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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band.

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Heerstraße vermeidend, kam ich auf Feldwegen, wie mir befohlen war, spat in
Stendal wieder an. Als ich dem Rittmeister v, Aschenbach Rapport erstattete
und ihm bemerklich machte, daß mein Pferd von der unglaublichen An¬
strengung eines Rittes von dreizehn bis vierzehn Meilen ganzlich ermüdet sei und
eine Beule unter dem Sattel davongetragen habe, so daß ich zur Erholung
des Pferdes um einige Tage Ruhe bitten müsse, erwiederte er barsch: "Was
Ruhe, was Rast? wollen Sie den bevorstehenden Zug des Corps nicht mit¬
machen, so mögen Sie nach Sandau zurückreiten." Dies lehnte ich entschieden
ab und bat, daß er mir eins der erbeuteten Pferde -- er hatte deren mehrere
erhalten -- zur Disposition stellen möchte, damit ein so braves Pferd wie
mein Ukräuer dem Corps erhalten werde; ich war der Meinung, es könne im
Depot verpflegt werden.-

Die harte Entgegnung war: "Wird Ihr Pferd auf dem Marsche wegen
Satteldruckes unbrauchbar, fo müssen Sie zu Fuß nebenher laufen." Ich
schwieg und grollte, sattelte aber folgenden Tages mit blutendem Herzen
meinen Ukräner. v. Holleben tröstete mich, meinte aber, ich müsse mich fügen;
wolle ich mich beschweren bei Lützom, so würde dies zu Nichts führen.

Wenn ich mich nicht irre, so brachen wir -- vier Escadronen Lützower
und fünfzig Kosaken -- am 28. Mai 1813 von Stendal auf und schlugen
den Weg durch den Letzlinger Forst über Calvörde, Erxleben und Kroppcnstedt
ein. Halberstadt rechts liegen lassend, kamen wir über Hettstedt und Lenbach
am 31. Mai nach Eisleben.

Hier mußte ich meinen armen Ukräner, dessen Satteldruckmunde brandig
zu werden drohte, gegen ein schlechtes Pferd vertauschen.

Von Eisleben gelangten wir in's Weimarische, überschritten die Ilm bei
Osmanstedt und die Saale bei Rodenstein und zogen über Roda nach Neu¬
stadt a. d. Orla, wo wir am 4. Juni 1813 eintrafen. Hier erhielten diejenigen
von uns, welche keine Mäntel hatten, Tuch zu Mänteln geliefert. Auch mir
wurde reichlich Tuch zum Mantel zugemessen, allein der spitzbübische Schneider
wußte es so einzurichten, daß der Mantel zum Mäntelchen wurde. Doch
leistete mir der Lappen beim späteren Ueberfall einen wesentlichen Dienst, in¬
dem er eine Menge Hiebe und Stiche, die meinem Leibe galten, in sich aufnahm.

Der Nachtmarsch von Neustadt a. d. Orla bis Grebe wird mir unverge߬
lich bleiben. In stockfinstrer Nacht mußten wir auf einem Fußpfade an steilen,
waldigen Abhängen hin. von wo aus wir die feindlichen Wachtfeuer im
Thale unter uns leuchten sahen, abgesessen Mann für Mann, die Pferde füh¬
rend und gleichsam tastend, den Weg finde", indem der Hintermann den
Roßschweif des Vordermannes erfaßte. Die gebotene lautlose Stille, das
Leuchten der Wachtfeuer im Thale gab dem Zuge einen geheimnißvollen, fast
gespenstigen Ausdruck.


Heerstraße vermeidend, kam ich auf Feldwegen, wie mir befohlen war, spat in
Stendal wieder an. Als ich dem Rittmeister v, Aschenbach Rapport erstattete
und ihm bemerklich machte, daß mein Pferd von der unglaublichen An¬
strengung eines Rittes von dreizehn bis vierzehn Meilen ganzlich ermüdet sei und
eine Beule unter dem Sattel davongetragen habe, so daß ich zur Erholung
des Pferdes um einige Tage Ruhe bitten müsse, erwiederte er barsch: „Was
Ruhe, was Rast? wollen Sie den bevorstehenden Zug des Corps nicht mit¬
machen, so mögen Sie nach Sandau zurückreiten." Dies lehnte ich entschieden
ab und bat, daß er mir eins der erbeuteten Pferde — er hatte deren mehrere
erhalten — zur Disposition stellen möchte, damit ein so braves Pferd wie
mein Ukräuer dem Corps erhalten werde; ich war der Meinung, es könne im
Depot verpflegt werden.-

Die harte Entgegnung war: „Wird Ihr Pferd auf dem Marsche wegen
Satteldruckes unbrauchbar, fo müssen Sie zu Fuß nebenher laufen." Ich
schwieg und grollte, sattelte aber folgenden Tages mit blutendem Herzen
meinen Ukräner. v. Holleben tröstete mich, meinte aber, ich müsse mich fügen;
wolle ich mich beschweren bei Lützom, so würde dies zu Nichts führen.

Wenn ich mich nicht irre, so brachen wir — vier Escadronen Lützower
und fünfzig Kosaken — am 28. Mai 1813 von Stendal auf und schlugen
den Weg durch den Letzlinger Forst über Calvörde, Erxleben und Kroppcnstedt
ein. Halberstadt rechts liegen lassend, kamen wir über Hettstedt und Lenbach
am 31. Mai nach Eisleben.

Hier mußte ich meinen armen Ukräner, dessen Satteldruckmunde brandig
zu werden drohte, gegen ein schlechtes Pferd vertauschen.

Von Eisleben gelangten wir in's Weimarische, überschritten die Ilm bei
Osmanstedt und die Saale bei Rodenstein und zogen über Roda nach Neu¬
stadt a. d. Orla, wo wir am 4. Juni 1813 eintrafen. Hier erhielten diejenigen
von uns, welche keine Mäntel hatten, Tuch zu Mänteln geliefert. Auch mir
wurde reichlich Tuch zum Mantel zugemessen, allein der spitzbübische Schneider
wußte es so einzurichten, daß der Mantel zum Mäntelchen wurde. Doch
leistete mir der Lappen beim späteren Ueberfall einen wesentlichen Dienst, in¬
dem er eine Menge Hiebe und Stiche, die meinem Leibe galten, in sich aufnahm.

Der Nachtmarsch von Neustadt a. d. Orla bis Grebe wird mir unverge߬
lich bleiben. In stockfinstrer Nacht mußten wir auf einem Fußpfade an steilen,
waldigen Abhängen hin. von wo aus wir die feindlichen Wachtfeuer im
Thale unter uns leuchten sahen, abgesessen Mann für Mann, die Pferde füh¬
rend und gleichsam tastend, den Weg finde», indem der Hintermann den
Roßschweif des Vordermannes erfaßte. Die gebotene lautlose Stille, das
Leuchten der Wachtfeuer im Thale gab dem Zuge einen geheimnißvollen, fast
gespenstigen Ausdruck.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_112507/500>, abgerufen am 29.12.2024.