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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band.

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Er empfand es in seinem innern Wesen', daß erst von den italienischen Mei¬
stern die Malerei ihren rechten und vollen Ausdruck erhalten hätte und daß
in ihnen die Schönheit eine echt malerische und noch etwas Anderes sei, als
die plastische. Aber in der Production ging seine Entwicklung in diesem
Sinne nur allmälig vor sich, es brauchte Zeit, bis er mit der That seiner
Einsicht nachkommen konnte. Er suchte vor Allem die Fehler seiner Schule,
das unechte Pathos und die gespreizte Würde der Form los zu werden, er
strebte dnrch einfache Motive nach der einfachen Schönheit, sowol nach der¬
jenigen, welche das sinnige Auge in der Natur findet und die eben so sinnlich,
als seelenvoll ist. als nach dem Vorbilde, das die wahre griechische Umschau
ung für alle Zeiten hingestellt hat. Es war grade damals, daß man mit
den Werken der Blüthezeit der griechischen Kunst näher bekannt wurde, der
Jason von Thorwaldsen war auf die ganze gleichzeitige Kunst von Einfluß,
und Lord Elgin brachte 'die Schöpfung des Phidias nach Rom. Nun erst
lernte man die echt künstlerische Anschauung der menschlichen Form kennen,
die das Leben ebenso schön als wahr und einfach wiedergab. Auch auf
Ingres waren diese neuen Anregungen von Einfluß. Drei Werke aus dem
Jahre 1808 kennzeichnen diese Periode: Die "Venus Anadyomene" (vollendet
erst im Jahre 1848), "Oedypus und Sphinx" und eine "Badende". Noch
ist in ihnen die plastische Auffassung vorherrschend, aber zugleich spricht aus
ihnen der Sinn für die volle Erscheinung des natürlichen, jedoch durch die
ideale Anschauung geläuterten Lebens. Der Oedypus vor der Sphinx stehend
und ihr das Räthsel lösend ist eine herrliche, ganz griechisch gedachte und
doch nach der Wirklichkeit gebildete Gestalt, und in dem Fluß der wirklichen
Formen zeigt sich der Hauch eines warmen Lebens. Freilich sieht man, daß
der Künstler noch im Ringen und Werden ist: er sucht die Schönheit, noch
fällt sie ihm nicht als reife Frucht in den Schooß.

Auch befriedigte seine immer mehr auf das Malerische gerichtete Phan¬
tasie die bloße plastische Form bald nicht mehr. Er beschäftigte sich mit den
Coloristen, die Venetianer, besonders Tizian wirkten auf ihn ein, und er suchte
nun selbem den Reiz eines tiefern und glühenden Colorits sich anzueignen.
So entstand das kleine Bild "Pius der Siebente in der sixtinischen Capelle
Gottesdienst haltend" (1814, ein ähnliches vom Jahr 1820). Die harmonische
und prächtige Färbung setzt außer Zweifel, daß Ingres auch für das rein
Malerische befähigt war. Gewiß ist es kein zufälliges Zusammentreffen, daß
der Künstler einem Motiv aus der Gegenwart den farbenvollen Schein der
Wirklichkeit gab; sein eigentliches Element war doch die schöne Bildung und
Bewegung der menschlichen Form, und damit sah er sich auf die Vergangen¬
heit angewiesen. Er kehrte denn auch bald als zu seinem eigentlichen Vor¬
bilde zu Raphael zurück und sah in diesem die Vollendung und das Ziel seiner


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Er empfand es in seinem innern Wesen', daß erst von den italienischen Mei¬
stern die Malerei ihren rechten und vollen Ausdruck erhalten hätte und daß
in ihnen die Schönheit eine echt malerische und noch etwas Anderes sei, als
die plastische. Aber in der Production ging seine Entwicklung in diesem
Sinne nur allmälig vor sich, es brauchte Zeit, bis er mit der That seiner
Einsicht nachkommen konnte. Er suchte vor Allem die Fehler seiner Schule,
das unechte Pathos und die gespreizte Würde der Form los zu werden, er
strebte dnrch einfache Motive nach der einfachen Schönheit, sowol nach der¬
jenigen, welche das sinnige Auge in der Natur findet und die eben so sinnlich,
als seelenvoll ist. als nach dem Vorbilde, das die wahre griechische Umschau
ung für alle Zeiten hingestellt hat. Es war grade damals, daß man mit
den Werken der Blüthezeit der griechischen Kunst näher bekannt wurde, der
Jason von Thorwaldsen war auf die ganze gleichzeitige Kunst von Einfluß,
und Lord Elgin brachte 'die Schöpfung des Phidias nach Rom. Nun erst
lernte man die echt künstlerische Anschauung der menschlichen Form kennen,
die das Leben ebenso schön als wahr und einfach wiedergab. Auch auf
Ingres waren diese neuen Anregungen von Einfluß. Drei Werke aus dem
Jahre 1808 kennzeichnen diese Periode: Die „Venus Anadyomene" (vollendet
erst im Jahre 1848), „Oedypus und Sphinx" und eine „Badende". Noch
ist in ihnen die plastische Auffassung vorherrschend, aber zugleich spricht aus
ihnen der Sinn für die volle Erscheinung des natürlichen, jedoch durch die
ideale Anschauung geläuterten Lebens. Der Oedypus vor der Sphinx stehend
und ihr das Räthsel lösend ist eine herrliche, ganz griechisch gedachte und
doch nach der Wirklichkeit gebildete Gestalt, und in dem Fluß der wirklichen
Formen zeigt sich der Hauch eines warmen Lebens. Freilich sieht man, daß
der Künstler noch im Ringen und Werden ist: er sucht die Schönheit, noch
fällt sie ihm nicht als reife Frucht in den Schooß.

Auch befriedigte seine immer mehr auf das Malerische gerichtete Phan¬
tasie die bloße plastische Form bald nicht mehr. Er beschäftigte sich mit den
Coloristen, die Venetianer, besonders Tizian wirkten auf ihn ein, und er suchte
nun selbem den Reiz eines tiefern und glühenden Colorits sich anzueignen.
So entstand das kleine Bild „Pius der Siebente in der sixtinischen Capelle
Gottesdienst haltend" (1814, ein ähnliches vom Jahr 1820). Die harmonische
und prächtige Färbung setzt außer Zweifel, daß Ingres auch für das rein
Malerische befähigt war. Gewiß ist es kein zufälliges Zusammentreffen, daß
der Künstler einem Motiv aus der Gegenwart den farbenvollen Schein der
Wirklichkeit gab; sein eigentliches Element war doch die schöne Bildung und
Bewegung der menschlichen Form, und damit sah er sich auf die Vergangen¬
heit angewiesen. Er kehrte denn auch bald als zu seinem eigentlichen Vor¬
bilde zu Raphael zurück und sah in diesem die Vollendung und das Ziel seiner


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[0045] Er empfand es in seinem innern Wesen', daß erst von den italienischen Mei¬ stern die Malerei ihren rechten und vollen Ausdruck erhalten hätte und daß in ihnen die Schönheit eine echt malerische und noch etwas Anderes sei, als die plastische. Aber in der Production ging seine Entwicklung in diesem Sinne nur allmälig vor sich, es brauchte Zeit, bis er mit der That seiner Einsicht nachkommen konnte. Er suchte vor Allem die Fehler seiner Schule, das unechte Pathos und die gespreizte Würde der Form los zu werden, er strebte dnrch einfache Motive nach der einfachen Schönheit, sowol nach der¬ jenigen, welche das sinnige Auge in der Natur findet und die eben so sinnlich, als seelenvoll ist. als nach dem Vorbilde, das die wahre griechische Umschau ung für alle Zeiten hingestellt hat. Es war grade damals, daß man mit den Werken der Blüthezeit der griechischen Kunst näher bekannt wurde, der Jason von Thorwaldsen war auf die ganze gleichzeitige Kunst von Einfluß, und Lord Elgin brachte 'die Schöpfung des Phidias nach Rom. Nun erst lernte man die echt künstlerische Anschauung der menschlichen Form kennen, die das Leben ebenso schön als wahr und einfach wiedergab. Auch auf Ingres waren diese neuen Anregungen von Einfluß. Drei Werke aus dem Jahre 1808 kennzeichnen diese Periode: Die „Venus Anadyomene" (vollendet erst im Jahre 1848), „Oedypus und Sphinx" und eine „Badende". Noch ist in ihnen die plastische Auffassung vorherrschend, aber zugleich spricht aus ihnen der Sinn für die volle Erscheinung des natürlichen, jedoch durch die ideale Anschauung geläuterten Lebens. Der Oedypus vor der Sphinx stehend und ihr das Räthsel lösend ist eine herrliche, ganz griechisch gedachte und doch nach der Wirklichkeit gebildete Gestalt, und in dem Fluß der wirklichen Formen zeigt sich der Hauch eines warmen Lebens. Freilich sieht man, daß der Künstler noch im Ringen und Werden ist: er sucht die Schönheit, noch fällt sie ihm nicht als reife Frucht in den Schooß. Auch befriedigte seine immer mehr auf das Malerische gerichtete Phan¬ tasie die bloße plastische Form bald nicht mehr. Er beschäftigte sich mit den Coloristen, die Venetianer, besonders Tizian wirkten auf ihn ein, und er suchte nun selbem den Reiz eines tiefern und glühenden Colorits sich anzueignen. So entstand das kleine Bild „Pius der Siebente in der sixtinischen Capelle Gottesdienst haltend" (1814, ein ähnliches vom Jahr 1820). Die harmonische und prächtige Färbung setzt außer Zweifel, daß Ingres auch für das rein Malerische befähigt war. Gewiß ist es kein zufälliges Zusammentreffen, daß der Künstler einem Motiv aus der Gegenwart den farbenvollen Schein der Wirklichkeit gab; sein eigentliches Element war doch die schöne Bildung und Bewegung der menschlichen Form, und damit sah er sich auf die Vergangen¬ heit angewiesen. Er kehrte denn auch bald als zu seinem eigentlichen Vor¬ bilde zu Raphael zurück und sah in diesem die Vollendung und das Ziel seiner 5 *

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_112507/45>, abgerufen am 23.07.2024.