reichstruppen stellten beide wieder her. Bald darauf gelangte, in jugendlichem Alter, Großherzog Friedrich zur Negierung. Gleichzeitig er¬ hoben in der oberrheinischen Kirchenprovinz die Bischöfe den Streit gegen die Landesherren über die Stellung und die Rechte der katholischen Kirche im Staate. Das damalige Ministerium bestieg anfänglich das hohe Roß der politisch-polizeilichen Staatsraison, siel bald herunter auf den Boden der Scene von Olmütz, auf welchem es die regierungstreuen Geistlichen dem Erz- bischofe zur Bestrafung auslieferte, verhandelte Jahre lang mit Rom über einen Vertrag (Concordate schließt Rom nur mit katholischen Fürsten), dessen Inhalt die Dynastie wie das Volk , gleichmäßig erschreckte. Der Kirchenstreit hatte für Baden das Gute, daß er die erschlafften Gemüther wieder zur Theilnahme an öffentlichen Dingen anregte. Man wendete sich an die Kam- mern. Diese lieferten zunächst dem Ministerium tüchtige Kräfte, Lamey und Stahel an die Stelle der früheren Mittelmäßigkeiten, und dann die nöthige

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_112507/512>, abgerufen am 27.12.2024.